Heft 6/2003 - Rat der Gemeinden und Regionen Europas
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Heft 6/2003 - Rat der Gemeinden und Regionen Europas
DELEGIERTENVERSAMMLUNG Delegiertenversammlung und Europakongress des RGRE: Europa ein Gesicht geben Der Oberbürgermeister der gastgebenden Stadt Rastatt, Klaus-Eckhard Walker, begrüßte die Delegierten in der „guten Stube“, der Badner Halle. Anschließend zog die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann zum Abschluss ihrer Präsidentschaft in der Deutschen Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) eine überwiegend positive Bilanz. „Seit der letzten Delegiertenversammlung im Dezember 1999 in Halle haben wir viel erreicht“, so Dieckmann. Als besonderen Erfolg bezeichnete sie den Entwurf für einen Europäischen Verfassungsvertrag, mit dem die Kommunen in Europa deutlich gestärkt würden. In dem Entwurf, erklärte die Oberbürgermeisterin, hätten die Kommunen Forderungen durchgesetzt, „die uns vor Jahren noch als utopisch erschienen“. Dazu zählten die explizite Erwähnung und damit Anerkennung der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung, die Einbeziehung der Kommunen in die Geltung des Subsidiaritätsprinzips und ein Klagerecht für die Kommunen bei Verletzung dieser Prinzipien. Dieckmann wies aber auch auf einen aus kommunaler Sicht entscheidenden „Schönheitsfehler“ im Entwurf des Verfassungsvertrages hin. So sei in letzter Minute eine Formulierung in den Text aufgenommen worden, die der Europäischen Kommission weitgehende Regelungsmöglichkeiten im Bereich der Öffentlichen Daseinsvorsorge einräume. Hier habe der Konvent versagt. „Dieser Vorschlag hätte unter Einschluss aller Beteiligten diskutiert werden müssen“, kritisierte Dieckmann. Dies sei nicht geschehen. „Wir müssen uns gegen massive Bevormundung aus Brüssel im normalen Alltagsgeschäft der Gemeinden zur Wehr setzen“, betonte auch ihr Nachfolger Dr. Wolfgang Schuster. Die Müllentsorgung, der Öffentliche Nahverkehr oder auch die Wasserwirtschaft seien klassische Handlungsfelder der Kommunen, die diese Aufgaben besser und effektiver ohne eine Einmischung aus Brüssel leisten könnten. Ansonsten sei der vom Europäischen Konvent vorgelegte Vertragsent- EUROPA kommunal 6/2003 Unter dem Motto „Europa ein Gesicht geben: Europapolitik für die Kommunen – Kommunalpolitik für Europa“ versammelten sich rund 250 Delegierte der Deutschen Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) am 9. und 10. Oktober in Rastatt zur alle vier Jahre stattfindenden Delegiertenversammlung und zum Europakongress. wurf eine gute Grundlage, die Demokratie vor Ort durch die kommunale Selbstverwaltung rechtlich auf Dauer in Europa abzusichern. In der einstimmig angenommenen „Erklärung von Rastatt“ (siehe S. 224) begrüßten die Delegierten denn auch die Ergebnisse des Europäischen Konvents mit Ausnahme der Bestimmungen zur Daseinsvorsorge. Gleichzeitig forderten sie die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der derzeit tagenden Regierungskonferenz für eine Streichung des entsprechenden Zusatzes einzusetzen. VON BARBARA BALTSCH Europa auf die Füße stellen Die Regelungsdichte in der Europäischen Union wurde ebenfalls vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel kritisiert, der sich im Europäischen Konvent maßgeblich für die Belange der Regionen und Kommunen eingesetzt hatte. Nicht nur Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel trug sich im Beisein von Dr. Wolfgang Schuster (l.) und Rastatts Oberbürgermeister Klaus-Eckhard Walker (r.) ins Goldene Buch der Stadt Rastatt ein 203 DELEGIERTENVERSAMMLUNG der Handwerker ärgere sich, dass Dinge in seinem unmittelbaren Umfeld nicht von der Gemeinde, dem Land oder dem Bund, sondern von der Europäischen Union vorgegeben werden. Europa dürfe den Bürgern aber nicht über den Kopf gestülpt werden. recht vor dem Europäischen Gerichtshof erhalte. Dies sei ein ungeheurer Fortschritt, der auch den Kommunen neue Mitwirkungsmöglichkeiten eröffne. Mit einer Stimme sprechen Rastatts Oberbürgermeister Klaus-Eckhard Walker begrüßte die RGRE-Delegierten in der Badner Halle in Rastatt 204 „Europa muss vom Kopf auf die Füße gestellt und im Sinne des Subsidiaritätsprinzips von unten nach oben organisiert werden“, forderte Teufel. Deshalb solle sich die Union in Zukunft auf bestimmte Kernaufgaben beschränken. Dazu gehörten insbesondere Fragen der Sicherheitspolitik, Außenpolitik, Außenhandelspolitik, Währungspolitik sowie Fragen des europäischen Binnenmarktes. „Von allem anderen sollte Europa die Finger lassen.“ Teufel sprach sich für ein starkes Europa aus, dass aber nur stark sein könne, wenn es sich auf die richtigen Aufgaben konzentriere. „So viel Einheit wie unbedingt nötig, und so viel Vielfalt wie irgend möglich.“ In Vielfalt geeint sei das Europa, das er sich vorstelle. Der Ministerpräsident ging auch auf die neuen Mitwirkungsmöglichkeiten ein, die die Kommunen nach dem Entwurf des Europäischen Konvents für einen Europäischen Verfassungsvertrag erhalten sollen. Nach den Plänen des Konvents müsse die Europäische Kommission die nationalen Parlamente künftig über alle Gesetzesinitiativen informieren. Diese hätten sechs Wochen Zeit, ihre Stellungnahmen abzugeben. Die Europäische Kommission sei, so Teufel, zwar nicht gezwungen, Einsprüche anzunehmen, aber sie werde sich gut überlegen, welche Änderungsvorschläge sie nicht berücksichtige, zumal der Ausschuss der Regionen künftig bei Verletzung des Subsidiaritätsprinzips ein Klage- Wenn der Europäische Verfassungsvertrag, so wie im Europäischen Konvent entworfen, Gültigkeit erlange, sei dies eine grandiose Herausforderung für alle Kommunen, betonte der neu gewählte Präsident der Deutschen Sektion des RGRE, Dr. Wolfgang Schuster. Deshalb gelte es nun darauf zu achten, dass dies nicht noch einmal ins Wanken gerate. Gleichzeitig müssten die neuen Rechte wahrgenommen und mit Leben erfüllt werden. Darauf wies auch eindringlich der Erste Vizepräsident des Europäischen RGRE und Vizepräsident der Deutschen Sektion des RGRE, Dr. Heinrich Hoffschulte, hin. Er hatte in Vertretung von Valéry Giscard d‘Estaing, der als Präsident des Europäischen Konvents seine Präsidentschaft im Europäischen RGRE ruhen ließ, die Interessen der Kommunen erfolgreich gegenüber dem Konvent vertreten. Die Sechs-Wochen-Frist für die Abgabe der Stellungnahmen durch die nationalen Parlamente und den Ausschuss der Regionen zwinge die Kommunen künftig zu einem noch schnelleren und abgestimmteren Handeln als bisher. Damit die deutschen Kommunen überhaupt gehört würden, müssten sie dem Bundesrat ihre Vorschläge und Änderungswünsche innerhalb von drei Wochen übermitteln, so Hoffschulte. „Wir müssen mit einer Stimme sprechen“, folgerte Dr. Wolfgang Schuster. Dies gelte sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Wie die Debatte im Konvent gezeigt habe, sei dies am Besten in der Gemeinschaft des RGRE gewährleistet. Mit über 100.000 kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften in 31 Ländern Europas sei er der größte und einflussreichste Kommunalverband in Europa. Deshalb müsse der RGRE so organisiert werden, dass er den neuen Ansprüchen auch gerecht werde. Schuster kritisierte in diesem Zusammenhang, dass in Brüssel derzeit 110 kommunale Spitzenverbände vertreten seien. „Das Ganze ist zu zersplittert“, erklärte er. Die Kommunen müssten ihre Kräfte in Europafragen bündeln und der RGRE müsse zu einem zentralen Ansprechpartner für die Städte und Gemeinden auch in Deutschland weiterentwickelt werden. EUROPA kommunal 6/2003 DELEGIERTENVERSAMMLUNG Dr. Stephan Articus, Generalsekretär der Deutschen Sektion des RGRE, kündigte an, sich für eine Stärkung des RGRE auch auf nationaler Ebene einzusetzen. Als Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städtetages wolle er sich verstärkt dafür einsetzen, dass alle Städtetagsmitglieder auch Mitglieder im RGRE würden. Bisher sei dies erst bei einem Drittel der Mitglieder der Fall. Articus begrüßte deshalb den Beitritt der Stadt Dresden in die Deutsche Sektion des RGRE. Leitbild der deutschen RGRE-Sektion Einer verbesserten Präsenz der Deutschen Sektion des RGRE in ihren Mitgliedskommunen soll auch das Leitbild dienen, das von der Delegiertenversammlung einstimmig verabschiedet wurde. Darin bekennt sich die Deutsche Sektion des RGRE zu Grundsätzen und Zielen ihrer Arbeit. Diese reichen vom Einbringen der deutschen kommunalen Stimme in das Netzwerk der europäischen Kommunen über die Förderung der Europäisierung und Internationalisierung der deutschen Kommunen, der Deutschen Sektion des RGRE als Forum europaaktiver Städte, Gemeinden und Kreise bis hin zur Partnerschaftsarbeit und dem RGRE als Forum der deutschen Kommunen für ihre Entwicklungszusammenarbeit und „Eine Welt“-Aktivitäten. Das Leitbild soll der zunehmenden Europäisierung und Internationalisierung der kommunalen Arbeit ebenso Rechnung tragen wie der Tatsache, dass durch eine Intensivierung der Europaarbeit der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene die Zusammenarbeit in europäischen Fragen präzisiert werden muss. In diesem Sinne ist das Leitbild der Deutschen Sektion des RGRE auch als ein Beitrag zur künftigen „Rollenverteilung“ in der deutschen kommunalen Europaarbeit zu sehen. Resolution zum EU-Partnerschaftsfonds Die Delegiertenversammlung der Deutschen Sektion des RGRE verabschiedete außerdem eine Resolution zum Partnerschaftsfonds der Europäischen Union (siehe S. 214). Der im Jahr 1989 auf Initiative des Europäischen Parlaments eingerichtete Fonds verfügt derzeit über ein Volumen von zwölf Millionen Euro und fördert Städtepartnerschaftsbegegnungen und Seminare. Als so genannte „A-Haushaltslinie“ stand er jähr- Städteporträt Schlösserstadt Rastatt Tradition und Moderne, Geschichte und Zukunft treffen sich in der Barock-, Festungs- und Europastadt Rastatt. Die Stadt wurde 1084 erstmals urkundlich erwähnt und kann auf eine bewegte und interessante Geschichte zurückblicken. Barocke Baudenkmale wie die Residenz des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden – auch Türkenlouis genannt – und die Festungsreste aus der Zeit der Badischen Revolution 1849 sind Zeugen ihrer Geschichte. Heute ist Rastatt mit etwa 46.000 Einwohnern an Rhein und Murg eine moderne weltoffene Große Kreisstadt und vor allem die Hauptstadt Mittelbadens. Rastatt genießt als Einkaufsstadt einen sehr guten Ruf und ist aufgrund einer idealen Verkehrsanbindung gut zu erreichen. Rastatt liegt in einer der wirtschaftsstärksten Regionen Europas. Neben Großunternehmen wie DaimlerChrysler gibt es zahlreiche mittlere und kleine Unternehmen. Und auch als Kulturstandort hat sich Rastatt weit über die Region hinaus einen Ruf geschaffen. Alle zwei Jahre wird Rastatt beim größten Straßentheaterfestival Deutschlands „tête-à-tête“ zum „Mekka“ des europäischen Straßentheaters und zum Ort der EUROPA kommunal 6/2003 Begegnung für mehr als 100.000 Zuschauer diesseits und jenseits des Rheins. Rastatt unterhält Partnerschaften zu fünf Städten: Fano in Italien, New Britain in den USA, Orange in Frankreich, Ostrov in Tschechien und Woking in England. Außerdem pflegt die Stadt eine Städtepatenschaft zu Entre Rios in Brasilien. Das Schloss Favorite ist eine der vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt Rastatt 205 DELEGIERTENVERSAMMLUNG Das historische Rathaus der Stadt Rastatt aus dem 18. Jahrhundert Hinweise Arbeitskreise Im Rahmen der Delegiertenversammlung und des Europakongresses der Deutschen Sektion des RGRE wurden drei Arbeitskreise zu den Themen „Public-PrivatePartnership“, „Bürgerbeteiligung: Wege zur aktiven Bürgerschaft – Europäische Erfahrungen aus dem DEMOS-Projekt“ sowie „Europa in den Kommunen“ veranstaltet. Berichte dazu finden Sie auf den Seiten 218 bis 223. Download Alle Unterlagen – zur Wahl der neuen Mitglieder des Präsidiums, des Hauptausschusses, der Geschäftsbericht, die Resolutionen, das Leitbild mit Grundsätzen und Zielen der Arbeit der deutschen RGRE-Sektion – sind auf der Internetseites des RGRE (www.rgre.de) unter der Rubrik „Aktuelles und Wissenswertes“ verfügbar. 206 lich im Rahmen der Haushaltsberatungen zur Disposition. Dabei ging es zwar nie um eine gänzliche Abschaffung der den Kommunen zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel, gleichwohl hat die Kommission in jedem Jahr versucht, die Mittel zu reduzieren. Dies konnte allerdings mit jeweils großer Kraftanstrengung des RGRE in Zusammenarbeit mit dem Europaparlament verhindert werden. Die Europäische Kommission hat nun einen Vorschlag über ein „Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft“ vorgelegt, mit dem sie mehrere bisher getrennte Aktivitäten, darunter auch die Förderung der europäischen Städtepartnerschaften, in ein einheitliches Programm zusammenfassen will. In der Resolution begrüßt die Deutsche Sektion des RGRE den Vorschlag für ein Mehrjahresprogramm, bemängelt aber, dass nach dem vorliegenden Vorschlag das Europäische Parlament in der Angelegenheit künftig nicht mehr mitentscheiden, sondern nur eine Beraterrolle erhalten solle. Gleichzeitig fordert die Deutsche Sektion des RGRE Kommission, Parlament und Ministerrat auf, die Beratungen zügig zum Abschluss zu bringen, um die Finanzierung der Partnerschaftsaktivitäten im Jahr 2004 nahtlos zu garantieren. Außerdem wird gefordert, die Reform zu nutzen, um in Deutschland endlich auch die Landkreise in die Förderung mit einzubeziehen. Abschlussdiskussion Der Generalsekretär des Europäischen RGRE, Jeremy Smith, würdigte in der Podiumsdiskussion zum Abschluss der Dele- giertenversammlung und des Europakongresses die neue Rolle der Kommunen. Auch er wies auf die neuen Handlungsmöglichkeiten hin, die sich den Kommunen durch den Entwurf für einen Europäischen Verfassungsvertrag eröffnen. Die nationalen Sektionen des RGRE hätten künftig die Möglichkeit, direkt über ihre nationalen Parlamente Einfluss auf die europäische Gesetzgebung zu nehmen, so Smith. Das erfordere gute Information, schnelle Reaktion und abgestimmtes Verhalten von Seiten der Kommunen. Dr. Joachim Wuermeling, der für das Europäische Parlament als stellvertretendes Mitglied im Europäischen Konvent saß, bezeichnete die Kommunen als die eigentlichen Gewinner bei den Verhandlungen zum Entwurf für einen Europäischen Verfassungsvertrag. „Es war keine Lobby erfolgreicher als die Lobby der Kommunen.“ Dies sei vor allem ein Verdienst des RGRE. Nun aber gelte es, das Erreichte zu verteidigen. Mit Blick auf die derzeit tagende Regierungskonferenz sagte Wuermeling: „Das Paket ist bereits geöffnet.“ Die kommunalrelevanten Bereiche stünden bisher aber nicht auf der Tagungsordnung. Das gelte auch für den von den Kommunen kritisierten Satz zur Daseinsvorsorge, der in allerletzter Sekunde in den Vertragsentwurf aufgenommen worden sei. „Es ist wichtig, dies jetzt auf den Tisch zu bringen“, so Wuermeling. Dies betonte auch Peter Götz, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Kommunalpolitik im Deutschen Bundestag. Durch diesen Zusatz werde die Anerkennung der kommunalen Selbstverwaltung wieder ausgehebelt. Die Streichung dieses Satzes sei auch deshalb elementar wichtig, weil es im Bereich der Daseinsvorsorge um viel Geld gehe. „Hier tickt eine Zeitbombe, der wir massiv entgegentreten müssen“, so Götz. Bezugnehmend auf das geplante Verfahren, nach dem die nationalen Parlamente von der Europäischen Kommission angehört werden müssen, wies Götz auch auf die Notwendigkeit eines abgestimmten Verhaltens der Kommunen hin. Wenn der Entwurf so übernommen werde, müsse die Zusammenarbeit zwischen Parlament und Kommunen institutionalisiert werden. „Wir brauchen nicht nur die Einigkeit in der kommunalen Familie, sondern auch eine gute Zusammenarbeit mit dem Bund und den Ländern“, betonte Stuttgarts Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster. „Europa hat und braucht viele Gesichter“, so Schuster. Die Aufgabe der Kommunen sei es, Europa ein bürgerfreundliches Gesicht zu geben. ■ EUROPA kommunal 6/2003