Die Gregorianische Kalenderreform von 1582
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Die Gregorianische Kalenderreform von 1582
DIRK STEINMETZ Gregorianische Kalenderreform von 1582 Die Korrektur der christlichen Zeitrechnung in der Frühen Neuzeit Für diese Leseprobe ausgewählt wurden die Seiten 148-151, 166-167, 172-173, 200-201, 228-231, 260-261, 314-315, 330-333, 344, 349, 370-371, 386-387, 392-393. Auf die Auswahl von Seiten mit Abbildungen wurde aus rechtlichen Gründen verzichtet. Ausnahme: Abb. 49/50 (S. 330/333), die zur Veröffentlichung im Rahmen dieser Leseprobe freigegeben wurden 148 Dirk Steinmetz C Das Reich in den Jahren nach der Kalenderreform Il negozio del nuovo calendario preme molto a Sua Santità, la quale è restata un poco meravigliata de la risposta del Viehauser, che habbi mostrato dubitar di qualche disordine in Germania … hora che la cosa è stabilita con tanta speranza, anzi certezza di beneficio publico, et già ricevuta in Francia, in Spagna, in Polonia et in altri dominii principali, troppo gran scandalo et deformità sarebbe, se in Germania … non avesse luogo, et si vedesse una tale discordanza si del tempo de le scritture et lettere, come de la celebration de la Pasqua et altre feste. Kardinal Como, 25.8.1582727 Eine weitaus schwierigere Ausgangslage gegenüber den behandelten Königreichen und Ländern bot sich im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Mit etwa 400 weitgehend selbstständigen Herrschaften, die lediglich eine lockere Föderation bildeten, stellte das Reich ein in jeder Hinsicht sehr heterogenes Gebilde dar728. Der Kaiser stand zwar an der Spitze des Reiches, doch seine Stellung entsprach im Gegensatz zu den katholischen Herrschern Philipp II. von Spanien, Heinrich III. von Frankreich oder Stefan Báthory von Polen eher der eines Primus inter pares, dessen Macht sich im Wesentlichen auf seine Erblande beschränkte. In den einzelnen Staaten herrschte der jeweilige Landesfürst und entschied – unter teilweiser Einbeziehung seiner Landstände – in politischen wie religiösen Angelegenheiten. Seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 galt das Prinzip „Cuius regio, eius religio“, das dem jeweiligen Landesfürsten das Recht gab, über die Religion seiner Untertanen zu bestimmen. 1. Die Rolle von Papst und Kaiser im Sommer 1582 Mi trovo mezzo disperato per la publicatione del calendario, non potendo con tutte l’instanze del mondo vnirne a fine. … Qui non se n’hanno esemplari, et l’uso della provincia ricerca infiniti lunarii, et la discrepanza della religione rende difficile l’unire le volontà tanto diverse in cosa a molti impensata e stranissima; però stimano che per quest’ anno sia impossibile introdurlo per Germania, anzi tengono che sia difficile anco per l’anno seguente, stante che li calendarii sono già stampati a milioni et preparati per le fiere. Kardinal Madruzzo, 19.9.1582729 In den drei Monaten vor dem offiziellen Termin der Kalenderreform bildete die Reichsstadt Augsburg das vorübergehende Zentrum des Reiches. Mittelpunkt des allgemeinen Interesses war der dort stattfindende Reichstag, zu dessen Eröffnung sich die Reichsstände am 3. Juli erstmals versammelt hatten und schließlich bis zur Publikation des Reichsabschieds am 20. September tagten. Hierbei ging es um zentrale Angelegenheiten des Reiches, die angesichts von Glaubensspaltung und gegenreformatorischer Bestrebungen der römischen Kirche weit in den konfessionellen Bereich hineinreichten. Neben der Türkenhilfe, dem niederländischem Aufstand, dem Verlust Livlands sowie Fragen aus Justiz- und Münzwesen besprach 727 HANSEN II, S. 517-518. Siehe hierzu KÖBLER, S. XII-XXII, ZEEDEN, S. 208, LUTZ, S. 17-18. Die sog. Reichsstände unterschieden sich hinsichtlich Größe, Macht und Einfluss wie auch der Konfession, zu ihnen gehörten neben den geistlichen und weltlichen Kurfürstentümern und weiteren großen Territorien zahlreiche Klein- und Kleinstteritorien – geistliche wie weltlich – sowie reichsunmittelbare Ritterschaften und Reichsstädte, deren Territorium in seiner Größe ebenfalls stark variierte. 729 HANSEN II, S. 553. 728 Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 149 man insbesondere Sessionsstreitigkeiten säkularisierter Hochstifte in Nord- und Mitteldeutschland730. Eine Verhandlung der Kalenderreform unterblieb731. Als päpstlicher Legat war der Trienter Bischof, Kardinal Ludwig Madruzzo, abgeordnet worden, der am 17. Juni in Augsburg eintraf732. Unterstützung erhielt er bei seiner Aufgabe von Giovanni Francesco Bonomi, Bischof von Vercelli (1572-1587) und Nuntius am kaiserlichen Hof (1581-1585)733 sowie Germanico Malaspina, Nuntius am Hof Erzherzog Karls in Graz (1580-1584)734. Vor allem die Berichte Madruzzos an Kardinal Como nach Rom geben Aufschluss über die Vorgänge im Vorfeld der für Oktober 1582 beabsichtigten Einführung des Gregorianischen Kalenders735. Von den zahlreichen, den neuen Kalender betreffenden Schriftstücken im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv stammt lediglich ein einziges unmittelbar aus der Zeit vor dem a4. Oktober 1582736. a) Die Aktivitäten der römischen Kirche Sichtlich erleichtert über die Fertigstellung der ersten Kalenderheftchen in Rom, sandte Kardinal Como am 26. Mai 1582 zwölf Exemplare an Madruzzo, der diese während des Augsburger Reichstages verteilen sollte; das schönste, rot eingebundene Heftchen war für Kaiser Rudolf persönlich bestimmt, den Madruzzo um die Publikation der Kalenderreform bitten sollte. Der Kaiser möge dafür Sorge tragen, dass dies überall in seinen Erblanden wie auch in allen Teilen des Reiches so rechtzeitig geschehe, dass die Durchführung ohne Schwierigkeiten und Behinderungen vonstatten gehe737. Im Falle einer Verschiebung des Reichstages solle Madruz730 HANSEN II, S. 379; VOCELKA, S. 147; KOCH II, S. 58; KOHNLE – WOLGAST, S. 467; JANSSEN 5, S. 12-27. Zum Reichstag 1582 vgl. LEEB, Reichstagsakten Augsburg 1582. 731 Vgl. Fußnote 751. 732 Die geistliche Laufbahn Madruzzos, der 1532 als Sohn einer angesehenen Adelsfamilie im Süden Tirols zur Welt kam, war von seinem Onkel Christoph Madruzzo, Bischof von Trient (1539-1567) und Brixen (1542-1578), gefördert worden, dem er als Bischof von Trient (1567-1600) nachfolgte. Von Papst Gregor XIII. wurde Madruzzo 1573 zum Protector Germaniae ernannt; er unterhielt außerdem gute Beziehungen zu König Philipp II. von Spanien und war bis zu seinem Tod im Jahre 1600 einer der einflussreichsten Kardinäle. Als Bischof von Trient war Madruzzo deutscher Reichsfürst, der zudem gute Beziehungen zum Kaiser sowie zum Herzog von Bayern pflegte. Sein älterer Bruder Franz Madruzzo fungierte seit 1581 als kaiserlicher Gesandter beim Vatikan. Ludwig Madruzzo verließ Augsburg am 24. September 1582, vier Tage nach Publikation des Reichstagsabschieds. Zu weiteren Einzelheiten s. HANSEN II, S. 373-380; VARESCHI, S. 446-450. 733 Bonomi hielt sich vom 18. Juni bis 28. September in Augsburg auf. Vgl. HANSEN II, S. 373-374. Zu Bonomis Leben s. FELDKAMP, Sp. 588. 734 Malaspina traf etwa zeitgleich mit Madruzzo und Bonomi in Augsburg ein und blieb bis zum 16. September. Als weiterer Vertreter der Kurie war Felician Ninguarda, Nuntius für Süddeutschland (1578-1583), zeitweise auf dem Augsburger Reichstag anwesend. Vgl. HANSEN II, S. 374. 735 Die Berichte sind ediert bei HANSEN II, S. 371-572. Dabei nehmen folgende Berichte Bezug auf die Kalenderreform: Nr. 213, 223, 230, 235, 246-247, 251, 253, 255, 259-262, 264, 267-269, 271 und 273. Von den im gleichen Band edierten Nuntiaturberichten vom Kölner Pazifikationstag 1579 gibt Nr. 133 Aufschluss über das verspätete Gutachten der Universität Löwen (vgl. oben, Kapitel III C). 736 Nämlich ein Schreiben Erzherzog Karls II. an den Kaiser vom 17. September 1582 (HHStA, Reichsakten in specie, Fasc. 1, conv. 1). Die Akten hinsichtlich der Kalenderreform sind bei den Reichsakten in specie in den Faszikeln 1 bis 5 (alte Faszikelnummern 385-388) zusammengestellt und umfassen den Zeitraum 1578 bis 1725. 737 HANSEN II, S. 422-423 (Nr. 213). In seinem Schreiben leitet Como die Passage über den Kalender mit folgenden Worten ein: „Essendosi con la gratia di Dio condotta a fine et stampata l’opera del nuovo calendario …, N. S. [= Papst] … m’ha commesso di mandar li alligati libretti legati a V. S. Illma [= Madruzzo], acciò presenti a la Mtà de l’imperatore quel più bello legato in rosso …, et preghi la Mtá S. che voglia dar ordine per la publicatione et assecuratione di essa in tutti i luoghi et provincie di S. Mtà et del imperio, acciò li principi, vescovi et popoli siano avisati tanto a tempo che l’essecutione non trovi difficoltà ne impedimento alcuno …“. Die Verteilung der übrigen Heftchen überließ Como Madruzzo, indem er recht vage bat, diese seien „da distribuir a chi le [= Madruzzo] piacerà, 150 Dirk Steinmetz zo die Instruktionen mitsamt den Kalendern zu Bonomi an den kaiserlichen Hof weiterleiten, um eine Verzögerung der Publikation zu vermeiden. Ferner versprach Como den Versand zahlreicher weiterer Kalenderexemplare zum Verkauf ans Volk, der offensichtlich jedoch nie stattfand738. Am 6. Juli suchte Madruzzo den Kaiser auf und überbrachte ihm den Kalender im Namen des Papstes. Dabei unterstrich er die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Korrektur der Zeitrechnung, die schließlich zu diesem Kalender geführt habe, wovon der Kaiser ja mehrfach Kenntnis erhalten und schließlich auch das Druckprivileg erteilt habe739. Madruzzo bat Rudolf II. daher, die Durchführung dieses guten Werkes in seinen Ländern wie auch im Reich anzuordnen740. Einer möglichen Vorstellung und Erläuterung der Kalenderreform vor den versammelten Reichsständen zog man auf päpstlicher Seite also vor, die Publikation des neuen Kalenders im Reich durch Kaiser Rudolf II. vornehmen zu lassen und darüber hinaus lediglich einzelne katholische Reichsfürsten direkt zu informieren741. Ob die römische Kirche durch dieses Verhalten allerdings eine Einigung der Reichsstände erschwerte742, ist fraglich, denn die Protestanten hatten sich wie bei früheren Reichstagen auch 1582 in Augsburg über die Anwesenheit päpstlicher Vertreter beschwert743; eine aktive Rolle der Kurie auf dem Reichstag hätte bei den protestantischen Ständen womöglich von vornherein eine ablehnende Haltung gegenüber dem Kalender provoziert. Dies war aber sicherlich nicht der Grund für die Vertreter der Kurie, den Kaiser um die Publikation des Kalenders im Reich zu ersuchen. Schließlich war er als Reichsoberhaupt der Ansprechpartner der Kurie in Reichsangelegenheiten, den man schon einige Jahre zuvor – wie auch die Könige von Spanien, Frankreich und Polen für deren Staaten – als einzigen im Reich … alcuni ancora a li principali de la corte, facendo con loro et con chi altri le parerà quelli ufficii, che saranno necessarii per il buon indrizzo di quest’attione”. 738 In den folgenden Schreiben Comos ist hiervon nicht mehr die Rede, und Madruzzo beklagt ab Anfang September fortwährend den Mangel an Kalenderexemplaren. Vgl. dazu das Folgende. Madruzzo bestätigte nach seiner Ankunft in Augsburg in seinem Schreiben vom 20. Juni (HANSEN II, Nr. 223, S. 438), dass er Comos Schreiben mit den zwölf Kalendern erhalten habe und versprach, sich mit dem Kaiser sofort nach dessen Ankunft, die schließlich am 27. Juni erfolgte (HANSEN II, S. 379; VOCELKA, S. 156-158), in Augsburg in Verbindung zu setzen. Kardinal Como mahnte Madruzzo in der Folgezeit noch zweimal, sich dieser Sache besonders anzunehmen und alles nur Mögliche zu veranlassen, um eine erfolgreiche Einführung des neuen Kalenders im Oktober zu gewährleisten; dabei betonte er immer wieder, wie schwer diese Angelegenheit auf dem Papst laste (HANSEN II, Schreiben Nr. 251 vom 25.08. auf S. 517-518 sowie Nr. 260 vom 15.09.1582 auf S. 548). 739 Worauf sich Madruzzo hier bezieht, ist unklar; außer dem äußerst positiven Antwortschreiben des Kaisers vom Januar 1579 auf den Kalenderentwurf im Compendium (BAV Vat. Lat. 5645, f. 4; Abschrift im HHStA, Reichsakten in specie, Fasc. 1, konv. 1; s. o., Kap. III C) ist keine diesbezügliche Äußerung des Kaisers bekannt. Vgl. auch KALTENBRUNNER, Polemik, S. 506, Fußnote 1. 740 HANSEN II, S. 457 (Nr. 230; Bericht Madruzzos an Como vom 07.07.1582): „Da poi presentai il calendario, dicendo che N. S. haveva voluto metter’ ordine all’ inconveniente, che per lo tratto de tempi era nato et cresciuto, si che non poteva senza pericolo di confusione tolerarsi o differirsi più lungamente, et che, poichè S. Mtà n’era stata avisata più volte et haveva ultimamente concesso privilegio dell’ impressione, S. Stà haveva publicato detto calendario et io in suo nome ne presentavo uno a S. Mtà …, supplicandola a dar ordine per l’essecutione di si buon’ opra nelli stati suoi et dell’ imperio …”. Die Angaben bei STIEVE, Kalenderstreit, S. 13-14, Madruzzo habe den Kaiser erst Mitte September um die Publikation des neuen Kalenders gebeten, sowie die daraus gezogenen Folgerungen sind also zu korrigieren. 741 Vgl. hierzu KALTENBRUNNER, Polemik, S. 504. 742 Dies behauptet KALTENBRUNNER, Polemik, S. 503-504. 743 Vgl. HANSEN II, S. 379-380. Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 151 zur Begutachtung des Kalenderentwurfs aufgefordert hatte, woraufhin Rudolf seine Zustimmung bekundet hatte744. Folgerichtig wandte man sich jetzt, nach Vollendung der Arbeiten am neuen Kalender, an dieselben Herrscher, um sie um die Anordnung der Reform in ihren Staaten zu bitten. Offenbar kümmerte man sich dabei wenig um die besondere Situation im Reich, sondern vertraute – in sichtlicher Unterschätzung der konfessionellen Spannungen innerhalb Deutschlands745 – auf den Willen und die Durchsetzungskraft des Kaisers. Sowohl Kardinal Madruzzo als auch der Papst selbst scheinen bis August 1582 nicht die geringsten Zweifel an einer erfolgreichen Durchführung der Kalenderreform im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehabt zu haben, sondern erwarteten einen problemlosen Übergang vom a4. auf den n15. Oktober 1582746. Erst allmählich erkannte man die Schwierigkeiten, deren Ursache nicht allein die konfessionelle Spaltung des Reiches war, sondern auch der Mangel an Kalenderexemplaren sowie vor allem die Entscheidungsschwäche Kaiser Rudolfs II. und seiner Berater. Die planmäßige Einführung des Gregorianischen Kalenders konnte Madruzzo schließlich trotz großer Anstrengungen und zuletzt ständigen Drängens nicht mehr erreichen747. b) Das Verhalten Kaiser Rudolfs und seiner Berater Als Madruzzo Mitte Juli die Publikation des Kalenders beim Kaiser ansprach, antwortete Rudolf, dass er ihre Berücksichtigung angeordnet habe und diesbezüglich keinerlei Schwierigkeiten sehe748. Am 9. August erinnerte der päpstliche Gesandte den Kaiser erneut, woraufhin sich dieser entschuldigte, dass er sich aufgrund anderer wichtiger Beschäftigungen noch nicht darum gekümmert habe. Auf weitere Nachfrage Madruzzos teilte der Kaiser mit, dass Vizekanzler Sigmund Vieheuser mit der Kalendersache beauftragt sei, woraufhin Madruzzo am folgenden Tag beim Vizekanzler vorstellig wurde. Vieheuser bekräftigte zwar die Notwendig- 744 S. o., Fußnote 739; vgl. KALTENBRUNNER, Polemik, S. 506. Dies geht aus mehreren späteren Schreiben Madruzzos nach Rom hervor, vgl. insbesondere die Berichte vom 1. September (HANSEN II, Nr. 255, S. 532) und 19. September (a. a. O., Nr. 262, S. 553). Aufgrund der Verwunderung Madruzzos über die Ablehnung des neuen Kalenders auf protestantischer Seite halte ich es eher für unwahrscheinlich, dass man anfangs Probleme mit den Protestanten befürchtete und sich deshalb – etwa in der Hoffnung, dieser habe eine größere Autorität gegenüber den protestantischen Reichsständen, oder aber mit dem Hintergedanken, ihn für ein etwaiges Misslingen der Reform im Reich verantwortlich machen zu können – direkt an den Kaiser wandte. 746 Dies geht einerseits aus Madruzzos Schreiben vom 11.08.1582 hervor, in welchem er seine Antwort auf diesbezüglich von Vizekanzler Vieheuser geäußerte Zweifel kundtat: „Io risposi che ciò era già stato consultato con S. Mtà istessa et con tutti li potentati christiani, onde se ne poteva sperare buona et facile esecutione per ogni parte“ (HANSEN II, Nr. 246, S. 504), andererseits aus dem Antwortschreiben Comos vom 25.08.1582. Dieses gibt Aufschluss über die Verwunderung Papst Gregors XIII. über die Zweifel Vieheusers, die auch hier mit der im Vorfeld erhaltenen Zustimmung aller katholischen Herrscher zum Kalenderentwurf begründet wurde: „… S. Stà … è restata un poco maravigliata de la risposta del Viehauser, che habbi mostrato dubitar di qualche disordine in Germania, imperochè non si essendo posto mano a quest’ opera prima di participarla con tutti li principi et potentati christiani, et spetialmente con S. Mtà cesarea, da la quale si sono havute lettere di consenso et approbatione che si venisse a l’effetto, hora che la cosa è stabilita con tanta speranza, anzi certezza di beneficio publico …, troppo gran scandalo et deformità sarebbe, se in Germania … non havesse luogo …“ (a. a. O., Nr. 251, S. 517-518). 747 Siehe hierzu den folgenden Abschnitt. Unbestritten kann man der damaligen römischen Kirche Versäumnisse im Zusammenhang mit dem Druck der Kalenderexemplare sowie Fehleinschätzungen hinsichtlich der Reformdurchführung im Reich anlasten, Untätigkeit hingegen nicht. (vgl. auch den folgenden Abschnitt). 748 HANSEN II, S. 465 (Nr. 235; Schreiben Madruzzos an Como vom 18.07.1582): „Raccordai la publicatione del calendario, et S. Mtà mi disse, c’haveva ordinato che si considerasse et che pensava, non dovervi essere alcuna difficoltà”. Vgl. auch S. 507 (Nr. 247). 745 166 Dirk Steinmetz des Augsburger Reichstags den versammelten Ständen vorzulegen und seine Einführung kraft kaiserlicher Autorität anzuordnen. 4. Der Alleingang der katholischen Stände (1583-1585) Die unvollständige und in vielen Fällen verspätete Versendung der kaiserlichen Publikation des Gregorianischen Kalenders machte eine geordnete Einführung im Reich unmöglich. Stattdessen rief sie in vielen der unzähligen Territorien ein mehr oder minder großes Durcheinander hervor, förderte eigenmächtige Entscheidungen und Alleingänge der Landesfürsten ebenso wie Unsicherheiten und zögerliches Verhalten und führte so zu einer Reihe von Problemen, chaotischem Durcheinander und letztlich zu einem zahlreiche Monate andauernden Prozess der Annahme des Gregorianischen Kalenders bei den katholischen Reichsständen798. Andererseits lassen sich aber auch Vorstöße zu einem koordinierten Vorgehen benachbarter Reichsstände durch gegenseitige Absprachen und Rücksichtnahmen beobachten. Aufgrund der recht schwierigen Forschungssituation lässt sich bislang nur ein punktueller Einblick in die damalige Lage im Reich geben; ein detaillierter Überblick über die Rezeption des Gregorianischen Kalenders bei den einzelnen Reichsständen bedarf noch weiterer Einzelstudien für zahlreiche Territorien799. a) Die habsburgischen Territorien Diser des Römischen Babst Calender voll gifft vnnd aitter steckht. Steirische Kirchenräte, Ende 1582800 Seit der Teilung 1564 gliederten sich die habsburgischen Erblande in folgende Herrschaftskomplexe, die zur Zeit der Gregorianischen Kalenderreform von Kaiser Rudolf II. sowie den Erzherzögen Karl II. und Ferdinand II. regiert wurden801: • Das Königreich Böhmen befand sich seit 1526 in habsburgischem Besitz. Seit 1575 König von Böhmen, übernahm Kaiser Rudolf II. 1576 die Regierung (bis 1611). Mit der böhmischen Krone verbunden waren die Herrschaft über die Markgrafschaft Mähren, die Lehenshoheit über die schlesischen Fürstentümer sowie die Regierung in Ober- und Niederlausitz802. • Das Erzherzogtum Österreich umfasste Nieder- und Oberösterreich mit den Hauptstädten Wien und Linz und unterstand von 1576 bis 1608 der direkten Regierung Kaiser Rudolfs II.803. 798 Die Angabe bei CAPPELLI, S. 30, das katholische Deutschland habe den Gregorianischen Kalender durch Übergang vom a5. auf den n16. Oktober 1584 angenommen, ist völlig aus der Luft gegriffen. Vgl. dazu das Folgende. 799 Vgl. hierzu die Ausführungen in diesem Kapitel IV C 4. 800 ZAHN, S. 135. 801 Anlass der Teilung war der Tod Kaiser Ferdinands I. (1564), nach dem die Erblande unter seinen drei Söhnen Maximilian, Ferdinand und Karl aufgeteilt wurden. Vgl. HOFMANN, Habsburger, Sp. 995; NOFLATSCHER, S. 93; KÜRSCHNER, S. 851. 802 MACHILEK, S. 134-135; HOFMANN, Habsburger, Sp. 994-995; SMOLINSKY, Albertinisches Sachsen, S. 28-30. 803 ZIEGLER, S. 118-119. Zur Verwendung des Begriffs Oberösterreich für Tirol vgl. HIRN, S. 59; KÜRSCHNER, S. 851. Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 167 • Die Ländergruppe Innerösterreich setzte sich aus den Herzogtümern Steiermark, Kärnten und Krain sowie der Grafschaft Görz, Österreichisch-Friaul, Österreichisch-Istrien und Triest zusammen. Die Regierung Innerösterreichs mit der Hauptstadt Graz oblag Erzherzog Karl II. (1564-1590), einem Onkel Rudolfs II.804. • Die gefürstete Grafschaft Tirol mit der Hauptstadt Innsbruck wurde von Erzherzog Ferdinand II. (1564-1595)805 regiert, einem weiteren Onkel Rudolfs II. Enge Verflechtungen bestanden mit den beiden Hochstiften Trient und Brixen, deren Diözesen sich über einen Großteil Tirols erstreckten806. • Die Österreichischen Vorlande bestanden aus einer Vielzahl von Klein- und Kleinstterritorien und kamen bei der Teilung 1564 unter die Herrschaft Erzherzog Ferdinands II. von Tirol, der seinen Sohn Andreas 1579 als Gubernator einsetzte. Räumlich waren die Vorlande traditionell wie folgt geteilt: Österreichisch Schwaben im Osten (u. a. mit Burgau, Rottenburg, Singen und der Stadt Konstanz), die vorarlbergischen Herrschaften im Süden (u. a. mit Bregenz, Bludenz und Feldkirch) sowie Vorderösterreich mit Gebieten u. a. in Breisgau, Ortenau, Unter- und Oberelsass807. Erzherzogtum Österreich Obwohl Rudolfs Entschluss zur Einführung des neuen Kalenders im Reich und seinen Erblanden spätestens seit August 1583 feststand und die Publikation für das Reich Anfang September erfolgt war808, ordnete er die Kalenderreform in Nieder- und Oberösterreich erst am a 1. Oktober 1583 an. Dem Einführungspatent, das den Übergang vom a4. auf den n15. Oktober vorsah, war eine „Anlaitung zum brauch des verneuten Calenders“ des Hofmathematikers Paulus Fabricius beigefügt, von dem auch das 1579 nach Rom geschickte Gutachten der Wiener Universität stammte809. Die Anleitung – sie trägt das Datum des a06.09.1583 – erklärt das Auslassen der zehn Tage und beeinhaltet ein Kalenderfragment für die Zeit vom a29. Sept. bis n 31. Dez. 1583810. 804 AMON, S. 102-103; BOSL – FRANZ – HOFMANN, Sp. 987-988. Nicht zu verwechseln mit seinem Neffen, Kaiser Ferdinand II. (1619-1637). Vgl. HOFMANN, Kaiser Ferdinand II.; HOFMANN, Erzherzog Ferdinand II. 806 NOFLATSCHER, S. 86-87.97-98; BOSL – FRANZ – HOFMANN, Sp. 987-988. Zum Territorium Tirols siehe HIRN, S. 57-59. 807 STIEVERMANN, S. 256-259. Einen territorialen Überblick über die Vorlande gibt HIRN, S. 59-61. 808 S. o., Fußnote 793. Aus einem Brief der kaiserlichen Kanzlei vom a31.08.1583 an den Mathematiker Fabricius geht hervor, dass der Entschluss des Kaisers Ende August mit letzter Sicherheit feststand: „Nachdem Ihr Kay: Mtt/etc. sich dahin entschlossen / das new Calendarium so wol als Römischer Kayser im Reich Teutscher Nation / als in Jhren Khünigreichen und Landen zugebrauchen / und dasselb auff den October diß jetzt lauffenden Jars anzustellen … Decretum per Cæsaream suam Maiest: die ultimo Augusti, 1583.“ (abgedruckt bei FABRICIUS, Anlaitung zum brauch des verneuten Calenders (QS11); vgl. UHLIRZ, S. 641-642). 809 S. o. (Kap. III C). Die Anlaitung von FABRICIUS ist abgedruckt bei UHLIRZ, S. 640-642; die beiden einzigen mir bekannten Originalexemplare befinden sich in Wien, das eine im HHStA, Reichsakten in specie, Fasc. 2, conv. 2 (vgl. Abb. 26), das andere in der ÖNB (304514-F.Alt-Rara), die es erst vor wenigen Jahren für 19285 DM (!) erwarb. 810 FABRICIUS, Anlaitung zum brauch des verneuten Kalenders (QS11): „Dieweil uns im alten Calender / der 18. Sontag nach der heiligen Trifaltigkait / auff den 29. tag Septemb: das ist / auff S. Michaels tag felt / und die im verneiiten Calender denselben 18. Sontag mit unß (wie wol in jrer Tagraitung auff den 9. Octob:) halten / hatt mich vor guet angesehen / das jederman von dannen an / die Wochen raite biß auff den 5. tag Octobris, da wirt er an statt fünff: fünffzehen sprechen und zelen das beschicht auff ein Sambstag / hernach kompt B. Sontags Buchstab / der 19. nach Trinitatis, von dannen an zelt man fort / nicht allein diß 83. sondern hernach auff 1584. Jahr“. Vgl. UHLIRZ, S. 642; KÜRSCHNER, S. 851. 805 172 Dirk Steinmetz die noch den alten Kalender in Gebrauch hätten, solle er nach beiden Kalendern datieren831. Gleichzeitig erhielten auch der Hofzahlmeister und die Hofbuchhaltung die Instruktion, bei der Auszahlung der verschiedenen Bezüge darauf zu achten, dass die ausgefallenen Tage auch nicht bezahlt werden, „weil sie weder gewest noch bedient worden“832. Königreich Böhmen mit Schlesien, Mähren und Lausitz Im Unterschied zu den österreichischen Ständen waren die böhmischen zumindest im Vorfeld der Publikation des neuen Kalenders involviert. Die obersten Landesbeamten und die Beisitzer des Land- und Kammerrechtes hatten am a11. April 1583 die Initiative ergriffen: sie hatten dem Kaiser nahegelegt, den neuen Kalender nur im Einvernehmen mit den benachbarten Kurfürsten zu publizieren und zudem auf dem Landtag den diesbezüglich am meisten betroffenen Bürgerstand zu befragen833. Angesichts möglicherweise zu befürchtender Widerstände beschwor Rudolf am a6. Mai seine Kommissare, die Stände dahin zu bewegen, die Reform nicht zu behindern, sondern sich mit ihm über Modus und Zeitpunkt der Publikation zu einigen834. Die Stände blieben allerdings bei ihrer Haltung, denn am a27. Mai verabschiedete der böhmische Landtag die Forderung, der Kaiser solle den Kalender nur nach vorheriger Abstimmung mit den anderen Kurfürsten und Fürsten des Reiches verkünden, um ein gemeinsames Vorgehen zu gewährleisten und Verwirrung zu vermeiden835. Rudolf zeigte sich davon unbeeindruckt und betonte am a15. Juli gegenüber den Räten in Prag, dass er fest entschlossen sei, den neuen Kalender im Reich und den Ländern der böhmischen Krone im Oktober zu publizieren. Zugleich bat Rudolf seine Räte bezüglich der Kalenderreform in Böhmen, „dass ihr diese Sach mit dem fürderlichisten in nothdurftig Erwägung nehmet und uns hernacher euer gehorsambs Gutachten, was euers Wohlmeinens diesfalls anzuordnen, wie auch diese Publication fortzustellen sei, unverlängst in Unterthänigkeit zuschreibet“836. Mit einem Exemplar der am a 4. September an die Reichsstände versandten Publikation informierte Rudolf auch Erzbischof Martin von Prag über die Auslassung der 10 Tage im Oktober837, unterließ jedoch eine Publi- 831 KÜRSCHNER, S. 855. KÜRSCHNER, S. 855. Dass man damit offenbar seine Schwierigkeiten hatte, geht aus einer erneuten diesbezüglichen Mahnung vom n28. Juni 1586 hervor. 833 Böhmische Landtagsverhandlungen, S. 291-296 (zweisprachig tschechisch und deutsch, im folgenden der deutsche Wortlaut): „Und was letztlichen die Publication des neuen Kalenders anlangt, haben sie die Sachen gleicher Gestalt erwogen und befinden soviel, … wann anjetzo die Publication … beschehen sollte, weiln die Kron Beheim dem heiligen Reich zum nächsten gelegen, allda sich bisher nicht männiglichen nach dem neuen Kalender regulieret, mit denen die Inwohner der Kron Beheim allerlei Handtierungen und Gewerb treiben, es wurde solicher Kalender wenig Nutz schaffen, sondern allerlei Missverstand und Zerrüttlicheit verursachen. Derhalben erachten sie unterthänigist, es möcht mit Publication gedachten neuen Kalenders, bis dass E. Mt. sich mit den nächst anrainenden Churfürsten derhalben vergleichen, innengehalten werden, jedoch kunnten E. Mt. dieses Artikels halber, weil derselbige mehrerntheiles den Burgerstand und ihre Handtierungen betrifft, auf kunftigem Landtage Erwähnung thuen und ihre Nothdurft darüber vernehmben lassen.“. 834 Böhmische Landtagsverhandlungen, S. 303. Rudolf sprach dabei offen den Druck des Papstes an, den Kalender in Böhmen nicht nur bei der Geistlichkeit, sondern auch in allen weltlichen Angelegenheiten einzuführen (dem böhmischen Klerus war der neue Kalender schon im Oktober 1582 durch Ebf. Martin Medek von Prag anbefohlen worden; vgl. Fußnote 837). Vgl. hierzu und zum Folgenden auch BECKER, S. 97. 835 Böhmische Landtagsverhandlungen, S. 324: „… und bitten derwegen sie die Ständ gehorsamblich, zum Fall Ihr Mt. die Publicierung dieses Kalenders fur ein Nothdurft zu sein erachten, Ihr Mt. wollen die Sach ehe und zuvor mit andern Chur- und Fürsten abhandlen und zur Richtigkeit bringen lassen“. Vgl. auch den Bericht an den Kaiser vom a 15.06.1583 (Böhmische Landtagsverhandlungen, S. 339). 836 Böhmische Landtagsverhandlungen, S. 344-345. Vgl. VOCELKA, S. 183; BECKER, S. 97. 837 Böhmische Landtagsverhandlungen, S. 354-356 (das Schreiben unterscheidet sich im Wortlaut lediglich geringfügig von dem oben zitierten Schreiben an den Augsburger Rat). 832 Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 173 kation für Böhmen. Stattdessen erinnerte Rudolf die obersten Landesbeamten und Räte Ende Oktober an das zu erstellende Gutachten838. Auf dem Ende November erneut zusammengetretenen böhmischen Landtag wurde nicht über den Kalender gesprochen, stattdessen verkündete der Kaiser noch während der Tagungsperiode am a3. Dezember mit seinem Mandát o nového kalendáře od stavouv královstí tohoto Ceského pŕijetí die Durchführung der Kalenderreform in Böhmen durch Übergang vom a6. auf den n17. Januar 1584839. Auch in Mähren sollte der neue Kalender zum gleichen Termin eingeführt werden; den Befehl zu einer diesbezüglichen Anordnung erhielt der Präsident der böhmischen Kammer in Prag in einem Schreiben Kaiser Rudolfs vom a11. Dezember 1583840. Dass die Zahl- und Rechnungsämter vor allem in Abrechnungsfragen Probleme mit den zehn ausgelassenen Tagen hatten, geht aus einem Schreiben Rudolfs II. vom n1. Februar 1584 an Der Prager Erzbischof hatte den Gregorianischen Kalender für den böhmischen Klerus schon am a22. Oktober 1582 verkündet; das Prager Konsistorium befahl daraufhin die Einführung des neuen Kalenders auch bei der Universität und allen drei zur Diözese gehörenden Städte Prag, Strahov und Břevnov, die sich jedoch energisch gegen den neuen Kalender wandten (Böhmische Landtagsverhandlungen, S. 270-271); der Erzdechant zu Kaaden, der den neuen Kalender „quam primum“ angenommen hatte, musste ebenso nach Prag berichten, dass ihm ein Großteil der Pfarrer in den Vikariatsgebieten Kaaden und Saaz wie auch der Kaadener Stadtrat nicht gefolgt waren (Schreiben vom n 15.12.1582; ebda., S. 273-274). In Tachau forderten Rat und Gemeinde mit Hinweis auf den Gebrauch des alten Kalenders in Prag und Wien die Wiederabschaffung des neuen Kalenders (Schreiben des Tachauer Dechanten vom n 16.12.1582; ebda., S. 274). Vgl. auch VOCELKA, S. 183-184; BECKER, S. 97; MACHILEK, S. 145-148. 838 Böhmische Landtagsverhandlungen, S. 362: „Dann so hätten sie die obristen Herren Landoffiziere und Räthe des Kunigreichs Beheimb sich ferner in Gehorsamb zu erinnern, wasmassen Ihre Kais. Mt. zum andernmal von ihnen des neuen Calendarii halben ihr unterthänigists Gutachten abgefordert haben, demnach aber dasselb Ihrer Kais. Mt. noch zur Zeit nicht zukomben, die Zeit aber auch darunter verlaufen, so haben Ihre Kais. Mt. nicht umbgehen mügen, denselben im heiligen römischen Reich sowohl als in Oesterreich publicieren zu lassen. Und so dann Ihre Kais. Mt. nachmaln gnädigist sehen wollten, damit solche Publication, weilen Ihr. Kais. Mt. diesen neuen Kalender allergnädigst acceptiert und angenomben, gleichfalls in derselben Kron Beheimb mit dem ehisten ins Werk gerichtet und demselben nachgelebt wurde …“. Die Edition gibt als Datierung „Prag, 20. October 1583“ an; der letzte zitierte Satz, wonach der Kaiser den neuen Kalender angenommen hat, legt eine Datierung nach dem neuen Stil nahe, die Tatsache, dass in Böhmen noch der alte Kalender galt, hingegen eher eine Datierung nach dem alten Stil; das genaue Verfassungsdatum muss also offenbleiben. Vgl. auch Fußnote 839. 839 Böhmische Landtagsverhandlungen, S. 427-428: „… aby z měsíce Januarii, jinak ledna, nejprvé příštího těch deset dní vypuštěno a když se psáti bude šestého dne téhož měsíce Januarii, hned na druhý den potom (kterýžby podle starého kalendáře sedmý den dotčeného měsíce jmenován býti měl) sedmnáctého dne Januarii od jednoho každého postaveno a psáno bylo“. BECKER, S. 98, VOCELKA, S. 185 sowie die Edition der Böhmischen Landtagsverhandlungen, S. 427 geben als Datierung den 3. Dezember (jeweils ohne Vermerkung des Stils) an. Die Originaldatierung lautet „Dán na hradě našem Pražském v outerý po památce svatého Ondřeje léta [15]83“ (d. h. Dienstag nach St. Andree); der St. Andree (30.11.) folgende Dienstag war nach altem Stil der a03.12., nach neuem Stil der n06.12. Dass tatsächlich der a3. Dezember angenommen werden kann, lässt sich aus der in den Böhmischen Landtagsverhandlungen auf S. 428 folgenden Anordnung Rudolfs II. ersehen, die das Datum „ve čtvrtek po sv. Barboře léta [15]83“ trägt, also Donnerstag nach dem Tag der hl. Barbara (04.12.). Der Tag der hl. Barbara war also ein Tag, nach dem man datierte, so dass die Kalenderpublikation – wäre sie am n6. Dezember verfasst – höchstwahrscheinlich als Dienstag nach dem Tag der hl. Barbara und nicht nach St. Andree datiert wäre. 840 Böhmische Landtagsverhandlungen, S. 430: „Nachdem deines gehorsamben Wissens der neue Kalender vermög beschehener Publication … auf den sechsten nägst kummenden Monats und Jahrs angefangen werden solle, so befehlen demselben nach wir dir hiemit genädiglich und wöllen, dass du dasselb bei deinen untergebnen Ambtern in Märhern gleichfalls auch also anordnest, sich in solchen ihren Ambtshandlungen und Raitungen darnach zu richten haben“ (vgl. GINZEL, S. 268; STIEVE, Kalenderstreit, S. 22, Fußnote 1). Nach KOCH II, S. 78, nahmen die mährischen Stände den neuen Kalender allerdings erst im Oktober 1584 an (Übergang vom a15.-n26.10.1584); demgegenüber steht allerdings die Angabe in der im Dezember 1583 verfassten Epistel (QS40) des Theologen VOLMAR (fol. B4r), wonach damals in Mähren schon der neue Kalender galt. 200 Dirk Steinmetz Westfalen, ein Teil des Kölner Erzstifts. Das Herzogtum Westfalen, wo Gebhard Truchseß von Waldburg nach seiner Entmachtung Zuflucht gefunden hatte, konnte erst Mitte 1584 durch Ebf. Ernst von Bayern zurückgewonnen werden, so dass der neue Kalender hier durch Übergang vom a1. auf den n12. Juli 1584 eingeführt wurde988. e) Die katholischen Reichsstädte Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Literatur bzgl. der katholischen Reichsstädte. Einen spärlichen Hinweis gibt es für Aachen, wo der Gregorianische Kalender möglicherweise Anfang Januar 1583 eingeführt wurde989, zwei ebenso knappe Hinweise für Köln, das diesen Schritt wohl gemeinsam mit dem Erzbistum zum n13. November 1583 vollzog990. f) Die katholischen Territorien der Schweiz Konfessionelle Spaltung kennzeichnete nicht nur das Mit- und Gegeneinander der Staaten im Reich oder der Bevölkerung gemischt-konfessioneller Reichsstädte, sondern in ebensolchem Maße auch die Schweizer Eidgenossenschaft. Dieser von den 13 vollkommen souveränen Orten regierte Staatenbund, der außerdem aus sog. Zugewandten Orten und Untertanengebieten bestand, war faktisch schon seit dem Frieden von Basel 1499 unabhängig vom Reich, formell seit 1648991. Von den auf der Tagsatzung ständig vertretenen 13 Orten waren Uri, Schwyz und Unterwalden sowie Luzern, Zug, Freiburg und Solothurn katholisch geblieben, während von den übrigen die Länderorte Glarus und Appenzell konfessionell gespalten, die Städteorte Zürich, Bern, Basel und Schaffhausen reformiert geworden waren992. Mit einem Breve vom a15. Juni 1582 988 GROTEFEND, Taschenbuch, S. 27; GINZEL III, S. 271; CAPPELLI, S. 31; SCHMITZ-KALLENBERG, S. 374; STIEVE, Rez., S. 136. Vgl. BOSBACH, Köln, S. 75-76. 989 STIEVE, Rez., S. 135, gibt den Termin – mit Fragezeichen versehen – zum n11. Jan. 1583 an (vgl. hierzu GRAMINÄUS, Exhortatio, fol. B1r, der einen Übergang vom a1. auf den n12. Jan. 1583 erwähnt: „cum vicini vestri inferiores Germani seu Belgæ, octuagesimo tertio præsenti anno decem diebus inter primam et duodecimam mensis Ianuarii, è Calendario exemptis“). 990 STIEVE, Rez., S. 136. Vgl. demgegenüber GROTEFEND, Taschenbuch, S. 27, der die Einführung erst einen Tag später zum n14.11.1583 angibt. Informationen bzgl. der Einführung des Gregorianischen Kalenders in anderen katholischen Reichsstädten liegen mir nicht vor. 991 Zur Eidgenossenschaft in der Frühen Neuzeit im Allgemeinen vgl. BERNER – GÄBLER – GUGGISBERG, S. 278-323. Bei den zugewandten Orten – Gersau, Biel, die Grafschaft Neuenburg, das Wallis, die Abtei Engelberg, St. Gallen (Stadt und Fürstabtei), die Drei Bünde (Zehngerichtebund, Oberer Bund, Gotteshausbund; späterer Kanton Graubünden), Mühlhausen im Elsass, Rottweil, Genf und das Fürstbistum Basel – handelte es sich um ebenfalls souveräne, jedoch politisch nicht gleichberechtigte Staaten. Die Untertanenländer waren hingegen unterworfene Gebiete, die zum Teil nur einem Ort unterstanden (unterworfene Gebiete einiger Länderorte sowie die umfassenden Untertanengebiete der Städteorte, im Falle Berns nicht nur der heutige Kanton Bern, sondern auch große Teile der heutigen Kantone Waadt und Aargau), zum Teil aber auch von mehreren der 13 Orte (in unterschiedlicher Besetzung) beherrscht wurden; zu dieser letzten Gruppe gehörten u. a. die Grafschaft Baden, Grasburg, Uznach, Gaster, Rapperswil, Thurgau, Sargans, Murten, Grandson, Orbe, Echallens, das Rheintal sowie weite Teile des heutigen Tessin. Vgl. neben BERNER – GÄBLER – GUGGISBERG, S. 278-279.303 auch THOMMEN, S. 282. 992 Während die Herrschaft in Glarus auf konfessioneller Parität beruhte, entstanden aus der konfessionellen Spaltung in Appenzell zwei Halbkantone (s. u.), das katholische Innerrhoden und das reformierte Außerrhoden. Die gemeine Herrschaft „ennet Gebirgs“, das heutige Tessin, blieb von reformatorischen Einflüssen weitestgehend unberührt. Von den Zugewandten Orten blieben das Wallis und der größte Teil des St. Gallener Territoriums katholisch (Städte St. Gallen und Toggenburg reformiert), während Neuenburg und die südlichen Teile des Fürstbistums Basel reformiert waren. Im Gebiet der Drei Rätischen Bünde waren die Reformierten zwar in der Mehrzahl, doch nahezu überall gabe es auch Katholiken, so dass hier die konfessionellen Gegensätze besonders stark aufeinander trafen. Vgl. BERNER – GÄBLER – GUGGISBERG, S. 300-303; THOMMEN, S. 282.290. Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 201 ersuchte Papst Gregor XIII. die sieben katholischen Orte um die Einführung des Gregorianischen Kalenders im folgenden Oktober. Hatten diese zunächst offenbar kein Interesse an einer Reform des Kalenders, so beantragte Luzern auf der Tagsatzung am a10. November 1583993 unter Hinweis auf den Gebrauch des neuen Kalenders in Italien, Spanien, Frankreich und großen Teilen Deutschlands dessen Einführung auch in der Eidgenossenschaft. Gleichzeitig verkündeten Luzern sowie Uri, Schwyz, Zug, Freiburg und Solothurn ihren Beschluss, den Gregorianischen Kalender durch Übergang vom a11. auf den n22. Januar 1584 einführen zu wollen994. Dass Unterwalden als einziger der katholischen Kantone den neuen Kalender im Januar 1584 nicht annahm, mag vorrangig an der ablehnenden Haltung der Bevölkerung gelegen haben995. Nach zahlreichen Appellen und Mahnungen der anderen altgläubigen Orte schwächte sich der anfängliche Widerstand ab – wohl auch aufgrund der Tatsache, dass in den umliegenden Gebieten nun weitgehend der neue Kalender galt –, so dass man in den Monaten März bis Juni 1584 auch in Unterwalden zur neuen Zeitrechnung überging996. Gegen den Beschluss der katholischen Orte, den Gregorianischen Kalender in ihren (eigenen wie untertänigen) Gebieten einzuführen, war rechtlich nichts einzuwenden. Dass sie zugleich jedoch die Landvögte der gemeinsamen Herrschaften ohne Absprache mit den mitregierenden reformierten Orten dazu anwiesen, musste eine Reaktion der Reformierten hervorrufen997. Zürich verbot dem Thurgauer Landvogt Oswald Meyenberg die Publikation des neuen Kalenders und beschwerte sich bei den mitregierenden katholischen Orten. Diese – es handelte sich um die sog. Fünf Orte (Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug) – vertraten gegenüber Zürich die Ansicht, dass an diesem Mehrheitsbeschluss nicht zu rütteln sei und befahlen dem Vogt die Durchsetzung des neuen Kalenders und Bestrafungen bei Nichtbeachtung998. Unter Berufung auf die Bundesbriefe schlug Zürich den Fünf Orten ein Schiedsgerichtsverfahren vor, in gleicher Weise handelte Bern in Bezug auf die Gemeinde Bucheggberg, die es zusammen mit Solothurn verwaltete999. Auf der Tagsatzung am a17. Juni 1584 kam es schließlich zu einem heftigen Meinungsaustausch zwischen Zürich und Bern einerseits sowie den Fünf Orten und Solothurn andererseits. Den in den Streit nicht verwickelten Kantonen gelang es schließlich, eine erneute Tagsatzung auf den a16./n26. August anzusetzen, auf der sie nach nochmaliger Anhörung der zerstrittenen Parteien folgenden Schiedsspruch beschlossen1000: demnach sollten die Feiertage bis zu einer endgültigen Vereinbarung nach dem neuen Kalender begangen wer993 THOMMEN, S. 282; GINZEL III, S. 271; vgl. BOTT, S. 10-11. Nach ZELLWEGER, S. 22, fand die entsprechende Tagsatzung am a27. Oktober statt. THOMMEN, S. 282-283. Dieses Datum führen übereinstimmend auch GROTEFEND, Taschenbuch, S. 27, GINZEL III, S. 271 und CAPPELLI, S. 31 an. 995 So zumindest THOMMEN, S. 283. 996 Nach THOMMEN geschah dies im Zeitraum zwischen dem 12. März und 5. Juni (leider ohne Stilangabe), GROTEFEND, Taschenbuch, S. 27 und CAPPELLI, S. 31 geben für die Einführung Juni 1584 (ohne Tag) an. 997 THOMMEN, S. 284; BOTT, S. 11. Wie heftig die Reaktion der reformierten Orte tatsächlich war, ist in der Forschung umstritten. Während sie nach THOMMEN, S. 283-284, eher verhalten reagierten, gab es nach BOTT, S. 1011, entschiedenen Widerspruch der Reformierten. Dass sich auch die reformierten Bewohner der Untertanengebiete nicht mit dem neuen Kalender abfinden wollten, zeigen die Hinweise auf Unruhen im Rheintal bei ZELLWEGER, S. 25. 998 THOMMEN, S. 284-285. Thurgau wurde von sieben Orten, nämlich Zürich (reformiert), Glarus (gemischtkonfessionell) und den Fünf Orten (katholisch) regiert. 999 THOMMEN, S. 285. 1000 Welche der Kantone als Schiedsrichter fungierten, geht aus THOMMEN, S. 286, nicht genau hervor. Offenbar war auch ein französicher Gesandter beteiligt, dessen Anliegen die Vermeidung eines bewaffneten, innereidgenössischen Konfliktes war, um die Werbung schweizerischer Söldner für Frankreich nicht zu gefährden. 994 228 Dirk Steinmetz weder die alte Zeitrechnung beibehalten oder die neue angenommen werden, keinesfalls aber eine dritte eingeführt werden1147. c) Martin Chemnitz Das dritte gedruckte Gutachten stammt von Martin Chemnitz, dem berühmten Schüler Philipp Melanchthons. Als einer der bedeutendsten lutherischen Theologen seiner Zeit führte Chemnitz 1568 zusammen mit Jacob Andreae die Reformation im Herzogtum BraunschweigWolfenbüttel durch und gehörte 1577 zu den Hauptverfassern der Konkordienformel1148. Bericht vom newwen Calendario (QS14) Das von Martin Chemnitz für Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel erstellte Gutachten über den neuen Kalender datiert vom a18. Dezember 1582. Auch Chemnitz stand vor dem Problem, dass er den Kalender aufgrund der Fragmente für Oktober bis Dezember 1582 beurteilen musste, denn die Canones des Gregorianischen Kalenders hatte auch er damals noch nicht gesehen1149. Seine Analyse beschränkt sich daher auf die Auslassung der zehn Tage und die daraus resultierende Korrektur der unbeweglichen Feste, während der Mondzyklus und die beweglichen Feste unbeachtet bleiben1150. Die Rückführung der unbeweglichen Feste auf ihren Platz zum Zeitpunkt des Konzils von Nicäa bewertet Chemnitz positiv und sieht anders als Landraf Wilhelm IV., der den neuen Kalender negativ beurteilte1151, keine Gefahr von „Confusion“ durch die Gregorianische Kalenderreform an sich1152. Grosse Verwirrung sagt er jedoch für den Fall voraus, dass sich die 1147 Amplissimis Prudentissimis Dominis (QS16b), fol. 170r : „Quòd si illud primum communi: hoc verò bipartito consensu fieri non poterit, liberum fortassis erit, cuique vel veterem vel novam formam sequi, atque in hoc casu nollem tertiam aliquam rationem à quoquam introduci“. 1148 Vgl. Art. Chemnitz, S. 309. 1149 CHEMNITZ, Bericht (QS14), fol. A2v: „Aber dieselbigen Canones seu Regulas hab ich noch nicht gesehen“ (vgl. ebd., fol. A4v). An Kalenderfragmenten lagen Chemnitz außer dem bayerischen, das er über Landgraf Wilhelm erhalten hatte, noch je eines aus Posen und Danzig vor (ebd., fol. A2r). 1150 CHEMNITZ, Bericht (QS14), fol. A3r-A4r, hier: fol. Ar4r: „Aber weil ich die Canones, darauff das Newe Calendarium Gregorianum gefundieret / noch nicht gesehen / kan ich von solchen alln [= „den tabulis Astronomicis de supputatione motuum cœlestium“] so eigentlich nicht schreiben“. 1151 Das Gutachten des Landgrafen vom a5. Dezember 1582 ist unter der Überschrift „Sendbrieff aines Fürstens an andere Fürsten“ abgedruckt bei RASCH, Neu Kalendar (QS45), fol. C1v-C2r. Vgl. CHEMNITZ, Bericht (QS14), fol. A3v. 1152 CHEMNITZ, Bericht (QS14), fol. A3v: „Das nu Gnediger Fürst und Herr E. F. G. bewegen / wenn der novum Calendarium Gregorianum eingewilliget und angenommen würde / als möchte es grosse confusion unnd vorenderung bringen / wie inn der beyverwarten Copeien deducirt wird / das hat Gnediger F. und Herr / gar keine gefar nicht / denn in den festis immobilibus wird keine vorenderung / Et ab anno 1583. (post exemptos hoc anno II. illos dies I.) würde das gantze Calendarium usuale widerumb in seine gewönliche Ordnunge komen / und hernach bleiben / als dies Natalis Christi bleibet allezeit 25 Decembris, dies Circumcisionis I Ianuarii, & sic deinceps. Die Vorenderung aber belanget nur allein das Osterfest und was dem anhengig / wie dasselbige auff die alte constitutionem Nicenam gebracht werden möchte.“. Wilhelm IV. hatte die Auslassung der 10 Tage kritisiert, weil sie große Verwirrung stiften würde: „So vil nun den corrigirten päpstischen calender betrifft … / so würd es … in verschreibungen / historien / jahrmärckten / gerichten / schiffarten / auch dem armen baursmann / der sich mit seinem ackerbau / nach den Festen / wie sie jetzo sein / richtet / grosse irrsal und veränderung bringen / sonderlich auch dem armen mann / der auff Michaelis und andere bestimbte täg / seine zinß zu entrichten schuldig / gar beschwerlich sein / seintemal es offt kommen würd / weil die Festa umb 10. tag anticipiren / das nit allein der Wein sondern auch die Früchte auff die yebliche termin der zahlzeit / im Feld stehn würden …“ (RASCH, Neu Kalendar (QS45), fol. C1v). Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 229 Christen untereinander nicht auf einen gemeinsamen Kalender einigen könnten1153. Übereinstimmend mit dem Landgrafen kritisiert Chemnitz die Nichteinbeziehung der Reichsstände in die Vorbereitung der Kalenderreform und weist darauf hin, dass die Annahme des neuen Kalenders nicht bedeuten dürfe, evangelische Rechte und Freiheiten wieder an den Papst abzutreten1154. d) Helisäus Röslin In Straßburg erschien eine im Januar 1583 von Helisäus Röslin unter dem Pseudonym Lambertus Floridus Plieninger verfasste Schrift1155, deren Ziel die Bestärkung der protestantischen Reichsstände war, den Gregorianischen Kalender nicht einzuführen: Kurtz Bedencken von der Emendation deß Jars (QS5) In einer ausführlichen „Vorrede an den Leser“ weist Röslin darauf hin, dass er „den Römischen Babst für den grossen Antichristen“ hält, und liefert eine erste Herleitung dieser Aussage mit der Anwendung zweier Bibelstellen auf das Verhalten des Papstes1156. Die Grundrichtung des Traktats ist damit zwar vorgegeben, doch der folgende Hauptteil, in Form von sieben Fragen und Antworten gestaltet1157, zeigt ein wesentlich differenzierteres Bild. Einerseits begegnet man einer objektiven und kompetenten, von Detailkenntnis und Gelehrsamkeit zeugenden Darstellung sowie einer stellenweise gut strukturierten, wohldurchdachten und stichhaltigen Argumentation auf sachlicher Ebene. In häufig dialektischer Vorgehensweise bringt Röslin eigene Gedanken und Ansichten vor, die durchaus begründet sind und ernstzunehmende Bedenken und Einwände beinhalten. 1153 CHEMNITZ, Bericht (QS14), fol. A3r-A3v: „Aber es werde genomen welcher Weg man wolte / wo es nicht geschicht mit gemeinen einhelligen gleich förmigen consens aller derer / so sich zum Christlichen Namen bekennen / so würde es eine grosse Confusion bringen“. 1154 CHEMNITZ, Bericht (QS14), fol. Av: „Aber das eine bedencken E. F. G. ist hoch nohtwendig unnd heilsam / weil der Churfürsten und Stende des Reichs bedencken oder votum hierinne nicht ersuchet das nicht per indiscretam acceptationem Novi Calendarii Gregoriani, dem Pabst einige Gewalt in unsern Kirchen etwas zu endern / anzusetzen oder zu gebieten / directé oder obliqué wiederumb eingereumet würde / und der Punct mus mit sonderlichen grossen fleiß wol vorwahret werden / etc.“. Vgl. Wilhelms Bedenken bei RASCH, Neu Kalendar (QS45), fol. C1v-C2r. 1155 Vgl. HERLITZ, Prodromus (QS64), fol. 80v: „Der Herr Elias Rößlin / der sich sonsten Lambertum Floridum plieningerum genennet hat“. Der Traktat umfasst 111 Seiten. RÖSLIN (1545-1616) studierte in Tübingen Medizin und arbeitete später als Leibarzt verschiedener süddeutscher Grafen. Zum Leben RÖSLINS siehe DIESNER, S. 115-141. 1156 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), fol. A2r-B3v. Diese Herleitung der Aussage (fol. A2r) basiert auf den Bibelstellen Off. 11-12 sowie Dan. 12 (fol. A2r-A4r), die auch bei anderen Autoren zum gleichen Zweck benutzt werden, so z. B. MOLLER (vgl. Unterkapitel IV D 2 e). An späterer Stelle greift Röslin zusätzlich auf Math. 24 und Off. 14 zurück (S. 32-33). 1157 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 1 (= fol. C1r): I. Auß was ursach und wellcher gestalt / Der Bapst die Emendation des jars fürgenommen. II. Warumb ers nit biß uff die zeit Christi gefüret / Sonder allein biß uff das Nicænische Concilium. III. Ob man solche des Bapsts fürgenommen Emendation mit guttem gewissen annemen könde oder nit. IIII. Ob da möge ein andere und bessere Emendation des Jars fürgenommen unnd angestellt werden. V. Warumb der Bapst die Enderung fürgenommen / und was er damit außzurichten vermeindt. VI. Ob dem Bapst auch inn seinem fürnemen geling / und was er suche finden werde. VII. In was zeitten wir seyen / unnd was die fürgenommen Emendation des Jars zubedeuten hab / und wir endtlich zugewarten. Zu Beginn jeden Kapitels wird die entsprechende Frage in ähnlichem Wortlaut wiederholt. 230 Dirk Steinmetz Andererseits verliert sich die Argumentation des Öfteren in plumpen Behauptungen, Unterstellungen und Beschimpfungen der römischen Kirche, fadenscheinig gefolgert aus der Verknüpfung bestimmter Bibelstellen mit der Kirchengeschichte. Bei dieser theologischen Polemik, in langwierigen Exkursen ausgebreitet und mit Zahlenspielereien und Spekulationen gepaart, scheint Röslin die damals weitverbreitete Antichrist-Rhetorik mit Endzeitstimmung1158 zu verbinden, was auf allgemeine Unsicherheiten und Ängste am Ende des 16. Jh. schließen lässt. Für eine sachliche Diskussion sind diese Teile weitgehend unergiebig. In der Antwort auf die (erste) Frage nach dem Warum und Wie der Kalenderreform spannt Röslin den Bogen vom frühchristlichen Osterstreit über das Konzil von Nicäa, Dionysius Exiguus und Beda Venerabilis bis hin zum Konzil von Trient und Gregor XIII., um anschließend die Fehler im bisherigen Kalender sowie die einzelnen Verbesserungen der Gregorianischen Kalenderreform präzise zu beschreiben1159. Kritik am Papst erfolgt nur an einer Stelle, indem ihm – durchaus zu Recht – vorgeworfen wird, durch seine Bulle die Kalenderreform „mit Zwang und Bann […] mit angehenckter höchster peen der excommunication“1160 durchsetzen zu wollen. Ähnlich sachlich fällt die Antwort auf die (vierte) Frage nach einer besseren Kalenderreform aus. Unter Berufung auf Luther sieht Röslin eine Reform des Kalenders als weltliche Aufgabe an, die von den „hohen Maiesteten […] einmütig unnd eintrechtig“ beschlossen werden müsse1161. Seine inhaltlichen Vorschläge gehen dahin, einerseits das Äquinoktium auf den ursprünglichen Termin zur Zeit Cäsars bzw. Christi zurückzuführen, besser noch am jetzigen Datum des 10. oder 11. März zu fixieren, andererseits die Abhängigkeit des Kalenders vom Mondlauf ein für allemal abzuschaffen, indem Ostern auf ein festes Datum gelegt werde1162. Allerdings fügt Röslin hinzu, dass eine solche Reform bei den derzeitigen politischen Verhältinissen in Europa realistischerweise nicht durchsetzbar sei1163. Die Erörterung der (dritten) Frage, ob man die päpstliche Reform guten Gewissens annehmen könne, erfolgt sowohl auf sachlicher als auch auf polemischer Ebene. Drei durchaus stichhaltigen Gründen für die Annahme des neuen Kalenders – Vermeidung von „Ärgernuß“, „Zerrüttung und Verwirrung“ in kirchlichen und weltlichen Dingen sowie die Korrektur von Zeitrechnung und Festtagsterminen1164 –, folgen sechs eher emotional-polemische Punkte gegen 1158 Vgl. hierzu die umfassenden Studien von SMOLINSKY, Deutungen der Zeit (insbes. S. 12.19-20) und LEPPIN, Antichrist und Jüngster Tag (insbes. S. 220-243). Vgl. auch STIEVE, Kalenderstreit, S. 25, sowie viele der im folgenden zu besprechenden Traktate (Kap. IV D 2). 1159 Röslin hatte offenbar das offizielle Kalendarium Gregorianum Perpetuum sowohl in der Münchner Ausgabe als auch in einer Ausgabe aus Italien genau durchgearbeitet, was an anderer Stelle (RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 50) noch deutlicher wird. Röslins Angabe, „… daß er also in 400 jaren 3 tag herauß nimbt / das thut inn 125 jaren einen tag“ (S. 9; vgl. S. 8) ist offensichtlich ein unbeabsichtigter Rechenfehler. 1160 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 9; in ähnlicher Weise auch auf S. 27-28 und S. 49. 1161 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 38. Vgl. LUTHER, Von den Konzilien und Kirchen, S. 554-555.558, sowie den diesbezüglichen Exkurs, unten S. 293. 1162 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 39. Dieser Vorschlag taucht mehrfach auf (S. 4.24-25.39), legitimiert dadurch, dass auch Weihnachten ein unbewegliches Fest sei (S. 4.34.39), das genaue Datum von Christi Leiden und Auferstehung nicht bekannt sei (S. 11.29-34.40) und auch die Apostel nicht festgelegt hätten, wann denn Ostern zu feiern sei (S. 11.25). 1163 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 39-40: „Hierauff folgt nun die Frag / ob solche Emendation des jars noch zur zeit möcht angestellt / und ins Werck gericht werden / Darauff die antwurt. Als Iulius Cæsar die Enderung des jars fürgenommen […] unnd auch als Constantinus der Keyser den Ostertag außgeschrieben / ist solches im gantzen Römischen Reich und allen Provintzen angenommen worden […] dieweil die Macht […] noch an einem Haupt stunde. Dieweil aber hernacher die Christenheyt zertrendt inn […] zehen Königreich / deren […] keins dem andern underworffen sein will. Kan solches nicht angericht werden“. 1164 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 23-24: „I. Causa Ecclesiastica“: „die haltung des Osterfests [ist] ein eusserlich ding […], möge so oder so gehalten werden / Doch das sich keiner von dem andern deßhalben abtrenne […]“; „II. Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 231 die Annahme. Röslin äußert dabei die Befürchtung, dass mit der Einführung des päpstlichen Kalenders automatisch auch die Anerkennung sämtlicher Konzilsdekrete bis hin zum Tridentinum verbunden sei, so dass man sich damit dem Antichrist unterwerfe, was letztlich ewige Verdammung bedeute1165. Anschließend werden die erwähnten drei Gründe für den neuen Kalender ganz rational zurückgewiesen, um schließlich zu folgern1166: Derwegen vil besser gewesen wer / in erwegung allerhand ursachen / pro & contra, man hette dem alten Calender noch seinen gang gelassen biß an Jüngsten tag. Die übrigen Kapitel enthalten fast ausschließlich die typische Polemik gegen den Papst und seine Vorgänger als personifiziertem Antichrist, „untermauert“ durch den Vergleich von Prophezeiungen in der Bibel mit der Kirchengeschichte und die Deutung angeblicher Häufungen von Naturkatastrophen und schrecklichen Himmelsereignissen inder unmittelbaren Vergangenheit sowie bösen astronomischen/astrologischen Vorzeichen für die nahe Zukunft1167. Die Kalenderreform spielt über weite Passagen hinweg eine untergeordnete Rolle; sie wird allenfalls als Werkzeug des Papstes angesehen, seine Macht wieder zu stärken, indem er durch sie „Auffrhur, Trennung und Schwechung der Fürsten“, „Zerrüttung und Uneinigkeit“, „Blutvergiessen“ sowie die Aufhebung des Augsburger Religionsfriedens bezwecken wolle1168. In Verknüpfung der Antichrist-Rhetorik mit dem im siebten Kapitel behandelten nahenden Weltende in 20 bis 30 Jahren folgert Röslin schließlich: „Also ist die fürgenommene Emendation deß jars [= Kalenderreform] beydes signum & causa, ein zeichen und ursach der letsten zeit“1169. Causa politica“: Vermeidung von Problemen in weltlichen Dingen wie „Jarmarckten / Messen und anderen geschefften […], in Juristischen processen / Citationen etc. […] auch sonst inn privat sachen“; „III. Causa astronomica“: Rückführung der Zeitrechnung „auff die zeit der Sonnen lauff“. 1165 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 24-33. Deutlich ausgesprochen wird dies auf S. 32: „Nachdem nun oben erwisen […] das der Bapst der grosse Antichrist seye / Das Horn Danielis […] unnd die Babylonische unverschambte Hur […] und solches aber vilfeltig zu unser zeit entdeckt unnd offenbar worden ist / und zwar der Bapst solchs selber erwisen durch die fürgenommen enderung des jars […] Derwegen sollen wir uns seiner Satzungen […] nicht theilhafftig / oder underwerfflich machen / auch der ringsten nit / des Osterfests halben / dieweil noch was anders dahinder steckt / Sonder sollen bedencken / das Christus Matthei am 24 uns gewarnet / So wir den Grewel der verwüstung sehen werden an der Heiligen Stett / daß wir außfliehen“. Und anschließend S. 33: „Derwegen geht die Prophecey Christi sonderlich dahin / als wolt Er sagen / So ihr werden den Grewel der verwüstung eröffnet sehen / und entdecket / sollen ihr außfliehen / unnd euch desselben mit nichten theilhafftig machen. Sonderlich aber dieweil Apoca. 14. die höchste straff der ewigen verdamnuß dran gehencket ist / und getröwet allen denen / die sich dem Thier völgig unnd gehorsam erzeigen“. 1166 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 34-38 (Zitat: S. 38): „I. causa Ecclesiastica refutatur“: Ostern könne problemlos wie bisher gemäß dem alten Kalender begangen werden; „II. causa Astronomica refutatur“: Die neue Kalender bringe „den Astronomis vil mehr mühe unnd arbeit“, weil all ihre Berechnungen auf dem Vergleich zum Julianischen Kalender beruhten; „III. Causa politica refutatur“: vor allem für die Bauern wäre der alte Kalender von großem Vorteil, da sich die Feldarbeit nach den unbeweglichen Festen im Kalender richtet; die Verschiebung von Kalender und Jahreszeiten um einen Tag in 1½ Jahrhunderten ist unmerklich, ein Sprung von 10 Tagen auf einen Schlag hingegen schon. 1167 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 10-23.43-95 (Kap. 2.5-7). 1168 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 49-51.88.90. 1169 RÖSLIN, Kurtz Bedencken (QS5), S. 90.93. 260 q) Dirk Steinmetz N. N. Baurenklag (QS21a) und New vermehrte Bawrenklag (QS24, QS27) In gereimten Versen erschien 1584 ein als Baurenklag uber deß Bapsts Gregorii 13. Newen Calender titulierter Traktat, dem noch im gleichen Jahr ein überarbeiteter und erweiterter Nachdruck unter dem Titel Die New vermehrte und gebesserte Bawrenklag folgte1339. Der Traktat zeugt von umfassender Rezeption des Kalenderschrifttums und der damals diskutierten Argumente gegen den neuen Kalender, so dass der Autor wohl unter den prominenten Kalendergegnern vermutet werden kann1340. Angesichts der fiktiven Erzählform einer Klage der Landbevölkerung an den Papst thematisiert der Traktat zunächst die nachteiligen Auswirkungen des neuen Kalenders auf den bäuerlichen Alltag; im Mittelpunkt stehen dabei die Bauernregeln, die mit einem Schlag ihre Gültigkeit verloren und somit große Verwirrung und Unsicherheit bezüglich der notwendigen Arbeiten im bäuerlichen Jahreszyklus auslösten1341. Als weiteres Problem der zehntägigen Verschiebung des Kalenders gegenüber den Jahreszeiten wird die Angst angesprochen, die Abgaben und Zinsen künftig leisten zu müssen, bevor die Ernte überhaupt eingebracht ist1342. heiligen Macario begegnete / mit vielen Büchsen behenget … Itzundt hat er nun eine newe Büchse auffgethan / und den grieff heraus gelanget / Damit er alle nationes / die noch unter seinner stockmeisterey liegen / in handel wandel Kauffmanschafft von den Deutschen / denen sie sonst nicht ubel gewogen / abzuwenden / Und die Deutschen untereinander selbst in einander zu hengen / und den Politischen friede / den noch die Fürsten / in gleicher Religion unter einander gehalten / zuzureissen / die Hertzen gegen einander zuverbittern / und den armen gemeinen mann / auch mit ins spiel zubringen / jhm listiglich vorgenomen …“. Vgl. das beigedruckte Gedicht, wo es es u. a. heißt: „Und alle Ordnung zerstört | Als wenn er Gott auff Erden wer | Unfried und unordnung anricht | Dahin gehet des Bapsts gedicht“ (ebd., fol. C3v-C4r). 1339 An den 330 Versen der Baurenklag (QS21a) wurden für die New vermehrte Bawrenklag (QS24/QS27) – 424 Verse umfassend – geringfügige Änderungen vorgenommen sowie hin und wieder Verse weggelassen. Neu hingegen sind zwei umfassendere Passagen (New vermehrte Bawrenklag (QS24/QS27), fol. B1r-B1v.B2r-B3v). Eine nähere zeitliche Einordnung der Veröffentlichungen lässt sich insofern vornehmen, dass die Schriften auf eine je nach Kalender unterschiedlich gehaltene Fastenzeit hinweisen (Baurenklag (QS21a), fol. A5r: „Das du uns hast zwo Faßnächt geben | Inn den wir künden frölich leben“; vgl. New vermehrte Bawrenklag (QS24/ QS27), fol. A4v); aufgrund des 1583 in beiden Kalendern gleichen Ostertages kann es sich dabei nur um die Erfahrungen mit der Fastenzeit 1584 handeln. Somit dürfte die Baurenklag (QS21a) frühestens im Mai 1584 erschienen sein. Andererseits unterscheiden sich Original (QS21a) und Nachdruck (QS24/QS27) insbesondere dadurch, dass letzterer eine ausführliche Passage über den Wunderbaum in Friaul enthält (New vermehrte Bawrenklag (QS24/QS27), fol.B2v-B3r), von dem die Münchner Ausgabe des Traktats Warer Berich [MÜ] (QS23, von 1584) berichtet (vgl. Kapitel IV D 3 b). Die New vermehrte Bawrenklag1 (QS24) lässt sich somit eher auf Ende 1584 datieren, während die Baurenklag (QS21a) spätestens im Frühherbst 1584 erschienen sein dürfte. Die regionale Herkunft lässt sich möglicherweise auf Süddeutschland einschränken (New vermehrte Bawrenklag1 (QS24), fol. A2v: „Jetzt kan auch weder Schwab noch Bayr | Kennen die rechte Antlaß ayr …“. Der 1585 erschienene Nachdruck New vermehrte Bawrenklag2 (QS27) ist bis auf den geringfügig modifizierten Titel und kleinere orthografische Unterschiede mit der Ausgabe von 1584 (QS24) identisch; insbesondere beim Textsatz (und damit den Seitenangaben) gibt es keine Unterschiede. Im Folgenden zitiere ich aus der (verbreiteteren) Ausgabe QS24. 1340 Ob der Nachdruck vom Autor des Originals veranlasst wurde, ist unklar. Das z. T. zu starker Abmilderung führende Weglassen einiger Originalverse sowie die entschärfende Umformulierung anderer Verse könnten ebenso wie die z. T. eigentümliche neue Passage über den Nussbaum dagegen sprechen. 1341 New vermehrte Bawrenklag1 (QS24), fol. A1v-A3r, hier: A1v: „O Papst was hastu angericht | Mit deim unzeittigen Gedicht | Das du verkeret hast die zeit | Dardurch irr gmacht uns arme leut | Daß wir nun mehr kein wissen haben | Wann wir sollen pflantzen / Seen / graben | … Haben uns gericht in das Jar | Nach unser bauren Regel zwar | Daß will jetzunder nimmer sein | Weil du gemacht den Calender dein | …“ (vgl. QS21a, fol. A1v-A3v). 1342 New vermehrte Bawrenklag1 (QS24), fol. A2v: „Derhalb wann man es lang wirdt treiben | Das dein Calender bestehn muß bleiben | In dem nun früer würdt der Sommer | Würdt er uns machen noch mehr kummer | Dann mit der Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 261 Darüber hinaus erörtert der Autor die aus der Parallelität beider Kalender resultierende Unsicherheit bei den Markttagen und die daraus resultierenden Nachteile für den Handel1343. Der Vorwurf an den Papst, durch den Kalender Zwietracht und Streit nach Deutschland zu tragen, ist ebenso von Osiander übernommen wie die Unterstellung, der Papst wolle herausfinden, welche Katholiken im Reich hinter ihm stünden1344. Interessanterweise wurde die New vermehrte Bawrenklag an dieser Stelle deutlich abgemildert, denn die originale Baurenklag enthält zusätzlich die Vorwürfe, die weltlichen Stände unterwerfen und ein großes Blutbad im Reich anrichten zu wollen1345. Neben der eher lächerlichen Behauptung, der neue Kalender verwirre ebenso sehr die Tiere1346, thematisiert die Schrift das nahe Weltende, für das es genügend Anzeichen gebe1347. Bezugnehmend auf die in einem katholischen Traktat überlieferte Wundergeschichte von einem Nussbaum in Friaul, der sich seit 1583 nach dem neuen Kalender richtete, sowie weitere solcher Erzählungen, enthält die New vermehrte Bawrenklag die Aufforderung an den Papst, die Natur auch in Deutschland um Annahme seines Kalenders zu bitten1348. Als katholische Antwort auf diese in Gedichtform vorgetragenen, vermeintlichen Klagen der Bauern entstand im folgenden Jahr 1585 ein in gleicher Form verfasster Traktat, der die Vorwürfe gegen den neuen Kalender zurückwies1349. weiß / die frücht auff Erden | Nicht in die Städel kommen werden | Biß daß wir die Gült unverdriessen | Unserer herrschafft geben müssen“ (vgl. ebd., fol. B1r-B1v sowie QS21a, fol. A2v). 1343 New vermehrte Bawrenklag1 (QS24), fol. B1r): „Wie aber nun zerrütet sey | Durch dich die weltlich policey | Hastu auff dise weiß zerrissen | Das kein Kramer noch Bawr kan wissen | Wann er ein Kirchtag halten soll | Welches uns vor bewist war wol | Lauffen wir Bawren in ein Statt | So kommen wir umb vil zuspat | Zeucht dann zu uns herauß ein Kramer | Und bringt der wahr ein gantzen jammer | So trifft ers gleich so wol nit recht | Dann fluchen unser Meid und Knecht“ (vgl. QS21a, fol. A6r). 1344 New vermehrte Bawrenklag1 (QS24), fol. A3v: „In dem du die zeit hast verkert | Damit nichts gesucht und begert [*] | Dann das dardurch werd zwegen bracht | Bey den underthonen zwitracht | Und der liebe Frid und gut will | In Teutscher Nation würdt stil | Fürs ander daß dir würdt bewist | Wellicher wer ein guter Papist | Unnd was du dich versehen soltest | Wo du künfftig hilff finden woltest [*] | Darumb hastu auff solchen fug | Erfunden den Calender klug | Diser thut dir verborgen zeigen | Wer sich dir thue ghorsam neigen | Der richt an grossen zanck und streit | Bey der Gemein unnd Oberkeit“. Vgl. Unterkapitel IV D 2 h. 1345 Die entsprechende Passage lautet im Original (Baurenklag (QS21a), fol. A4r-A4v): „Inn dem du die Zeit hast verkert | Darmit nichts gesucht und begert | Dann das dir machtest underthönig | Die Weltlichen Herren und König | Auch dardurch werd zu wegen bracht | Bey den Underthonen Zwytracht | Und der lieb Frid und gůte Will | Durch dein Blůtbegir gemacht still | Fürs ander / das dir wurd bewüst | Welcher wer ein gůter Papist | Und was du dich versehen soltest | Wa du künfftig hilff finden woltest | Wenn du mit deinem falschen Tichten | Mord und Blůtbad woltest anrichten | Darumb hast mit falschem betrug | Erfunden den Calender klug | Diser thůt dir verborgen zeigen | Wer sich dir thů gehorsam neigen | Der richt an grossen Zanck und Streit | Bey der Gmein und Oberkeit“. 1346 Baurenklag (QS21a), fol. A6v: „Von deinem Calender verflucht | Deiner Geburt / heillosen Frucht | Welcher nicht allein thůt verführen | Die Menschen / sonder auch der thieren | Er die Zeit verirrt und zerritt | Also das sie auch wissen nit | Nach jhr Art / in die Brunst zu springen | Die Vögelein mit jrem Singen | Als die Lerch und die Wachtel schon | Zuvil und zu wenig im thon | Die Nachtigall inn rechter massen | Von jrem Gsang nit will nachlassen | Der Gugger schreyet mit begir | Ob schon S. Johanns tag ist für | Dem Storcken ist jetzt unbekandt | Wenn er soll ziehen inn sein Landt“. Vgl. New vermehrte Bawrenklag1 (QS24), fol. B1v. 1347 Baurenklag (QS21a), fol. A7r-A7v: „Dann nach Christi deß Herren sag | Schleicht schon herein der jüngste tag | Alle Zeichen vor der Welt End | Schon gehört und verlauffen send | Als falsche Leer und Ketzerey | Auffrůr / zwytracht / und kriegsgeschrey | Hunger / Thewrezeit / Pestilenz | Regieret auff der Erden grentz | Die Frommen Christen uberal | Vervolgt man mit grosser Trübsal“ (vgl. QS24, fol. B3v-A4r). 1348 New vermehrte Bawrenklag1 (QS24), fol. B2r-B3v. Zum Bericht über den Wunderbaum vgl. Warer Bericht [MÜ] (QS23), fol. B3r-B4r. 1349 SCHMIDT, New Zeitung (QS28), nachgedruckt als Bawren Rathschlag in den Jahren 1585 (QS29) und 1587 (QS39). 314 Dirk Steinmetz Aufruhr, wie in Augsburg geschehen1697. Als Repräsentant derjenigen, die die Einführung des Gregorianischen Kalenders mit der Unterwerfung unter das Papsttum gleichsetzten und daher den Fürsten von der Reform abrieten, wird Martin Chemnitz namentlich erwähnt1698. Als ebenso gefährlich muss Possevino den Gelehrten Joseph Justus Scaliger eingeschätzt haben, der als Repräsentant der aktiven Kalendergegner Frankreichs dargestellt wird1699. Dem Mathematiker Michael Mästlin widmet Possevino gar ein eigenes Kapitel, das sich gegen die Provokationen in dessen Alterum Examen von 1586 richtet1700. Geradezu erfreut zeigt sich Possevino, dass es unter den Protestanten auch Verfechter des neuen Kalenders gibt, als deren Beispiel er den Görlitzer Mathematikers Scultetus ausführlich zitiert1701. Zugleich kündigt Possevino die Schrift(en) seines Kollegen Christoph Clavius an, der auf alle Vorwürfe eine Antwort geben werde1702. g) Christoph Clavius Christoph Clavius, Mathematiker und Mitglied des Jesuitenordens, hatte sich schon während seiner Tätigkeit in der Kalenderkommission Gregors XIII. im Hintergrund gehalten1703. Obwohl er die Reform in Form des Kalendarium Gregorianum publizistisch maßgeblich vorbereitet hatte, hielt er sich auch in den Jahren seit ihrer offiziellen Einführung, als die Polemik um den Kalender ihren Höhepunkt erreichte, ebenso zurück und überließ den Protestanten 1697 POSSEVINO, Moscovia et alia opera (QS41), S. 221 (Kapitel 8): „Protestantes et Politici quidam, ac denique aliqui Mathematici, dum dolent à se, priusquam à Pontifice Romano non fuisse promulgatam emendati anni rationem, quanto plura commenti sunt ne promulgationem admitterent, tantò graviora testimonia veritati vel inviti reddiderunt. … At Protestantes in Germania (ut etiam in hoc saperent post factum) cùm tabescerent invidia, quòd qui sese reformatores, & Spiritum sanctum habentes, atque Evangelicos, addo etiam Mathematicos insignes bonæ Germanorum simplicitati dudum venditassent, id ipsi non antevertissent, quòd uni Catholicæ Ecclesiæ Deus reservaverat) mirum est in quam multiplices formas se mutarunt, ut eandem anni correctionem excuterent, ac si possent, everterent: … dolium in cranio versant, idem qui vos in aliis omnibus rebus agit spiritus vertiginis, sic cœpit vestros circumferre, ut cùm singuli suam sententiam pronunciassent, sive in conventibus, quos ea de re habuerunt, sive in epistolis quas ad Principes scripserunt, diffiteri non possent, annum fuisse corrigendum, & suam tamen pertinaciam, atque imperitiam pugnantibus commentis proderent. Reliqui nequitiam addidere, tumultuque & seditionibus agere cœperunt, quemadmodum Augustæ Vindelicorum est factum“. 1698 POSSEVINO, Moscovia et alia opera (QS41), S. 222: „Alii verò cautiores facti, (uti Chemnitius & alii) Romani quidem Pontificis consilium veritate victi agnoverunt, verùm ne Catholicæ Ecclesiæ adhærere viderentur, cogitandum esse etiam atque etiam Protestantium Principibus scripserunt, ne si correctum Kalendarium admitteretur, Pontifici Romano subdi sese putaretur“. 1699 POSSEVINO, Moscovia et alia opera (QS41), S. 222 (neben der Randglosse: „Iosephus Scaliger“):„Sed & non defuit quidam in Galliis, quasi postliminio erumpens, qui librum satis magnum de anni emendatione [=QS13] edidit …“. 1700 POSSEVINO, Moscovia et alia opera (QS41), S. 223 (Kapitel 10): „Quendam Michaelem Maestlinum, qui se scribit mathematicum Tubingensem, dum novißimè conatus est altero (ut vocat) examine à se edito Kalendarium emendatum carpere, non solùm imperitiam, & vanitatem suam prodidisse, verùm etiam (licet invitum, ac non cogitantem) magis confirmasse Gregorianam emendationem“. Zu Mästlins Antwort vgl. Kapitel IV D 2 f über das Alterum Examen (QS35). 1701 POSSEVINO, Moscovia et alia opera (QS41), fol. T3v: „Interea verò (ut hoc obiter addam) non defuit inter ipsos Protestantes, qui cùm primùm Gregorianum Kalendarium prodiisset, illud ipsum apud eosdem ederet, Lusatiamque adeò universam eò perduceret, ut (sicut ingenuè fecit) amplecteretur“. Dem Zitat „Ex libro Bartholomæi Sculteti Mathematici, qui inter Protestantes vivit, quæ adversus Protestantium vanas obiectiones respondet“ ist das ganze Kapitel 9 gewidmet (POSSEVINO, Moscovia et alia opera (QS41), fol. T3v-T4r [= S. 223]). Zu Scultetus vgl. Kapitel IV C 4 a. 1702 POSSEVINO, Moscovia et alia opera (QS41), S. 222: „Christophorus Clavius Societatis Iesu insignis Mathematicus … ad omnia respondit“. Clavius’ erstes diesbezügliches Werk, seine Apologia (QS44), erschien 1588, erst fünfzehn Jahre später seine Explicatio (QS62). Zur Verteidigung von Possivino verfasste Clavius die Defensio Antonii Possevini (QS44a). Zu Clavius’ Schriften vgl. das folgende Unterkapitel. 1703 Vgl. Teil III. Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 315 schweigend und abwartend das Feld. Erst nach zwei provozierenden Angriffen Michael Mästlins auf die Autoren der Reform1704 erschien Clavius’ erstes Werk zur Verteidigung des neuen Kalenders im Spätherbst 1588 in Rom1705. Novi Calendarii Romani Apologia (QS44) Clavius’ knapp 500-seitige Schrift beginnt mit einer Widmung an Kaiser Rudolf II. – primarius und Verteidiger der katholischen Kirche –, der den neuen Kalender kraft seiner Autorität im ganzen Römischen Reich publizierte1706. Hierbei betont Clavius, dass der Römische Kalender von Papst Gregor XIII. unter Zustimmung des Kaisers wie auch der anderen Fürsten sowie Universitäten der katholischen Welt von seinen Fehlern befreit wurde, und preist den korrigierten Kalender als richtiges und fehlerfreies Werk1707. Empört zeigt er sich deshalb darüber, dass der ketzerische Tübinger Mathematiker Michael Mästlin nun plötzlich auftauche und die Eintracht innerhalb der katholischen Kirche auf frevelhafte Weise zu zerstören suche, indem er diesen vortrefflichen Kalender bekämpfe1708. Die Polemik gegen Mästlin durchzieht die gesamte Widmung; sie wird von Clavius im Vorwort des ersten Buches wieder aufgegriffen und in noch stärkerem Maße fortgesetzt1709. Clavius bezieht sich dabei ausdrücklich auf die Provokationen in Mästlins Alterum Examen; dessen deutschsprachiger Traktat von 1583 ist ihm vorgeblich unbekannt1710. Ohne Zweifel musste sich Clavius durch Mästlins Angriffe tief getroffen fühlen, die neben der Kritik am neuen Ka- 1704 MÄSTLIN, Alterum Examen (QS35) und MÄSTLIN, Defensio (QS42), erschienen 1586 bzw. 1588. Clavius’ Widmung an Kaiser Rudolf II. datiert vom n18.10.1588 (CLAVIUS, Apologia (QS44), fol. A4r: „Vale. Roma. Anno M. D. LXXXVIII. Quintodecimo Cal. Novemb.“). 1706 CLAVIUS, Apologia (QS44), fol. a3v: „Me verò, ut meam hanc qualemcunque Apologiam tibi potissimum, Cæsar invictissime dedicarem. multæ causæ impulerunt nec leves, nec obscuræ. Primùm, cum Rom. Imperator suo iure primarius Ecclesiæ Romanæ, Sedisque Apostolicæ defensor sit, ac propugnator: hic meus liber pro Catholicæ Ecclesiæ, Apostolicæque sedis dignitate dimicans, cuius ductu, ac præsidio magis exire debuit, quam Imperatoris Rom. sacrosanctæ Ecclesię præstantissimi, & summi Ducis? Deinde cuius magis, quam tua, interest, perspectum & exploratum habere, Calendarium novum, quod toto Imperio Romano, Maiestatis tuæ auctoritate vulgatum est, non flagitiosum, temerariumque negotium esse, quod Mæstlinus temerè & impudenter iactat; sed egregium, & Astronomię præceptis, antiquissimisque tùm orientalis, tum occidentalis Ecclesiæ institutis subnixum …“. 1707 CLAVIUS, Apologia (QS44), fol. a2r: „Argumento esse potest … Calendarium Romanum nuper ex auctoritate Gregorii XIII. Pont. Max. ingentique cum cæterorum Principum, Gymnasiorumque orbis Catholici, tum verò sacræ Maiestatis tuæ approbatione, ab erroribus, quos dies paulatim attulerat, vindicatum: & aliquando maximis omnium propè nationum studiis vel editum, vel receptum. Quod quidem tametsi & rectè atque ordine factum est, & concinnatum appositè ad morem, usumque eum, quem semper Dei Ecclesia tenuit in celebrando sacrosancto Paschæ die, cæterisque festis, quæ mobilia appellantur“. Vgl. das Vorwort zum ersten Buch (ebd., S. 1), wo Clavius ausdrücklich auch auf die Mitwirkung der erfahrensten Mathematiker hinweist. 1708 CLAVIUS, Apologia (QS44), fol. a2r: „inventus est tamen Michael Mæstlinus, Mathematicus Tubingensis, qui ut est homo Ubiquetariæ hæresis labe infectus, ita egregium hoc spectatumque Calendarium oppugnando, Ecclesiæ Catholicę concordiam dissolvere nefaria fraude tentaret“. Vgl. ebd., S. 1-2. 1709 CLAVIUS, Apologia (QS44), S. 1-4, hier: S. 1-2: „Unus hisce diebus prodiit Michael Mæstlinus nescio quis Gœppingensis, in Academia Tubingensi Mathematicus, qui arrogantia plus quam hæretica tumens non solum factum hoc Pontificis omni memoria dignum, perinde ac cętera omnium Pontificum præcepta, ac leges, pro nihilo habet, atque contemnit, (quod omnium semper hæreticorum fuit proprium) …“. 1710 CLAVIUS, Apologia (QS44), S. 2: „Ediderat quidem prius, ut asserit, aliud examen Germanica lingua conscriptum [= MÄSTLIN, Bericht (QS8)], quod in manus meas nondum pervenit“. Den Titel von MÄSTLIN, Alterum Examen (QS35) gibt Clavius exakt wieder (a. a. O.). Zu Mästlins Defensio (QS42), auf die Clavius erst kurz vor Fertigstellung der Apologia aufmerksam wurde, vgl. den folgenden Abschnitt zur Defensio Antonii Possevini (QS44a). 1705 330 Dirk Steinmetz Abb. 49 Tabelle der beweglichen Feste im Zeitraum 1992-2047 in Clavius’ Explicatio (1603)1799 Weitere drei Kapitel widmen sich dem Mondzyklus: Kap. 25 und 26 erläutern alternative Wege zur Bestimmung der mittleren Neu- und Vollmonde1800, während Kap. 28 die Mondphasenbestimmung nicht nur auf Ebene von Stunden, Minuten und Sekunden, sondern bis hin zu Tertiæ und Quartiæ beschreibt1801. Im nur eine Seite umfassenden Kapitel 23 stellt Clavius klar, dass die inverse Rolle von Frühlings- und Herbstäquinoktium auf der südlichen Hemisphäre keine Auswirkung auf das Oster- 1799 Aus dem Nachdruck der Explicatio in Clavius’ Op. Math. 5 (CLAVIUS, Explicatio (QS62*), S. 394-395). CLAVIUS, Explicatio (QS62*), S. 530-539. CLAVIUS, Explicatio (QS62*), S. 551-560. Die Tertia, also der 60. Teil einer Sekunde, wird im Deutschen als Tertie bezeichnet. Für die Quartia, d. h. den 60. Teil einer Tertie, existiert kein geläufiger deutscher Begriff. Als 3600. Teil einer Sekunde entspricht eine Quartia etwa 278 Mikrosekunden. 1800 1801 Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 331 fest habe, das auf der ganzen Erde stets mit der römisch-katholischen Kirche nach dem Äquinoktium im März zu feiern sei1802. Von allen Angriffen auf den Gregorianischen Kalender fürchtete Clavius offenbar die seiner beiden französischen Gelehrtenkollegen Viète und Scaliger am meisten, denn der Zurückweisung ihrer beiden Kalendervorschläge1803 widmete Clavius jeweils ein eigenes Kapitel1804. Neben kurzen Darstellungen der Alternativvorschläge beinhalten diese Kapitel eine Beschreibung der jeweiligen Fehler (aus Clavius’ Sicht) sowie akribische Auflistungen all derjenigen Jahre, in denen diese Kalender von den Daten des Gregorianischen Kalenders abweichen1805. Responsio ad Convicia et calumnias Iosephi Scaligeri (QS67) Nachdem 1606 Scaligers Thesaurus Temporum (QS66) erschienen war, der Clavius’ mathematische Fähigkeiten stark in Zweifel zog, sah sich dieser erneut veranlasst, den Kampf mit der Feder gegen Scaliger fortzuführen: Clavius veröffentlichte seine langatmige Responsio 1609 in Mainz1806. Sie ist durchweg geprägt durch Anfeindungen und Polemik in exakt demselben Stil und auf gleicher persönlicher Ebene1807 wie die spitzen Bemerkungen Scaligers gegen Clavius im Thesaurus Temporum. Clavius verwendet dabei oft die gleichen oder ähnliche Begriffe gegen Scaliger1808. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit Scaligers Kritik setzt erst im zweiten Drittel der Schrift ein1809 und bekräftigt die Ausführungen von 1595 (QS52) und der Explicatio (QS62)1810. Clavius weist dabei die Vorwürfe bzgl. der unregelmäßigen Schaltung in den Säkularjahren1811 ebenso zurück wie die Kritik am Epaktenzyklus1812, ohne dabei auf polemische Rhetorik zu verzichten. Da Scaliger bereits am 21. Januar 1609 verstarb, wird er diese Schrift ebenso wenig zu Gesicht bekommen haben wie einen im gleichen Jahr erschienenen weiteren Antworttraktat Clavius’ auf eine mathematische Abhandlung von 15941813. Confutatio Calendarii Georgii Germanni (QS68) Glaubt man Clavius, so erlangte er erst 1609 nach dem Druck seiner Responsio an Scaliger (QS67) Kenntnis von dem bereits 1606 erschienenen Computus Ecclesiasticus des Georg Germann (QS65). Wie Mästlin, Viète und Scaliger kritisierte auch Germann die mathema1802 CLAVIUS, Explicatio (QS62*), S. 505. Zu Viète vgl. Kap. IV D 2 z, zu Scaliger Kap. IV D 2 y. 1804 Mit Viètes Kalenderentwurf setzt sich Kapitel 24 auseinander (CLAVIUS, Explicatio (QS62*), S. 505-530), während Kapitel 27 den Vorschlag Scaligers behandelt (ebd., S. 540-551). 1805 Vgl. insbes. CLAVIUS, Explicatio (QS62*), S. 522-528.545-551. 1806 Im Folgenden zitiert als QS67* aus CLAVIUS, Op. Math. 5. 1807 Als Beispiel sei angeführt: „Quæ cum ita sint, facile prudens Lector perspiciet, quam ineptum, puerile & ιδιωτικον sit, putare in annis 304. anticipationem unius diei fieri, & non potius in annis 312½“ (CLAVIUS, Responsio (QS67*), S. 55). 1808 Vgl. insbes. CLAVIUS, Responsio (QS67*), S. 52-54.59. 1809 CLAVIUS, Responsio (QS67*), S. 55-59. 1810 Dabei verweist Clavius oft auf seine drei Schriften Scaligeri Elenchus (QS52), Apologia (QS44) und Explicatio (QS62), z. B. CLAVIUS, Responsio (QS67*), S. 57.59. 1811 CLAVIUS, Responsio (QS67*), S. 56-57. Vgl. Fußnote 1479. 1812 Dies betrifft sowohl den Wert für M mit 312½ im Gegensatz zu 304 (CLAVIUS, Responsio (QS67*), S. 55-56) als auch die Anordnung und Bezeichnung der Epakten im Kalender (ebd., S. 57-59). 1813 Zu Scaligers Tod vgl. ROSENFELD – ZELLER, S. I. Clavius’ Refutatio Cyclometriæ (Mainz 1609) als Antwort auf Scaligers Cyclometria (Leyden 1594) ist ebenfalls abgedruckt bei CLAVIUS, Op. Math. 5 (QS70), im Anschluss an die Responsio (QS67*). 1803 332 Dirk Steinmetz tisch-computistische Ausgestaltung des Gregorianischen Kalenders und damit direkt die wissenschaftliche Basis der Kalenderreform, auf die Clavius besonders stolz war. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich Clavius, der die theologisch motivierten Traktate eines Röslin, Osiander oder Heerbrand unbeantwortet ließ, genötigt sah, eine ablehnende Antwortschrift zu verfassen1814. Darin verwahrt er sich gegen die Rechnung mit wahren Himmelsbewegungen1815 und das Infragestellen der Gregorianischen Schaltregel, welche sogar die schärfsten Kalendergegner Viète und Scaliger ganz selbstverständlich angenommen hätten1816. Bei verschiedenen Einzelaspekten bzgl. Sonnen- und Mondzyklus verweist Clavius auf ausführlichere Darlegungen in seinen bereits erschienenen Schriften, insbesondere der Explicatio, Apologia und der Responsio an Scaliger1817. Dabei treten des Öfteren gemäßigt polemische Bemerkungen hervor1818. Interessant ist in diesem Zusammenhang die rhetorische Frage an Germann, weshalb er seine Vorschläge nicht vor der Reform eingereicht habe, als der polnische König Stephan Báthory dem Compendium zustimmte1819; allem Anschein nach hat der polnische König dem römischen Kalenderentwurf jedoch nie explizit zugestimmt1820. Die zweite Hälfte der Confutatio beruht auf Analysen von Germanns Kalender: Clavius zeigt dabei in verschiedenen tabellarischen Aufstellungen, in welchen Jahren der von Germann ermittelte Ostervollmond in die Zeit vor dem Frühlingsäquinoktium fällt bzw. in welchen Jahren Germanns Kalender Ostern einen Monat zu spät datiert. Grundlage für Clavius ist natürlich der Gregorianische Kalender und die Festlegung des Äquinoktiums auf den 21. März1821. Opera Mathematica V (QS70) In den Jahren 1611 und 1612 erschienen in Mainz schließlich Clavius’ gesammelte mathematischen Werke. Während Clavius die Widmung an den Bamberger Bischof Johann Gottfried von Aschhausen (1609-1622) für den vierten Band noch selbst verfasste1822, erschien der fünfte Band mit den Schriften zur Gregorianischen Kalenderreform erst kurz nach Clavius’ Tod am n6. Februar 16121823. Neben Nachdrucken seiner Hauptwerke Apologia (QS44) und 1814 Auch hier zitiert als QS68* aus CLAVIUS, Op. Math. 5. CLAVIUS, Confutatio (QS68*), S. 5: „An non stultitia est, velle Ecclesiam ad veros motus astringere, & fideles cogere verum æquinoctium supputare?“. Vgl. ebd., S. 5-6. 1816 CLAVIUS, Confutatio (QS68*), S. 5: „Quin etiam Franciscus Vieta vir doctissimus, & Iosephus Scaliger, qui acerrime Gregorianum Calendarium oppugnarunt, non sunt ausi hanc nostram æquinoctii æquationem per 400. annos progredientem reprehendere, sed eam ut probabilem, ultro receperunt“. 1817 Vgl. CLAVIUS, Confutatio (QS68*), S. 3-6. 1818 Z. B. „Ut enim non multo ante dixi, ingenium non desidero in tuis scriptis, sed veritatem in rationibus, iudicium in sententiis, quod inconsulto ea in me scripseris, quæ nec probasti, nec probare unquam poteris; & ea pollicitus sis, quæ nusquam apparent“ (CLAVIUS, Confutatio (QS68*), S. 3); „vide ne tu hallucineris“ (ebd., S. 5). Vgl. auch ebd., S. 2. 1819 CLAVIUS, Confutatio (QS68*), S. 4: „Denique si habebas, quod in Calendario Gregoriano displicebat, quare illud non proposuisti ante eius publicationem, quando Stephanus Poloniæ Rex Compendium Calendarii à Gregorio xiii. ad Principes missum per suos Mathematicos examinavit, atque approbavit“. 1820 Vgl. Abschnitt III C. 1821 Vgl. insbes. CLAVIUS, Confutatio (QS68*), S. 7-8. 1822 Die Widmung datiert vom n1. Januar 1612, d. h. fünf Wochen vor Clavius Tod (CLAVIUS, Op. math. 4, fol. )(2r)(2v). 1823 Vgl. die Widmung im fünften Band, verfasst vom Jesuiten Johannes Reinhard Ziegler, dem Rektor der Mainzer Universität, an Bischof Johann Gottfried von Aschhausen den n25. März 1612: „Hoc unum ad gaudii mei integritatem maxime deest, quod cum nihil optarem magis quam ut R. P. Clavius in ultima iam vitæ meta positus, non ante ex hoc mortalitatis stadio decederet, quam hunc suum partum augustiore à nobis, & nitidiore forma excultum aspirceret ipse, &, si ita videretur, approbaret: multo tamen aliter Deus Opt. Max. evenire voluerit. Nam hoc ipso anno millesimo sexcentesimo duodecimo, die sexta Februarii, cum iam supremam fere operi manum imponeremus, vita defunctus est 1815 Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 Abb. 50 333 Titelblatt des fünften Bandes von Clavius’ Opera Mathematica (1612) Explicatio (QS62) sind im fünften Band der Opera Mathematica auch seine übrigen Schriften zur Verteidigung des päpstlichen Kalenders sowie diejenigen seiner Schüler Rubeo und Castellani enthalten1824. vir ille maximarum virtutum & eruditionis laude celeberrimus. fulgere desiit inter homines insigne illud Mathematicorum sidus, patriæ suæ gloriæ, societatis nostræ decus, Ecclesiæ Christianæ ornamentum, de quo quam præclare omnes senserint …“ (CLAVIUS, Op. math. 5 (QS70), fol. ):(2r-):(2v). 1824 Vgl. die Zusammenstellung im folgenden Abschnitt. 344 b) Dirk Steinmetz Inhaltliche Zusammenfassung Fürwar diese Mammelucken / so sich Lutherisch oder Evangelisch rühmen / und doch den Päpstischen Calender annemen / in Kärnten / Steyer / Kräin / öber und unter Oesterreich / in Böhem / Mähern / Schlesien / und anderßwo / werdens zu letzt wol erfahren / was sie gethan haben / wenn Jesus Christus kommen wird / zu richten die Lebendigen und die Todten. Marcus Volmar1894 Die Vorstellung der einzelnen Schriften in den vorangegangenen Unterkapiteln zeigt, wie vielfältig die Argumente für und gegen die Kalenderreform waren, die teils auf sachlicher, teils auf polemischer Ebene ausgetauscht wurden. Zu unterscheiden ist die inhaltliche Betrachtung des neuen Kalenders und seiner Auswirkungen von der Bewertung der Reform in organisatorischer Hinsicht. Darüber hinaus sind Unterschiede erkennbar bei Werken mit wissenschaftlichem Anspruch im Gegensatz zu Schriften, die für die „Allgemeinheit“ gedacht waren1895. Auf sachlich-inhaltlicher Ebene dominieren naturgemäß mathematisch-astronomische Argumente. Zu nennen sind Diskussionen um die Bestimmungen des Gregorianischen Kalenders in Bezug auf den Sonnen- wie auch den Mondzyklus. Diese erstrecken sich auf folgende Aspekte: • Genauigkeit der zugrunde liegenden astronomischen Tafeln, und damit die Beständigkeit des neuen Kalenders • Zugrundelegung der mittleren Bewegungen von Sonne und Mond (statt der tatsächlichen) • Rückführung des Frühlingsäquinoktiums auf den 21. März (anstatt 24./25. März) • Schaltregel mit Auslassung der Schalttage in drei von vier Säkularjahren • Einführung des Epaktenzyklus und Abschaffung der Goldenen Zahlen. Während die Reformbefürworter die Vorzüge des immerwährenden Gregorianischen Kalenders loben und seine einfache Handhabung preisen, bezweifeln die Reformgegner dessen Genauigkeit und Beständigkeit, kritisieren die neue Schaltregel und den Epaktenzyklus und unterbreiten bisweilen eigene Vorschläge. Zur ersten Gruppe gehören z. B. Martelli, Zarlino, Graminäus und insbesondere Clavius, die die Grundlagen und Hintergründe des neuen Kalenders näher erläutern. Als Vertreter der sachlich-wissenschaftlichen Argumentation gegen den Gregorianischen Kalender seien beispielhaft Mästlin, Scaliger, Viète und Kalwitz genannt. Sie suchten den wissenschaftlichen Diskurs1896, auf den Clavius – aus nachvollziehbaren Gründen – zu diesem Zeitpunkt keinen Wert mehr legte. Gerade weil aber Clavius und seine Schüler die sachlich-wissenschaftlichen Argumente am meisten fürchteten, entwickelte sich der publizistische Streit mit Mästlin, Scaliger und Viète zu scharfen, hasserfüllten Auseinandersetzungen und verließ damit die sachliche Ebene1897. 1894 VOLMAR, Epistel (QS40), fol. B4r. Für die dezidiert wissenschaftliche Ausrichtung seien beispielhaft BUSAEUS, Disputatio (QS31), MÄSTLIN, Alterum examen (QS35) oder SCALIGER, Elenchus et castigatio (QS51) angeführt, stellvertretend für die Schriften für den gemeinen Mann seien CANOBBIO, Ragionamento (QS2), das Kurtzweilig Gesprech (QS18/QS19), die Baurenklag (QS21 bzw. QS24/QS27) sowie die Schrift Warer Bericht (QS22/QS23) genannt. 1896 Auch wenn Mästlin mit seinem Alterum Examen (QS35) bereits 1586 provozierte. 1897 Kalwitz nimmt insofern eine Sonderstellung ein, da seine Schriften einerseits erst nach dem Tod Clavius’ erschienen, andererseits sehr auf Ausgleich bedacht waren. 1895 Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 1 ZANTI, GIOVANNI Blado Discorso sopra la riforma dell’anno 4° 8 S. 349 Rom BAV Rom: Stamp. R.I.IV.1887(1) 1582 IV D 1 a Discorso sopra la riforma dell’anno fatta da N. S. Gregorio Papa XIII. Con le cause, per le quali sono stati levati li dieci giorni. Raccolte per M. Giovanni de Zanti, Academico et Profeßore della Scientia Astronomica in Bologna. In Roma, Per gli Heredi d’Antonio Blado Stampatori Camerali. 1582. 2 CANOBBIO, ALESSANDRO Ragionamento sopra la riforma Zanetti 16 S. Rom BAV Rom: Stamp. R.I.IV.1887(6) 1582 IV D 1 b Ragionamento di Alessandro Canobbio, sopra la riforma, fatta da N. S. Papa Gregorio XIII. l’anno M. D. LXXXII. In Roma, Appresso Francesco Zanetti, M. D. LXXXII. 3 MARTELLI, UGOLINO La chiave del Calendaro Gregoriano 8° Lyon 399 S. BLF Florenz: Bardi 5° 112 BNCF Florenz: Palat. (11).C.2.1.29 BNCR Rom: 12.23.E.17.1 ÖNB Wien: 72.N.104 1583 IV D 1 c La Chiave del Calendaro Gregoriano. Del R. M. Hugolino Martelli Vescovo di Glandeva. Al R. M. Ottavio Bandini Abate di Casanuova Refer. Apostolico. In Lione, 1583. Con Licentia degli Superiori. 4 ZARLINO, GIUSEPPE Polo Resolutioni de alcuni dubii Venedig 1583 BNCF Florenz: Palat. A.9.2.24.3 IV D 1 d BAV Rom: Stamp. Racc.I.IV.963 Resolutioni de alcuni dubii sopra la correttione dell’Anno di Giulio Cesare, ordinata dalla S. D. N. S. Papa Gregorio XIII. Del Rever. M. Gioseffo Zarlino da Chioggia, Maestro di Capella della Ser. S. di Venetia. In Vinetia, Appresso Girolamo Polo. M D LXXXIII. 5 4° RÖSLIN, HELISÄUS Rihel 35 S. Kurtz Bedencken 4° 111 S. WLB Stuttgart: HBF 5232 BLB Karlsruhe: 77 A 17201 R Straßburg 1583 K: 520, S: 8, V: 652 IV D 2 d (Nachdr. in QS16) Kurtz Bedencken Von der Emendation deß Jars / durch Babst Gregorium den XIII. fürgenomen / und von seinem Kalender / nach ihm Kalendarium Gregorianum perpetuum intituliert / Ob solcher den Protestierenden Ständen anzunemen seie oder nicht. Mit angehencktem Prognostico inn was zeiten wir seien / auß den Propheten Daniele / Zacharia / und Apocalypsi Johannis hergefürt / und was wir zugewarten haben. Gestellt Durch Lambertum Floridum Plieningerum, im Jar M. D. LXXXIII im Monat Januario / zur Warnung und auffmunderung der Christenheyt / sonderlich Deutscher Nation. Esaiæ 66 sagt der Herr. Ich will erwehlen / das sie verspotten / und was sie schewen / will ich uber sie kommen lassen. Gedruckt zu Straßburg / durch Josiam Rihel. 6 MOLLER, TOBIAS Beyer für Hütter Gründtliche Wiederlegung 4° 39 S. WLB Stuttgart: HBF 5234 UB Augsburg: BS 4300 K14 G8(3) Leipzig 1583 K: 537, S: 6, V: 630 IV D 2 e (Nachdr. in QS16) Gründtliche Wiederlegung Sambt eigentlicher Beschreibung / der jenigen Restitution Anni und Calendarii / so sich dermal eins / nach viel darauff gewendten mühe und unkosten / hervor gethan / und sehen lassen / Im Jar / M. D. LXXXIII. Allen Potentaten / Fürsten / und Stenden des heiligen Römischen Reichs / sambt all derselben Gelehrten / und Bewandten / Auch allen Reichsstädten zur nachrichtung / auff das dieselbige / weil sie aus gantz keinem Fundament noch Grunde gesetzet / nicht Publicirt / oder ins Werck gerichtet werden möge / beschrieben. Und sambt kurtzer anzeigung / wie unnd welcher gestalt / eine solche hochnötige Emendation richtig und gantz volstendig zu uberkommen / unnd endlichen ins werck zu richten. Mit vleis erkleret / und den sehr schönen Künsten der Astronomiæ zur Rettung gesetzet. Durch M. Thobiam Mollerum / Astronomum. [Gedruckt zu Leipzig / Bey Johann Beyer / In verlegung Simon Hütters / Im Jar / M. D. Lxxxiii.] 7 GRAMINÄUS, DIETRICH Buyss Exhortatio de Calendarii correctione 4° Düsseldorf 1583 40 S. ÖNB Wien: 72.F.74.(4) IV D 3 a BAV Rom: Stamp. R.I.IV.1887(9) Exhortatio de exequenda Calendarii correctione, quam S. D. N. Gregorius XIII. Pont. Max. edi, promulgari et per Italiam cæterasque orbis Christiani partes Anno M. D. lxxxii observari mandavit. Ad sacram Cæsaream Maiestatem, Imperii electores ac Principes, cæterosque status: imprimis verò ad Illustrissimos ac Reverendissimos Principes ac Dominos, D. Ernestum Episcopum Leodiensem, Administratorem Hildesheymensem et Freisingensem, Comitem Palatinum Rheni et Ducem Bavariæ etc. Item D. Johannem Wilhelmum, Postulatum Administratorem Monasteriensem, Iuliæ, Cliviæ et Montium, etc. Ducem hæreditarium, Dominos suos clementissimos, directa et scripta. Per Theodorum Graminæum, Philosophiæ Doctorem, etc. Dusseldorpii Excudebat Albertus Busius, Anno 1583. Quellenverzeichnis – ebd., S. 89-98), sowie bei VOCELKA (Abkürzung „V“ und Angabe der Nummer im dortigen Quellenverzeichnis). Falls Nachdrucke der entsprechenden Schrift bekannt sind, wird auf diese hier verwiesen. Die Schriften von HEERBRAND (QS15) und EICHLER (QS12) sind auch bei SMOLINSKY, Deutungen der Zeit, S. 44-53 angeführt. 370 Dirk Steinmetz worden zu sein, einige reformierte Gemeinden mussten allerdings im Februar 1687 nochmals ermahnt werden1978. 3. Die Einführung des Verbesserten Kalenders (1700) Ende des 17. Jh. schließlich bemühten sich drei protestantische Gelehrte um die Beendigung des Nebeneinanders zweier Kalender1979: der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716), sein Lehrer Erhard Weigel (1625-1699) und der dänische Astronom Ole Rømer (1644-1710)1980. Einerseits drohten nach dem Frieden von Rijswijk 1697 in einigen Gegenden des Reiches erneut Kalenderunruhen, andererseits rückte das Jahr 1700 immer näher, das im Julianischen Kalender ein Schaltjahr mit 366 Tagen, nach der verbesserten Schaltregel des Gregorianischen Kalenders jedoch ein Gemeinjahr mit 365 Tagen sein würde. Damit hätten sich die 10 Tage Differenz zwischen altem und neuem Stil, mit denen man im 17. Jh. umzugehen gelernt hatte, um einen weiteren Tag auf elf Tage erhöht1981, erneute Verwirrungen wie Ende des 16. Jh. waren zu erwarten. Rømer, der für die Einführung des Gregorianischen Kalenders bei den Protestanten eintrat, wandte sich an König Christian V. von Dänemark (1670-1699) und begründete seinen Standpunkt damit, dass die Protestanten den Gregorianischen Kalender früher oder später doch annehmen würden; denn schließlich sei eine übereinstimmende Zeitrechnung vorteilhafter als ein 1978 HUNDINGER, S. 42-43; Nochmals die Einführung, Sp. 43. Während von der deutschreformierten Gemeinde in Mannheim wie von der Heidelberger Universität bekannt ist, dass sie ab dem n22. Februar 1686 nach dem neuen Kalender datierten, endet im Protokollbuch des Mannheimer Stadtrats die alte Datierung schon mit Samstag, dem a6. Februar, um ab dem folgenden Montag (a08./n18.02.) doppelt nach altem und neuem Stil zu datieren (Nochmals die Einführung, Sp. 43). Um die Reformierten vom Vorteil des Gregorianischen Kalenders zu überzeugen, hatte der Heidelberger Universitätsprofessor Dr. Mieg ein Gutachten verfasst und drucken lassen (HUNDINGER, S. 42-43). In der Verordnung des Heidelberger Kirchenrats vom n21. Februar 1687 wurde nochmals ausdrücklich auf den politischen Charakter der Kalenderreform hingewiesen, die Reformierten wurden zur Beachtung des neuen Kalenders ermahnt. Zugleich wurde den Gemeinden in den kurpfälzischen Grenzgebieten folgendes Zugeständnis gemacht: „So viel zwar diejenigen Pfarrer, so an gräntz orthen wohnen, belangend, kan umb der fremden Communicanten willen die Communion auf den alten Oster- und Pfingsttag, und also den Sambstag zuvor auff gewöhnliche weise eine Vorbereitungspredigt zu halten, wohl verstattet werden, Jedoch daß under diesem Vorwandt der alte styl nicht eingeführet werde, darumb man dann auch auff den montag drauff keineswegs feyren soll.“ (zit. nach HUNDINGER, S. 43; vgl. NÜßLE, Sp. 17). 1979 Zum gesamten Abschnitt siehe GOLDSCHEIDER, S. 3-6; GINZEL III, S. 272-274. Die von SCHAUROTH (Bd. I) veröffentlichten Beschlüsse und Schreiben des Corpus Evangelicorum geben einen detailierten Überblick über die damaligen Verhandlungen; die 1698 und 1699 diesbezüglich geführte Korrespondenz Kaiser Leopolds I., dem lediglich die Rolle eines außenstehenden Beobachters zukam, befindet sich im HHStA, Reichsakten in specie, Fasc. 3, konv. 1. 1980 Aus einer kleinbürgerlichen Familie in der Oberpfalz stammend, musste Weigel sein Studium in Leipzig als Astrologe und Kalendermacher finanzieren; seit 1652 Mathematikprofessor in Jena – Leibniz gehörte dort zu seinen Schülern –, verfasste er über 100 Schriften auf den Gebieten der Mathematik, Astronomie, Physik, Pädagogik, Rechtswissenschaft, Geschichte, Geographie und Ethik. Als späterer Hofmathematiker und Oberbaudirektor der Herzöge von Sachsen-Weimar trat er außerdem mit ideenreichen technischen Erfindungen hervor (HOFMANN, Weigel, Sp. 3056). Der in Aarhus geborene Astronom Rømer verweilte von 1672 bis 1681 als Erzieher am Hof und Mitglied der Akademie in Paris; nach seiner Rückkehr nach Dänemark wurde er Mathematikprofessor und Direktor der Sternwarte in Kopenhagen, wo er 1710 starb (ZIMMERMANN – WEIGERT, S. 346). Zu Leibniz’ Leben und seiner umfangreichen wissenschaftlichen Tätigkeit in den verschiedensten Disziplinen siehe z. B. HOFMANN, Leibniz, Sp. 1606-1609. 1981 Nach dem Gregorianischen Kalender folgte dem n28.02.1700 (= a18.02.1700) ohne Schalttag sofort der n01.03. (= a 19.02.), während nach dem Julianischen Kalender zehn Tage später dem a28.02.1700 (= n10.03.1700) der a29.02. (= n 11.03.) als Schalttag und diesem dann der a01.03.1700 (= n12.03.1700) folgte. Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 371 möglicherweise noch genauerer Kalender, den wiederum die Katholiken nicht einführen würden. Rømer wies dabei auf den äußerst geringen Fehler des Gregorianischen Kalenders hin. Um das Anwachsen der Differenz auf elf Tage zu vermeiden, biete sich das Jahr 1700 zur Annahme des Gregorianischen Kalenders an, zumal eine fortdauernde Ablehnung aus religiösen Gründen nicht mehr zur Kirchenpolitik des ausgehenden 17. Jh. passe. Dänemark könne in dieser Angelegenheit die Vorreiterrolle unter den europäischen Protestanten übernehmen1982. Christian V. zeigte sich Rømers Vorschlag gegenüber aufgeschlossen und versuchte, den nördlichen Nachbarn Schweden einzubeziehen – allerdings ohne Erfolg. Mit ihrem Anliegen stießen sowohl Rømer als auch Weigel bei ihren Missionen in Schweden auf Ablehnung, wo man auf den Aberglauben des gemeinen Mannes hinwies, der sich bei der Zeitrechnung seit alters her einzig und allein auf seinen Primstock verließ und die beweglichen Feste mittels Goldener Zahl und Sonntagsbuchstaben bestimmte1983. Im Reich mehrten sich unterdessen die Publikationen bezüglich einer Kalenderangleichung, sie enthielten neben Befürwortung und Ablehnung verschiedene Vorschläge zur Verbesserung des Kalenders1984. Beraten und unterstützt durch Erhard Weigel, arbeitete das Corpus Evangelicorum, in welchem sich die protestantischen Reichsstände zusammengeschlossen hatten, an einer Lösung des Kalenderproblems1985. Der Jenaer Mathematiker1986 musste bald erkennen, dass ein Beschluss zur Einführung des unveränderten Gregorianischen Kalenders nicht zu erreichen war, woraufhin er 1698 einen Kompromissvorschlag unterbreitete. Dieser folgte bei der Datierung (Sonnenkomponente) dem Gregorianischen Kalender, wich bei der Berechnung des Osterdatums jedoch davon ab. Durch Überspringen von zehn Tagen sollte dem a15. November 1699, dem Namenstag Kaiser Leopolds I., unmittelbar der n26. November folgen. In Zukunft sollte dann die gregorianische Schaltregel gelten, wonach jedes vierte Jahr ein Schaltjahr war mit Ausnahme der nicht durch 400 teilbaren Säkularjahre1987. Der Frühlingsvollmond sollte hingegen nicht zyklisch, sondern astronomisch ermittelt werden1988. 1982 GOLDSCHEIDER, S. 4. Zu den Primstöcken und der damit zusammenhängenden Problematik vgl. GOLDSCHEIDER, S. 4-5.12-14, der zugleich darauf hinweist, wie gering die Verbreitung gedruckter Kalender in Schweden im Vergleich zu Mitteleuropa war. Sowohl die schwedische Regierung als auch die schwedischen Astronomen scheinen für den Fall einer Kalenderänderung nicht geringe Verwirrungen und Unruhen befürchtet zu haben. 1984 GOLDSCHEIDER, S. 5. 1985 Die Beschlüsse und Schreiben des Corpus Evangelicorum wurden ediert von SCHAUROTH (bis Mitte 18. Jh.; Fortsetzung bis 1786 von HERRICH), die den Kalender betreffenden Schriftstücke finden sich im ersten Band, S. 177268; die im folgenden angegebenen Nummern beziehen sich auf diesen mit Calender-Sache überschriebenen Teil 1986 Das Corpus Evangelicorum bezeichnete Weigel in einem Schreiben an den schwedischen als „Mathematicus Cæsareus & Saxonicus“ (SCHAUROTH I, Nr. 2, S. 179). 1987 WEIGEL, Entwurff, fol. A2v-A3r: „Wenn der bißhero bey denen Evangelischen gebräuchliche alte Stylus im nächstfolgenden 1699sten Jahr biß auf den hoch zu venerirenden Nahmens-Tag Ihro Käyserlichen Majestät Leopoldi (welches der 15. Novembris und an einem Mitwoch gefällig ist) inclusive gebraucht worden; folglich der im neuen Stylo gegenüberstehende 25. Novembris, der auch auf einen Mitwoch fället, gleichfals vorbey ist: so müssen nach solchen 15/25. November. im alten Julianischen Stylo 10. Tage (dem blossen Zählen nach) übergangen werden; so daß man auf den nach Leopoldi folgenden Donnerstag, anstatt des 16. den 26. Novembr. mit dem neuen Stylo zugleich schreibe. Worauf so dann ferner am Freytag der 27. Novembr. am Samstag der 28. Novembr. zusamm kommet, und am Sonntag als den 29. der 1. Advents-Sonntag, am 30. Andreas-Tag, beyderseits zugleich fallen muß … In dem darnach angehenden neuen Seculo wird eben also mit einfacher Zählung der Täge continuirt, und werden solcher Gestalt die bißhero discrepante Styli, nach einmal getroffener Conciliation, künfftighin zu allen Zeiten in beständiger Harmonie erhalten, wann nur in denen Centurien – Schalt-Jahren, nemlich jetzo Anno 1700. und künfftig Anno 1800. und 1900. etc. der sonst im Februario einzuschaltende Tag ausgelassen wird …“. 1988 WEIGEL, Entwurff, fol. A3v-A4v. Zuständig für diese Ermittlung sollte ein „Collegium Artis-Consultorum“ sein. 1983 386 Dirk Steinmetz Ratsherren widersetzten sich damit der Aufforderung des Corpus Evangelicorum vom 22. Februar 1724, Ostern mit den Glaubensbrüdern im Reich bereits am 9. April zu feiern. Zur Begründung verwiesen sie darauf, dass sich Augsburg bereits seit Ende des 16. Jh. nach dem Gregorianischen Kalender richte und somit den Verbesserten Kalender gar nicht eingeführt habe. Untermauert wird die Argumentation mit Verweis auf den damaligen Augsburger Kalenderstreit und den Nutzen gemeinsamer Feiertage in der Stadt2052. Im Vorfeld des Osterfests 1744 versammelte sich das Corpus Evangelicorum am 15. Mai 1743 und beschloss, auch diesmal am Verbesserten Kalender festzuhalten und Ostern wieder eine Woche vor den Katholiken zu feiern2053. Begründet wurde dies insbesondere damit, dass die Festlegungen des Verbesserten Kalenders nach wie vor zum astronomisch korrektesten Osterdatum führten. Am 26. Juni wurden Schreiben an den dänischen König, die Vereinigten Niederlande sowie die evangelischen Schweizer Kantone verschickt mit der Bitte um Geschlossenheit der protestantischen Staaten2054. Die Aufforderung Kaiser Karls VII. zur „Vergleichung des Calender-Wesens“ vom September 1743 kam natürlich zu spät2055, doch zeigten die anschließenden Reaktionen aller Seiten, dass man – im Gegensatz zu 1724 – guten Willens zur gegenseitigen Verständigung war. Das Corpus Evangelicorum arbeitete einen pragmatischen Vorschlag bzgl. der Reichskammergerichtsferien aus2056, der von Karl VII. aufgegriffen und dem Reichskammergericht angeordnet wurde2057. Das Osterfest 1744 wurde von den katholischen Reichsständen am 5. April nach dem Gregorianischen Kalender, von den Protestanten hingegen bereits am 29. März nach dem Verbesserten Kalender gefeiert2058. Dass dies das letzte getrennt gefeierte Osterfest im Reich war, sollte indes erst die Zukunft zeigen. 5. Der Allgemeine Reichskalender (1776) Im Jahr 1778 standen wieder potentielle Osterdifferenzen bevor, ohne dass seither Versuche zur Lösung der „Calender-Sache“ unternommen worden wären. Am 16.08.1775 beratschlagte sich daher das Corpus Evangelicorum erneut, auf welchen Termin das protestanische Osterfest 1778 fallen solle2059. 2052 SCHAUROTH I, Nr. 28, S. 210-212. Die Reformierten in der Kurpfalz mussten Ostern ebenfalls am 16. April feiern, da der katholische Kurfürst Karl Philipp die Ansicht vertrat, dass der Gregorianische Kalender 1700 reichsweit eingeführt worden sei (GOLDSCHEIDER, S. 7). 2053 SCHAUROTH I, Nr. 48, S. 258. 2054 SCHAUROTH I, Nr. 49-51, S. 259-262. Das positive Antwortschreiben aus der Schweiz folgte am 7. August (SCHAUROTH I, Nr. 52, S. 263); auch Dänemark folgte den Protestanten im Reich (vgl. Kap. IV F 2). Eine Antwort aus den Vereinigten Niederlanden ist nicht überliefert. 2055 SCHAUROTH I, Nr. 53, S. 264-265. 2056 SCHAUROTH I, Nr. 54, S. 265-266. Demnach sollten die Ferien im Februar (Fastnacht) komplett entfallen, stattdessen vom 26. März bis 8. April (beide Osterfeste einschließend) sowie vom 4. bis 30. Mai (Himmelfahrt und Pfingsten beider Konfessionen einschließend) gehalten werden. 2057 SCHAUROTH I, Nr. 56, S. 268. Vgl. GOLDSCHEIDER, S. 7. 2058 GROTEFEND, Taschenbuch, S. 158-159.172-173.220. Die übrigen von Ostern abhängigen Festtage wurden von den Protestanten natürlich ebenfalls eine Woche vor den Katholiken begangen. 2059 Das Conclusum datiert vom 16.08.1775 (HERRICH, Nr. 1, S. 36-37). Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 387 Im Vergleich zu 1724 und 1744 gab es allerdings kleine, aber signifikante Unterschiede: • Die Beratung und Beschlussfassung erfolgte knapp drei Jahre vor dem betreffenden Ostertag, also mit deutlich größerem zeitlichen Vorlauf2060. • Der astronomisch bestimmte Ostertag (12.04.1778) fiel mit dem jüdischen Passahfest zusammen, so dass er gemäß den Beschlüssen von 17232061 um eine Woche verschoben werden sollte. Unter Verweis auf neueste Berechnungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften wurde dies bestätigt und das protestantische Osterfest auf den 19. April 1778 festgesetzt, also denselben Tag, der auch im Gregorianischen Kalender verzeichnet war2062. • Das Corpus Evangelicorum stellte in seinem Conclusum in Aussicht, noch im selben Jahr eine allgemeine, dauerhafte Lösung zu finden2063. Dieser Ankündigung vom August 1775 folgte auf Betreiben Brandenburgs bereits am 13. Dezember 1775 eine Sitzung, auf welcher die „Calender- und Osterfeyer-Sache“ debattiert und einstimmig die Annahme des Gregorianischen Kalenders unter dem Namen Verbesserter Reichs-Kalender beschlossen wurde2064. Nach Abstimmung mit dem Corpus Catholicorum und dem Reichsstädtekollegium sandte das kurmainzische Direktorium am 29. Januar 1776 ein entsprechendes Reichsgutachten an Kaiser 2060 Im Jahr 1724 waren es 14 Monate gewesen, 1744 sogar nur 10 Monate gewesen. Vgl. Fußnote 2031. HERRICH, Nr. 1, S. 37: „Da nun neulich erst von der Königlich-Preußischen Societät der Wissenschaften zu Berlin die zuverlässige Nachricht zu vernehmen gewesen, wie, auf die von ihr jüngst wiederum genauest vorgenommenen astronomischen Berechnungen, sich gezeiget habe, dass der erste Ostertag besagten 1778sten Jahrs, nach jenem astronomischen Calculo, auf den 12ten April, solchemnach zugleich auf den von den Juden zu feyernden Ostertag einfalle: Also werde nunmehro, bey solcher der Sache Bewandniß, und um jener Disposition des Concilii Nicæni sorgsamst auch ferner hierunter noch nachzugehen, von Einem Hochlöblichen Corpore Evangelicorum der bereits so mehr angezogenen Vorschrift des Conclusi vom 30sten Januarii 1723. anderweit lediglich hiermit inhæriret, und sonach festgesetzet, dass die gleichmäßig schon hierinnen regulirte Hinausstellung des Oster-Festes auf weitere 8. Tage in dem eben besagten Jahre 1778. Evangelischer Seite allgemein und durchgehends anzunehmen, folglich der erste Tag des Oster-Festes auf den 19ten April zu bestimmen sey …“. 2063 HERRICH, Nr. 1, S. 37: „… wornächst, so viel die annoch obwaltende Haupt-Calender-Differenz-Angelegenheit betrift, man das nähere darunter ehestens, und so viel möglich, noch währenden Laufs des jetzigen Jahres, zu beschliessen sich vorbehält“. 2064 HERRICH, Nr. 3, S. 41: „So ist darauf, nach eingeholten Instructionen, von Seiten Eines hochlöblichen Corporis Evangelicorum einmüthig dafür gehalten und beschlossen worden, dieser nicht unbekannten Calender-Differenz, kraft habender ohnstreitiger Befugnisse, aus freyem Willen und nach eigenem Gefallen, sonderlich aber zum Besten des Handels und Wandels, auch zu völliger Abschneidung aller, besonders in gemischten Landen, zu befahrender Unordnungen oder Missverständnisse, endlich auf einmal auszuweichen, mithin, wann zumalen über kurz oder lang keine richtigere Zeit-Berechnung als die Tabulæ Rudolphinæ zum Vorschein kommen, und allerseits für annehmlich erachtet werden sollte, sich mit dem Catholischen Reichs-Theil dahin zu vereinbaren, dass man, unter ausdrücklichem Vobehalt allerseitiger landesherrlichen Hoheits-Rechte im geist- und weltlichen, besonders aber des Juris liturgici, welche hierdurch, nach ihrem ganzen Umfang, auf das feyerlichste verwahret werden, sobald der nach der Cyklischen Zeit-Rechnung eingerichtete sogenannte neue Calender mit dem Namen eines verbesserten Reichs-Calenders beleget und zum öffentlichen Druck befördert werden wolle, fürs künftige die Auferstehung des Heylands, oder das Osterfest, sammt denen davon abhangenden diesseitigen beweglichen Festtagen zu gleicher Zeit und auf einem Tag mit und nebst demselben zu feyern, sodann diese Entschliessung in allen evangelischen Reichs-Landen und Orten nicht nur zur Beobachtung öffentlich verkündigen, sondern auch Einer höchstansehnlichen Kaiserlichen Principal-Commission, so wie dem Chur-Maynzischen Reichs-Directorio nachrichtlich in Freundschaft ohnverhalten, wie nicht weniger allen auswärtigen evangelischen Mächten zum beliebigen Beytritt geziemend eröfnen zu lassen, nunmehro gemeynet und entschlossen seye“. Vgl. das Sitzungsprotokoll (HERRICH, Nr. 2, S. 37-40). Vgl. GINZEL III, S. 274. 2061 2062 392 Dirk Steinmetz F Nicht-katholisches Europa und Übersee 1. Die evangelischen Schweizer Kantone Nachdem die katholischen Orte der Eidgenossenschaft im November 1583 die Einführung des neuen Kalenders in ihren Gebieten angekündigt und im Januar 1584 im Alleingang vollzogen hatten2080, lud Zürich die evangelischen Städte und Zugewandten zu einer Konferenz nach Lenzburg ein, um über die Folgen dieses katholischen Schrittes zu beraten. Bei dieser Zusammenkunft erteilte man einer Annahme des neuen Kalenders in den evangelischen Territorien einstimmig eine Absage, die man mit unterschiedlichen Argumenten begründete: Hierzu gehörte die päpstliche Bannandrohung ebenso wie das Verhalten der katholischen Stände, darüber hinaus machte man astronomische Ungenauigkeiten geltend2081. In der Folgezeit musste man sich auch in der Eidgenossenschaft an das Nebeneinander zweier Kalender gewöhnen, das Unannehmlichkeiten, hin und wieder auch kleinere Streitigkeiten mit sich brachte2082; die Einführung der neuen Zeitrechnung in den evangelischen, beim Julianischen Kalender verbliebenen Territorien war indes über hundert Jahre lang kein Thema mehr2083. Angesichts der bevorstehenden Vergrößerung des Unterschieds der beiden Kalender auf 11 Tage zum n1. März 1700 machten sich vor allem die Genfer Bürger erneut Gedanken über die Kalenderreform2084 und initiierten einen entsprechenden Briefwechsel mit Zürich und Bern2085. Doch erst das am a30. Dezember 1699 verfasste Schreiben des Corpus Evangelicorum „an die Reformirte Schweizerische Cantons. Wegen Einführung des verbesserten Calenders.“ brachte Bewegung in die Sache. Die in Regensburg versammelten Vertreter der evangelischen Reichsstände baten die eidgenössischen Protestanten darin, den Verbesserten Kalender wie im Reich zum n1. März 1700 anzunehmen, um eine „durchgehende Conformität“ der Evangelischen „in- und ausserhalb des Reichs“ zu gewährleisten2086. Da das Schreiben jedoch erst am a25. März 1700 in Zürich abge- 2080 S. o., Kap. IV C 4 f. THOMMEN, S. 284. 2082 S. o., Kap. IV C 4 f. 2083 Vgl. THOMMEN, S. 293. 2084 In der Sitzung des Rats der Zweihundert am a5. April 1699 besprach man verschiedene „proposites pour le bien public“, darunter auch folgenden Vorschlag den neuen Kalender betreffend: „Que l’on examine s’il ne seroit pas à propos de réformer notre calendrier en suivant le nouveau stil et éviter par ce moyen l’embarras où l’on se trouvera au prochain mois de mars, que le stil nouveau devancera le vieux d’onze jours au lieu de dix, et, pour cet effet, nous en entendre avec nos alliés.“ (zit. nach LE FORT, S. 349). In den Genfer Ratsprotokollen von 1582 steht unter dem a10. Dezember: „Changement d’année. Estant proposé que suyvant le changement advisé par le pape esté faict aux almanachs ayans commencé desjà dès le 10 de octobre dernier à compter le 20, à quoy on s’est conformé en France, Savoie et aultre part, et estant proposé s’il seroit bon de faire de mesmes pour remédier aux désordres et confusions des dates, ce nonobstant, a esté arresté qu’on attende ce qui en sera advisé à la prochaine journée de Baden“ (zit. nach LE FORT, S. 348). 2085 LE FORT, S. 349-350 (Zeitraum: Ende 1699 bis Februar 1700). 2086 SCHAUROTH I, Nr. 12, S. 192-193: „Wann nun dem Evangelischen Wesen insgesamt gar viel daran gelegen, daß alle, aus der bisherigen discrepanten Zeit und Fest-Rechnung entstandene Confusion bald möglichst abgeschaffet, und hergegen in einer so nöthigen und gemein nutzigen Sache aller und jeder Evangelischen Landen in- und ausserhalb des Reichs, eine durchgehende Conformität eingeführet werde; Als ersuchen wir unsere Hoch- und Vielgeehrte Herren im Nahmen und auf Befehl unserer gnädigst und gnädigen Herren Principalen, auch Obern und Committenten hiemit Freund-dienstlich, Sich auch Ihres Orts gefallen zu lassen, und die fördersamste Verfügung zu machen, damit 2081 Die Gregorianische Kalenderreform von 1582 393 geben wurde, konnten die reformierten Kantone diesen Termin nicht einhalten2087. Sie antworteten dem Corpus Evangelicorum am a18. April, dass sie die Einführung des Verbesserten Kalenders begrüßten, sich zuvor aber mit den katholischen Kantonen bezüglich der gemischt-konfessionellen gemeinsamen Herrschaften verständigen wollten2088. Auf einer gemeinsamen Versammlung der reformierten Orte sowie der Städte St. Gallen, Mühlhausen im Elsass und Biel wies St. Gallen warnend auf diverse Kalenderstreitigkeiten in der Vergangenheit hin, während Evangelisch Glarus vor einer Zustimmung auf einem Mehrheitsentscheid seiner Landleute bestand, so dass man das Thema auf die nächste gemeineidgenössische Tagsatzung im Juli vertagte2089. Vor den versammelten Ständen berichtete Zürich auf dieser Tagsatzung über die Einführung des Verbesserten Kalenders bei den Protestanten im Reich und deren Schreiben an die evangelischen Kantone, um anschließend den katholischen Kantonen zu versichern, dass dieser Schritt keinerlei Angriff auf die katholische Religion darstelle. Die katholischen Orte gaben ihr Einverständnis, so dass man evangelischerseits beschloss, den Verbesserten Kalender durch Übergang vom a31.12.1700 auf den n12.01.1701 einzuführen2090. Auf diese Weise obbemerckt-verbesserter Julianischer Calender ebenmäßig in denen Löbl. Cantons und zugewannten Orten Evangelischen theils, sonder Maaßgabe angenommen und eingeführt werden möge“. Vgl. LE FORT, S. 350. 2087 Überbringer war der Leibarzt des Markgrafen von Baden-Durlach, wie aus dem Antwortschreiben des Kantons Zürich vom a25.03.1700 hervorgeht: „Alldieweilen uns Ew. Excell. und der Herren unterm 30. Decembris nächst abgeloffenen Jahrs an gesamte Evangelische Eydgenoßenschafft dirigirt sehr werthe Notifications- und InvitationsSchreiben, zu Annehmung des neu verbessert- Julianischen Calenders, heut dato von Ihrer Durchl. des Herrn Marggrafen zu Baaden-Durlach abgeordneten Leib-Medico, Herrn Doctor Harder, übergeben worden …“ (SCHAUROTH I, Nr. 15, S. 195-196). 2088 SCHAUROTH I, Nr. 16, S. 196-197: „Also möchten keinen fernern Umgang nehmen, Ew. Excell. und denen Herren in Freund-geziemender Antwort zu verdeuten, daß wir zwaren, um die Acceptation des besagten neu verbesserten Calenders kein Bedenckens tragen: Weilen aber wegen mit unsern mitverbindeten Löbl. so guten Catholischen Orten respective gemeinhabender von beyden Religionen vermischter Herrschafften annoch ein etwelches Religions-Interesse hierunter versiret, als befinden wir uns bemüßiget, mit benannt mitverbindeten Löbl. so guten Catholischen Orten uns das mehrere zu berahten und den völligen Schluß abzufassen“. Das Schreiben ist unterzeichnet: „Dienstwillige Burgermeister, Schultheiß, Landamman und Räth der Evangelischen Orten der Eydgenossenschafft Zürich, Bern, Glaris, Basel, Schaffhausen, Appenzell, St. Gallen, Mühlhausen [im Elsass] und Biel“. Zur Datierung vgl. folgende Fußnote. 2089 Nach THOMMEN, S. 293 und LE FORT, S. 350, fand diese Versammlung vom 20. bis 24. April 1700 (bei beiden ohne Stilangabe) in Aarau statt und fasste den Beschluss, die Angelegenheit auf der nächsten Tagsatzung zu besprechen, um die Haltung der katholischen Orte einbeziehen zu können. Auffällig ist hierbei sowohl die Übereinstimmung der Teilnehmer dieser Konferenz mit den Unterzeichnern des oben erwähnten Antwortschreibens vom a18.04. als auch die inhaltliche Entsprechung des Beschlusses mit dem Schreiben, so dass das Schreiben möglicherweise Ergebnis dieser Zusammenkunft gewesen sein könnte. Dies würde voraussetzen, dass die Versammlung vom n20. bis n24. April (= a09.-a13.03.) 1700 stattfand; dann stellt sich wiederum die Frage, ob das Schreiben nach Regensburg tatsächlich am a18.03. verfasst wurde, oder ob dieses bei SCHAUROTH I, Nr. 16, angegebene Datum im Original möglicherweise als a13.03. gelesen werden könnte. Nach THOMMEN, S. 293, fand die Tagsatzung am 4. Juli 1700 (auch hier ohne Stilangabe) statt, während LE FORT, S. 351, lediglich den Monat angibt. 2090 LE FORT, S. 351-352. Nach THOMMEN, S. 293-294 wurde dieser Beschluss von den evangelischen Orten sowie den beiden Städten St. Gallen und Biel noch auf der Tagsatzung gefasst. Allerdings ist zweifelhaft, ob dies wirklich von allen Protestanten (und insbesondere St. Gallen) beschlossen wurde, denn die Aussage, dieser Beschluss sei „ausnahmslos in allen evangelischen Orten und Zugewandten zur Ausführung“ (THOMMEN, S. 294) gelangt, widerspricht den Einführungsdaten verschiedener Orte (vgl. das Folgende). Ein Hinweis, dass St. Gallen den neuen Kalender vermutlich nicht vor 1723 annahm, ergibt sich aus dem Vergleich der Unterzeichnenden der Schweizer Antwortschreiben an das Corpus Evangelicorum bezüglich der Osterfeste 1724 (n12. April 1723, unterzeichnet von Zürich, Bern, Basel, Schaffhausen, Mühlhausen, Biel; vgl. SCHAUROTH I, Nr. 23, S. 205-206) und 1744 (7. August 1743, unterzeichnet von Zürich, Bern, Basel, Schaffhausen, Mühlhausen, Biel und St. Gallen; vgl. SCHAUROTH I, Nr. 52, S. 263).