Vortrag Prof. Hugo Schanovsky - Zentrum der zeitgemäßen Initiativen

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Vortrag Prof. Hugo Schanovsky - Zentrum der zeitgemäßen Initiativen
SARAJEWO - AUCH ANDERE HABEN DIE STADT BESUNGEN
Abdullah Sidran
hat ein Gedicht geschrieben über Sarajewo,
dem er den Titel gab
„Auch andere haben die Stadt besungen.“
Es begann so:
„Auch andere haben die Stadt besungen.
Reisende, im Staunen harrend
vor der Vielzahl widersprüchlicher Bilder,
die doch miteinander im Einklang sind
und auch im Einklang mit dem Auge,
das sie versammelt.
Aber niemand hat dabei gelitten
und geweint.“
Irrtum, Sidran,
mich, den Österreicher, der ein wenig
eingetaucht ist in die Geschichte
Bosnien – Herzegowinas über
das Schulwissen hinaus,
hat eine Wehmut erfasst über das,
was der Stadt, eingekesselt,
geschah.
Ein Wort gibt es,
das mich getroffen hat,
das Wort m i t l e i d e n.
Wer Mitleid empfindet,
nähert sich dem Unfassbaren
auf sehr persönliche Weise.
Es lässt sein Herz heftiger schlagen
als gewöhnlich.
So habe ich mich
mit jagendem Puls
und heißen Herzschlägen
Sarajewo genähert, der so oft Besungenen,
allerdings mit dem klammen Gefühl
nicht helfen zu können.
In den Erdboden hinein zu versinken
drohte ich als der schreckliche Tag kam,
an dem die ehrwürdige Bibliothek
unter den Kanonen der Belagerer zerbarst
und ihre hunderttausenden Bücher
in Flammen aufgingen und der Wind
der Glut sie als Aschefetzen
in den Himmel trieb.
Dieser Glutwind trieb auch mich
in die Niederungen der Empörung.
Das Wissen eines ganzen Jahrtausends
frevelnd in die Luft gejagt,
auf ewig verloren das Gedächtnis
der bosnischen Geschichte,
wie wenn die Alzheimer Krankheit
es erfasst hätte.
Die Empörung hat mich
nach der Feder greifen lassen,
um sie in die gallige Tinte zu tauchen,
dass sie aufspritzt in klebrigen Tropfen
über mich hinaus.
Der Imperativ etwas zu tun
hat mich angetrieben, meine Landsleute
aufmerksam zu machen auf das,
was in Sarajewo geschah.
Meinem Poem, gespeist aus Empörung
und Liebe, habe ich den Titel
„Diesen Tag Sarajewo“ gegeben.
Mit „diesem Tag“ habe ich den Tag gemeint,
an dem niemand mehr vom Rücken der Berge
Granaten auf die Stadt niederprasseln lässt
und keine Scharfschützen mehr heimtückisch
ihre Präzisionsgewehre auf Zivilisten
richten.
Wie hat Abdullah Sidran weiter geschrieben?
„Auch andere haben die Stadt besungen,
Gelehrte, Gäste aus der Welt,
in deren Ohr noch die Schüsse gellen:
O mein Gott, dieses Bosnien,
diese Barbaren, dieser Wirrwarr, dieser Gestank –
der hat wahrlich nicht dabei gelitten
und geweint.“
Ja, Gott hat nicht gelitten und geweint.
Der wusste, dass Menschen in dem Wirrwarr
leiden und weinen müssen,
weinen um ihre Stadt, in der
neben katholischen und orthodoxen Kirchen
schlanke Minarette friedlich nachbarlich
in den Himmel ragten.
In der dritten Strophe
hat Sidran kritisch angehoben:
„Auch andere haben die Stadt besungen:
Reisende, im Staunen verharrend,
gelehrte Gäste aus der Welt,
Ankömmlinge dann, unsere Ankömmlinge,
argwöhnisch und schlau, emsige Herrchen
von langsamer Liebe und ganz
literarischer Rede.“
Kein Reisender bin ich,
wie Sidran ihn beschrieb,
argwöhnisch und schlau,
und kein emsiges Herrchen
von langsamer Liebe
und literarischer Rede.
Kann man auch mit Worten helfen?
Ja, man kann. So setzte ich mich hin
und hielt den Gleichgültigen
einen Spiegel vors Gesicht
in dem ich die Bosnier
mit den von Untergang bedrohten Tieren
der Ozeane und Wälder
verglich.
„Wenn die Bosnier
Delphine wären,
würden die Tierschützer
alles unternehmen,
um sie vor Dezimierung
zu schützen.
Wenn die Bosnier
Seeschildkröten wären,
würden die Arterhalter
energisch für den Schutz
ihrer Brutplätze
eintreten.
Wenn die Bosnier
Wale wären,
die zu stranden drohten,
liefe eine kontinenteweite Welle
der Hilfsbereitschaft
an.
Wenn die Bosnier Elefanten wären,
würde Greenpeace flammende
Anklage gegen ihren Abschuss
durch Wildbanditen
erheben.
Wenn die Bosnier
Berggorillas wären,
die am Verhungern sind,
rüstete der Wildlife-Found
spontan Trägerkolonnen aus,
um sie am Leben
zu erhalten.
Wenn die Bosnier
heilige Kühe wären,
könnten sie sich ungefährdet
in den Dörfern und Städten
ihrer Heimat
bewegen.
Weil die Bosnier
nur Bosnier sind,
wäscht man sich
in den politischen Machtzentralen
täglich die Hände
in Unschuld.“
Nein, keine literarische Rede hielt ich,
wie sie Abdullah Sidran mit Recht anprangert;
mit einfachen Worten trat ich
für die Bosnier ein,
das Mäander der Gleichgültigkeit
hab ich zerrissen, das sich
wie ein Spinnennetz
über Europa gelegt hat.
Mit meinen „Bosniern“
hab ich die Stadt besungen,
in der der Tod ein- und ausging,
ein ungebetener Gast zu jeder Tagesund Nachtzeit, in der die Tschetniks
der Stadt den roten Hahn
auf die Dächer gesetzt haben.
Und so sah ich die Bewohner der Stadt
in einem aussichtslosen Kampf ums Überleben,
der so aussichtslos schien,
weil die Welt abseits stand,
nicht stoppend die Ketten
einer rasselnden Militärmaschinerie,
die in Srebrenica dem männlichen Teil
der Bevölkerung Massengräber
schaufelte.
Abdullah Sidran,
großer Sänger seiner Stadt,
nie ist mir der Schluss eines Gedichtes
so nahe gegangen, wie der,
den er hinschrieb mit Herzblut:
„Ach Herz! Ach Stadt!
Auch andere haben dich besungen,
aber niemand hat dabei gelitten und geweint,
als er an die silberne Seele rührte,
deine junge Wunde!“
Gelitten hab ich mit der Stadt,
die Sidran so bitter besungen hat,
nicht vergessen den Donner der Kanonen,
nicht das hässliche Krachen
splitternder Granaten auf den Pflastersteinen,
die starrten vom Blut der Getöteten.
Tag für Tag war der Schmerz Gast,
hinein in die Schwärze der Nacht,
in der ich aufschreckte
aus wirren Träumen.
Das war ein Schmerz,
der in die Seele stach
und auch mir eine Wunde
schlug.
Aber da gibt es einen Sohn der Stadt,
der allen, die das Geschehen miterlebten,
ein positives Beispiel sein kann dafür
wie man eine Hand behutsam auf die Wunde legt
und ihr heilende Kraft gibt –
eine Kraft mit Tönen unsterblicher Musik,
die den Abgrund verschwinden lässt
wie eine mondhelle Nacht
mit ihrem Silber
die dunkle Erde.
Einer sagte einmal,
wenn ein einzelner Mensch gerettet wird,
wird die ganze Welt gerettet.
Einer hat eine ganze Stadt gerettet –
Vedran Smalovic, ein Name,
den sich die Menschen merken
sollten.
Wenn die Nacht weicht,
stellt er einen Sessel vor die Tür
und spielt mit seinem Cello
Stücke von Albinoni.
Der Mann ist nicht bei Trost
könnten Uneingeweihte sagen,
vor menschenleerer Kulisse
zu spielen.
Dass Vedran Smalovic
in jener Gasse Sarajevos
sein Cello bedient,
in der Frauen und Kinder
beim Anstellen um Brot
von einer Granate zerfetzt wurden,
gibt dem einsamen Spiel
Würde und Sinn.
Smalovic ehrt
mit seiner Musik
nicht nur die unschuldig Toten,
er kämpft mit den Adagi
des Italieners Albinoni
auch gegen die Anschläge
der Terroristen
in aller Welt.
Zweiflern sei
ins Stammbuch geschrieben:
Christus hatte nicht einmal
ein Cello zur Hand,
als er gegen die Mächtigen
seiner Zeit die Stimme
erhob.
Ich bin überzeugt,
dass sich die Wunde,
die man Sarajewo schlug,
schließen wird.
Da denk ich an die Worte,
die der große amerikanische Rhapsode
Walt Whitman nach der Niederlage
der europäischen Revolutionäre
1848 niederschrieb:
„Dachtet ihr, Sieg ist groß?
Ich denke, dass Niederlage groß ist,
und dass Tod und Erschrockenheit
groß sind.“
Ja, auch ich habe die Stadt besungen,
die ein zweites Mal in die Weltgeschichte
eingetreten ist, aufgewühlt
bis in den letzten Winkel
ihrer silbernen Seele;
aber sie ist nicht gestorben;
sie lebt und ich halte sie in der Hand
zärtlich wie einen kostbaren Stein
im Geschmeide der Welt.
Prof. Hugo Schanovsky,
Altbürgermeister der Stadt Linz
EINE FRIEDENSBOTSCHAFT AUS SARAJEWO
Die Brücke zwischen den Welten
19. Mai 2007, Neues Rathaus Linz
Zentrum der zeitgemäßen Initiativen (ZZI)
www.zzi.at