Der Dramatiker Julius Hay feiert seinen 70. Geburtstag

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Der Dramatiker Julius Hay feiert seinen 70. Geburtstag
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Ferien-Journal Nr. 129/3, vom 13. Juni1970
Der Dram atiker Juli us Ha y feiert seinen 70. Geburtstag
von Doris Hasenfratz
Am 5. Mai feierte der ungarische Dramatiker Julius Hay in Brissago seinen 70. Geburtstag. Rückblick auf seine 70
Jahre: Ungarische Revolution 1919 miterlebt, die kommunistische Bewegung, Leben und Arbeit im Exil, 10 Jahre
Sowjetunion, Rückkehr nach Ungarn. Mutiger Einsatz beim ungarischen Aufstand 1956, nach dem Zusammenbruch
dreieinhalb Jahre Gefängnis in Ungarn, Amnestie und seit fünf Jahren im Tessin. Dies sind kurz gestreift die
Stationen im Leben von Julius Hay. Hay wurde in der kleinen ungarischen Stadt Abony, als Sohn eines Ingenieurs,
geboren, gerade in dem so ereignisreichen Jahr 1900. Er war mit der ungarischen Erde eng verbunden, viele seiner
Theater- und Fernsehstücke haben sie als Hintergrund.
Während des ersten Weltkrieges schloss er sich einer Jungendbewegung gegen den Krieg an, die ihn zum
Kommunismus führte. Mit dem Idealismus der Jungend glaubte er, dass diese Weltanschauung das Ideal der
menschlichen Gesellschaft werden könnte. Er hat aber am eigenen Leib erfahren müssen, was eine Diktatur ist. Er
war Zeit seines Lebens und ist es heute noch, ein Verteidiger für die Freiheit der Menschen und für Menschlichkeit.
Daraus ergab sich, dass er mit den diktatorischen Machthabern in Konflikte kommen musste. Er musste erkennen,
dass die Partei, die er in seiner Jugend erwählt hatte, nicht für, sondern gegen das Volk arbeitet.
1919, nach dem Zusammenbruch der ungarischen Räterepublik, floh er nach Deutschland, befasste sich zuerst in
Dresden, dann in Berlin mit Bühnenarchitektur und schuf später Bühnenliteratur. Sein grosser durchschlagender
Erfolg war die Aufführung von „Gott, Kaiser und Bauer“ am Deutschen Theater in Berlin, unter der Direktion von Max
Reinhardt. Dies war 1932, durch die Nazis entstand ein Theaterskandal um dieses Stück und es musste abgesetzt
werden. Hay floh nach Wien. Er nahm hier am Frontbündleraufstand teil, wurde verhaftet, kam ins Gefängnis und
teilte seine Zelle mit einem der Dollfuss-Mörder.
1934 bis 1935 lebte er in Zürich, lernte dort Ignazio Silone & Arthur Koestler kennen. Er lebte als Emigrant in Prag,
Paris, Moskau und Zentralasien. In der Sowjetunion arbeitete er zusammen mit Eisenstein und Pudovkin,
befreundete sich mit Pasternak und Prokofieff und lernte eine reihe prominenter kommunistischer Persönlichkeiten
au den Ostländern kennen. Nach seiner Rückkehr nach Ungarn 1945 spielte er in ungarischen Schriftstellerverband
in Budapest sowie in Theater- und Filmkreisen, eine bedeutende Rolle. Während all der Jahren hatte er nie
aufgehört, Theaterstücke zu schreiben.
Beim ungarischen Aufstand 1956 waren er und seine Frau Eva äusserst tapfer und mutig. Ihre Stimmen waren die
letzten, die am Radio im Westen um Hilfe riefen, Hay in Ungarisch, seine Frau in Deutsch und Englisch. Hay wurde
verhaftet und zum Tode verurteilt. Dank der Intervention bedeutender Persönlichkeiten und Institutionen aus der
ganzen Welt wurde die Todesstrafe in sechs Jahren Gefängnis umgewandelt. Infolge einer allgemeinen Amnestie
wurde er nach dreieinhalb Jahren entlassen. Doch er erhielt Publikationsverbot, das hiess auch, dass an eine
Aufführung seiner Stücke nicht zu denken war. Das Ehepaar Hay verdiente sich den Lebensunterhalt durch
Übersetzungen wichtiger Werke aus der deutschen und englischen Literatur ins Ungarische.
Als 1964 das Hamburger Radio sein Stück „Haben“ sendete, erhielt das Ehepaar auf Drängen des Norddeutschen
Rundfunks Pässe mit Ausreisevisen. Hay kam zur Einsicht, dass es für ihn in absehbarer Zeit keine Möglichkeit
geben werde, sein dramatisches Schaffen in Ungarn wieder aufzunehmen. So entschloss sich das Paar, nicht mehr
nach Ungarn zurückzukehren, das Tessin wurde ihre Wahlheimat.
Wie Hay versichert, hat das Tessin für ihn ein gutes Arbeitsklima. Frei von jedem Zwang und jeder Zensur, kann er
seine Ansichten zu Papier bringen. In den letzten fünf Jahren sind seine Stücke an allen wichtigen europäischen
Bühnen aufgeführt worden, ja sogar in Kanada. Sein im Tessin geschriebenes Stück „Der Inquisator“ erlebte am
Josefstädtischen Theater in Wien die Welturaufführung.
Im Herbst bringt der Wegner-Verlag in Hamburg, Hays Memoiren unter dem Titel „Geboren 1900“ heraus, sein
erstes grosses Prosawerk.
Die deutsche Bundesrepublik feierte den Dichter durch die Sendung von „Haben“ von allen deutschen Sendern aus,
am 28. April, ausserdem sendete das ersten Fernsehen einen Langspielfilm über sein Leben, unter dem Titel: „Der
angeklagte Ankläger“, Julius Hay Dramatiker, und Revolutionär. In der Schweiz feierte ihn das Stadttheater Luzern
durch die Welturaufführung seines Stückes „Mohàcs“, das er im ungarischen Gefängnis geschrieben hat.