Lügen ist menschlich

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Lügen ist menschlich
Das Magazin der Orell Füssli Buchhandlungen
Nr. 2/2013
Ihr persönliches
Exemplar –
mit Wettbewerb!
Lügen ist
menschlich
«Das Verschwiegene»
von Linn Ullmann
Es muss nicht immer
«Shades» sein
Erotische
Neuerscheinungen
Verbindung über Raum
und Zeit
«Die vierzig Geheimnisse der
Liebe» von Elif Shafak
Und ausserdem:
Neue Bildbände, neue
Kinderbücher, neue
Reiseführer
Editorial | 3
STARTER
PAKET
Inhalt
András Németh
Mitglied der Geschäftsleitung
Liebe Leserin
Lieber Leser
Angebot solange Vorrat
BOOKEEN ODYSSEY 2013 EDITION
eReader, Hülle, Ladegerät und Fr. 25.– Prepaid Card
187.–
statt 212.–
© Muammer Yanmaz
Bücher sind erotisch
Im vergangenen Jahr war eine erotische Geschichte
der weltweit grösste Bucherfolg: «Shades of Grey».
70 Millionen Exemplare der Trilogie von E.L. James
wurden verkauft. Seit «Harry Potter» hat keine
Buchserie mehr derart abgeräumt.
Dass erotische Literatur die Bestseller-Listen
anführt, ist ungewöhnlich – dass sie gut ankommt,
hingegen nicht. Einige der ältesten Werke der Weltliteratur sind erotischen Inhalts, und viele Longseller gehören zu diesem Genre. Bei der Erotik spielt
das Buch eben alle seine Stärken aus: Es kann
uns ins Welten entführen, die uns im wirklichen
Leben verschlossen bleiben. Bücher kennen keine
Scham und beurteilen uns nicht. Mit ihnen können
wir Abenteuer erleben, auch wenn wir selber keine
Helden sind.
Und ist nicht das Lesen per se erotisch? Doch, findet
Alex Pschera: «Lesen ist ein erotischer Akt», schreibt
der deutsche Publizist. «Besitz und Vereinigung sind
seine Merkmale. Das Riechen am Druckwerk ist Vorspiel des Kommenden. Das Buch ist ein Körper. Jedes
Buch hat seinen eigenen Geruch, wie auch jeder
geliebte Mensch seinen eigenen Geruch hat.»
Verbindung über Raum und Zeit Erotische Literatur:
«Die vierzig Geheimnisse der Liebe» von
Elif Shafak
Seite 10
Reisebücher-Spezial
Vorfreude und Hilfe
vor Ort
Seite 23
Wir, die wir täglich mit Büchern zu tun haben, teilen
diese Meinung natürlich: Bücher bereiten tiefe
Freude und machen stets Lust auf mehr. Und weil
Bücher so erotisch sind, widmen wir den Hauptbeitrag in diesem «Books» der erotischen Literatur. Ich
wünsche Ihnen damit viel Vergnügen!
INTEGRIERTER SHOP – ÜBER 400’000
400 000 eBOOKS
DOWNLOAD VIA WLAN
PAPIEROPTIK – LESEN AUCH BEI SONNE
Die nächste Ausgabe von Books, dem Magazin der Orell-Füssli-Buchhandlungen,
erscheint am 13. September 2013. Sie erhalten Books kostenlos in jeder Filiale.
Bestellungen nehmen wir gern entgegen über www.books.ch, [email protected]
und Telefon 0848 849 848. Buchhandlungen von Orell Füssli finden Sie in Basel,
Bern, Frauenfeld, St.Gallen, Winterthur und Zürich sowie am Flughafen Zürich.
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Preisänderungen vorbehalten. Unsere aktuellen Verkaufspreise und eine umfassende Auswahl an Büchern, Filmen und Spielen finden Sie auf www.books.ch.
Es muss nicht
immer «Shades»
sein
Seite 14
4 Notizen
20 Neue Bildbände Schön,
schöner, Krauthammer
32Kaffeepause Die Debatte
36Fantastisch!
Fantasy-Neuerscheinungen
40 Im Schaufenster
«Das Verschwiegene» von
Linn Ullmann
42 Kinderwelt
Freunde machen Freude
44 Neues von Orell Füssli
45 Mein Buch
46 Kochbücher «Jerusalem»
48 Kreuzworträtsel
49 Veranstaltungen
51 Kolumne
Darum schreibe ich –
von Linus Reichlin
Impressum
Herausgeber:
Orell Füssli Buchhandlungs AG, Dietzingerstrasse 3, Postfach, 8036 Zürich
Gesamtherstellung: Media Tune AG, Zürich
Redaktion: Die Blattmacher GmbH, Zürich
Gestaltungskonzept/Layout: Strichpunkt GmbH, Winterthur
Coverfoto: Agnete Brun
Alle so gekennzeichneten Bücher sind auf www.books.ch
auch als eBook erhältlich.
Books Nr. 2/2013
Notizen
Marius Leutenegger
Die Ernährung gehört zu den Fundamenten des Menschseins. Entsprechend
gross ist denn auch das Angebot an Ratschlägen, Tipps und Ideen rund um die
Ernährung. Die vielen Informationen machen es zwischendurch aber vielleicht
nötig, sich ein wenig zu erden – und das gelingt hervorragend mit dem Buch
«Essen Sie nichts, was Ihre Grossmutter nicht als Essen erkannt hätte»,
erschienen bei Kunstmann. Mit erfrischender Unoriginalität erinnert uns Autor
Michael Pollan darin an die Binsenwahrheiten rund ums Essen: Die ganze
westliche Ernährung ist ungesund, weil zu fett, zu süss und zu künstlich. Wie
soll man darauf reagieren? Pollan antwortet mit einfachen Rezepten: Meiden
Sie Produkte mit Zutaten, die ein Drittklässler nicht aussprechen kann; meiden
Sie Nahrungsmittel, für die im Fernsehen geworben wird; meiden sie Esswaren,
die in allen Sprachen denselben Namen haben. Und besonders sinnvoll: «Zahlen Sie mehr, essen Sie weniger.» Die schönen Illustrationen von Maira Kalman
machen das Buch auch zu einem optischen Vergnügen.
Manche
Wörter
kann man kaum
noch hören, weil sie
bis zum Gehtnichtmehr ge- und missbraucht
werden.
Dazu zählt «Nachhaltigkeit». Und darüber soll man gleich
ein ganzes Buch lesen? Unbedingt –
denn Ulrich Grober gibt in «Die Entdeckung
der Nachhaltigkeit», erschienen bei Kunstmann, dem Begriff seine Würde und sein Ge-
wicht zurück. Auf faszinierende Weise legt
der Autor dar, wie alt das Konzept ist, das
heute als modernes Mass aller Dinge gilt.
1994 definierte zum Beispiel die UNO Nachhaltigkeit als ein Dreieck aus ökologischem
Gleichgewicht, ökonomischer Sicherheit und
sozialer Gerechtigkeit – exakt so umschrieb
Hans Carl von Carlowitz den Begriff bereits
1713. Die Notwendigkeit, nachhaltig zu handeln, ist also schon lange bekannt, und Grober zeigt auf, warum es so schwer ist, dieses
Wissen in konkretes Handeln zu übertragen.
Ein kulturhistorisches Sachbuch, das man
nicht so schnell vergisst.
Mit seinem
Erstling «Flieg,
Hitler, flieg!»
räumte der
junge britische
Autor Ned
Beauman
ziemlich ab – er
gewann damit
unzählige Preise, die internationale
Kritik überschlug sich geradezu vor
Begeisterung. Jetzt liegt der neue
Roman von Beauman vor, und er ist
ähnlich schillernd, böse und vergnüglich wie das Debüt. Der gezwungen
originelle Titel der bei Dumont
publizierten Übersetzung sollte einen
nicht vom Lesen abschrecken: «Egon
Loesers erstaunlicher Mechanismus
zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort zu
Ort», im Englischen «The Teleportion
Accident», ist eine Art Road-Movie,
der sich über mehrere Jahrzehnte
hinzieht. Der Bühnenbildner Egon
Loeser, der nicht zufälligerweise einen
Namen wie ein Schimpfwort trägt,
verfolgt seine Traumfrau Adele Hitler
(«weder verwandt noch verschwägert») von Berlin über Paris nach Los
Angeles. Er ist von zwei Dingen
besessen: Adele endlich ins Bett zu
kriegen – und hinter die Geheimnisse
des Grössten seiner Zunft zu kommen: Dem venezianischen Bühnenbildner Lavicini soll es nämlich einst
gelungen sein, eine barocke Maschine
zum Beamen von Menschen zu
bauen. Auch KGB und Forscher in
Kalifornien sind hinter dem Teleportionsgerät her, schliesslich herrscht
Krieg. Beauman staffiert seinen
bizarren Plot mit einem Ideenreichtum aus, der locker für drei Romane
gereicht hätte; das durchwegs
exzentrische Personal wächst einem
ziemlich ans Herz, obwohl es aus
ausnahmslos unsympathischen
Neurotikern besteht. Das Buch ist
brillant geschrieben und hat seinen
Platz auf der Longlist des Booker
Prizes mehr als verdient.
NOTIZEN | 5
Alle Bücher finden Sie auch auf
Leute, die das mögen,
mögen auch ...
© Joy Matter
4 | NOTIZEN
Oft ist die letzte Seite eines Buchs jene,
die man am wenigsten mag – weil man
nicht möchte, dass das Lesevergnügen
schon zu Ende ist. Glücklicherweise
gibt es Fachleute, die einem in solchen
Momenten
Bücher
mit vergleichbaren
Qualitäten empfehlen können – Fachleute wie Marcel
Rauber. Der 42-Jährige arbeitet als Abteilungsleiter
im
Parterre bei Rösslitor Bücher in St.Gallen. Das Lesen entdeckte er während
seiner Lehre zum
B ä c k e r - K o n d i t o r.
«Wegen der Arbeitszeiten lebte ich an
meinen Bekannten
vorbei – und so füllte
ich mir die freie Zeit
mit Lesen», erinnert er sich. Bücher begeisterten ihn schliesslich derart, dass
er sich auch noch zum Buchhändler
ausbilden liess.
«‹Tschick› des Berliner Schriftstellers
Wolfgang Herrndorf war 2010 eines
der erfolgreichsten deutschsprachigen
Bücher; die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem 14-Jährigen aus bürgerlichen Verhältnissen und einem verwahrlosten
jugendlichen Spätaussiedler aus Russland, die ein wenig an ‹Huckleberry
Finn› von Mark Twain erinnert, gewann
unzählige Preise. Wer ‹Tschick› mochte, wird auch ‹Wunder› der US-Amerikanerin Raquel J. Palacio lieben. Beide
Romane erzählen vom Erwachsenwerden, von den Schwierigkeiten, sich im Leben
zurechtzufinden – und
beide Bücher vergisst
man als Leser nicht
mehr. ‹Wunder› ist ein
Debütroman und hat
das Potential zum Lieblingsbuch. Im Mittelpunkt steht der zehnjährige August, der mit
seinen Eltern und seiner
grossen Schwester in
New York lebt. Weil er
seit seiner Geburt mindestens 27-mal am Gesicht operiert werden
musste, ist er noch nie
auf eine richtige Schule
gegangen. Aber jetzt soll er in die 5.
Klasse kommen. August ist es gewohnt,
angestarrt zu werden, und er weiss,
dass die meisten Schüler nicht absichtlich gemein zu ihm sind. Sein sehnlichster Wunsch ist es aber, nicht weiter aufzufallen, ein ganz normaler Junge zu
sein und Freunde zu finden. Doch nicht
aufzufallen ist nicht leicht, wenn man
so viel Mut und Kraft besitzt, so witzig,
klug und grosszügig ist wie August …
Tun Sie sich einen Gefallen und lesen
Sie dieses Buch!»
Mani Matter ist ein Schweizer
Mythos. Die Ausstellung «Mani
Matter (1936-1972)» war ein so
grosser Erfolg, dass sie nach einer
langen Tournee durch die Schweiz
noch einmal – und bis September
– im Landesmuseum in Zürich zu
sehen ist. Mitgearbeitet an der
faszinierenden Schau hat auch
Wilfried Meichtry; der Historiker
ist vor allem bekannt für sein Buch
über Iris Roten, «Verliebte Feinde»,
das auch verfilmt wurde. Durch
seine Tätigkeit für die Ausstellung
lernte Meichtry die Witwe von
Mani Matter kennen, Joy Matter.
«Und eines Tages sagte ich ihr,
dass ich gern eine Biographie über
Mani Matter schreiben würde»,
erzählte der Autor in einem Interview. Diese Biographie ist jetzt von
Nagel&Kimche veröffentlich
worden – und sie ist ein Genuss
nicht nur für die vielen MatterFans. Meichtry hat eine literarische Biographie verfasst, die
einem einen überaus sympathischen Menschen in seiner ganzen
Vielschichtigkeit näher bringt –
denn der Autor konnte erstmals
auf 31 Archivschachteln von Joy
Matter zugreifen; zudem präsentiert einem «Mani Matter» auch
ein Panoptikum der Nachkriegsschweiz zwischen
Tradition und
Aufbruch. Der
Erfolg, den dieses
Buch zweifellos
haben wird, ist ihm
zu gönnen.
6 | NOTIZEN
Books Nr. 2/2013
NOTIZEN | 7
Alle Bücher finden Sie auch auf
Was lesen Sie gerade?
Hollywood – der Glanz dieses Namens
rührt nicht von den heutigen Blockbus-
Ellen Ringier, Juristin und Präsidentin der Stiftung «Elternsein»
ter-Produktionen her, sondern entstand,
als die Filmfabrik noch wie eine Fussballliga organisiert war. Bis in die
1960er-Jahre hinein hielten sich die
Die eReaDeR von
oRell Füssli.
einFach zu hause.
grossen Studios wie MGM, Paramount
oder Warner Brothers feste Teams von
Schauspielerinnen
und
Schauspieler.
Die Stars waren vertraglich gebunden
und den Studio-Bossen mehr oder weniger ausgeliefert – welche Rollen sie spielen durften, wie oft sie vor der Kamera
standen, welches Image sie letztlich hatten, entzog sich ihrer Kontrolle. Auch die
Gestaltung des Privatlebens wurde zu einem Teil von den Studios vorgegeben. Auf
diese Weise wurde Hollywood zu seinem grössten Produkt: eine inszenierte, glamouröse Welt voller Stars und Sternchen. Dieses Produkt strahlte einen Zauber aus,
der heute verschwunden ist. Aber wir können ihn noch immer spüren – zum Beispiel dank des wunderbaren Fotobands «Hollywood Unseen» von Prestel. Der
Untertitel verspricht «Filmstars hinter den Kulissen», doch der Alltag, in dem die
berühmtesten Darsteller ihrer Zeit gezeigt werden, war natürlich ebenfalls sorgsam inszeniert und vorteilhaft ausgeleuchtet. Man entdeckt in diesem Band also
keine Geheimnisse, sondern erfährt anhand der Bilder viel darüber, wie das goldene Hollywood funktionierte, wie es die Stars machte und für welche Werte es stand.
In «Books» berichten wir vorwiegend
über Literatur aus dem deutschsprachigen Raum – und über internationale
Bestseller. Die Romandie kommt nur selten vor. Das ist ein Makel, den es schleunigst zu korrigieren gilt – mit dem Verweis auf ein mehr als lesenswertes Buch
einer jungen französischsprachigen Autorin: «Bestseller» der Freiburgerin Isabelle Flükiger, erschienen im Rotpunkt-
Verlag. Das schmale Bändchen, das man
an einem Sonntagmorgen vor, während
und nach dem Zmorge in einem Stück
verschlingen kann, handelt von einem
jungen, urbanen und sehr verliebten
Paar, das Perspektiven sucht und wortwörtlich auf den Hund kommt. Flükiger
beschreibt mit viel Selbstironie das Leben von Fastdreissigern in der Schweiz –
von Menschen also, die in aller Regel mit
beiden Beinen auf dem Boden stehen und
den Überfluss so sehr verachten, wie sie
ihn auch als selbstverständlich betrachten. Doch keine Angst: Es geht hier nicht
um
Gesellschaftskritik,
sondern um
eine leichte
G esch icht e,
von der man
sich wünscht,
sie ginge noch
lange, lange
weiter ...
Leichter
Lesen
In dieser Ausgabe von «Books» dreht
sich vieles um die Liebe: Ab Seite 10
stellen wir zahlreiche Liebes- und
Erotikromane vor. Es ist zwar nicht
unbedingt wahr, dass ein Bild mehr
sagt als 1000 Worte, aber manchmal
sind Bilder natürlich genauso schön
wie Geschriebenes. Deshalb wollen
wir hier noch auf ein Buch über die
Liebe hinweisen, bei dem es viel zu
sehen gibt: «Die schönsten Liebespaare in der Kunst», erschienen bei
Prestel. Der Bildband hält genau das,
was der Titel verspricht. Er zeigt rund
80 Bilder, auf denen geküsst, geschmachtet, umarmt, bewundert und
liebkost wird. Die Werke stammen aus
allen Epochen und von den bekanntesten Künstlern; die meisten von ihnen hat man schon irgendwo gesehen,
erst in diesem Kontext spürt man aber
so richtig, wie zart sie Gefühle darstellen. Begleitet wird die Auswahl
von angenehm wenigen kunsthistorischen Erläuterungen und schönen Gedichten, die wiederum belegen:
Manchmal sagen wenige Worte eben
doch so viel wie ein Bild.
«Seit dem Zerfall der Sowjetunion im
Jahr 1991 glaubte ich, Russland sei auf
dem Weg zu einer Demokratie. Zugegebenermassen auf einem ausserordentlich schwierigen Weg. Dass nach Gorbatschow und Jelzin ein KGB-Mann
‹gewählt› worden war, irritierte anfangs,
aber die Hoffnung auf den jungen Putin
blieb.
Das, was ich in der mir zur Verfügung
stehenden Presse zu den wenig rechtsstaatlichen Verurteilungen von Oligarchen wie Chodorkowski und Lebedjew
las, irritierte zwar ungemein. Andererseits – gibt es ein Recht auf Staatsplünderung? Musste man Mitleid mit Leuten
wie Gussinski in Israel oder Abramowitsch in London haben, die sich mit astronomischen Besitztümern aus Russland verabschiedet hatten? Und der
Krieg gegen Terroristen in Tschetschenien, war er als Selbstverteidigungsmassnahme etwa nicht gerechtfertigt?
Masha Gessen, Autorin von ‹Der Mann
ohne Gesicht. Wladimir Putin – eine Enthüllung›, belehrt mich eines Besseren!
Wer diese Auflistung von im Namen des
(manipulierten) Rechts begangenen Verbrechen – wahrlich eine Enthüllung – gelesen hat, kann nicht anders, als die Hoffnung auf den demokratischen Prozess zu
vergessen! Klar, die Beweiskette, die
Gessen auflistet, basiert zu weiten Teilen
auf Indizien. Sie überzeugt jedoch in hohem Masse – nicht zuletzt weil die Autorin mit keinem Wort vorgibt, die Dinge
seien tatsächlich so geschehen, als hätten sich die Verbrechen gegen dissidente
Bürger Russlands mit Sicherheit so abgespielt. ‹So oder ähnlich›, ist man jedoch
nach dem Lesen der (selbstverständlich
nicht autorisierten) Biografie Putins
überzeugt!
Wladimir Putin hat von nun an ein Gesicht.»
Der Mann ohne Gesicht
Masha Gessen
384 Seiten
CHF 36.90
Piper
8 | NOTIZEN
Books Nr. 2/2013
... und ausserdem
Quelle: Dieter Hildebrandt: Ödön von Horváth, Rowohlt 1975
Jahrestage
75 Jahre ist es her, dass Ödön von Horváth
in Paris starb. Der österreichisch-ungarische Schriftsteller befand sich auf der Flucht
vor den Nazis, als er am 1. Juni 1938 von
einem herabfallenden Ast erschlagen wurde. Da war er gerade einmal 37 Jahre alt.
Seine sozialkritischen Werke waren zu diesem Zeitpunkt verboten, wurden aber in
Exilverlagen weiterhin veröffentlicht. Sein
bekanntester Roman ist wohl «Jugend ohne
Gott», der die Lieblosigkeit von Jugendlichen in Nazideutschland anprangert. Zeitlebens galt von Horváth aber vor allem als
grosser Theaterautor, etwa dank seiner
noch heute oft gespielten Dramen «Geschichten aus dem Wiener Wald», «Glaube
Liebe Hoffnung» und «Kasimir und Karoline». Pflichtlektüre nicht nur für Schüler!
Am 2. Juli jährt sich
der Todestag von Lisa
Tetzner zum 50. Mal.
Es gibt nicht viele Jugendbücher, die so eindrücklich sind wie ihr
Roman «Die schwarzen Brüder». Dass das
1940 verfasste Buch
das Schicksal von Tessiner Buben beschreibt, die als Kaminfeger
nach Italien verdingt wurden, ist kein Zufall:
Die Deutsche flüchtete 1933 vor den Nazis
nach Carona bei Lugano, zusammen mit
ihrem Mann Kurt Kläber. Das Paar lebte dort
in der Nachbarschaft von Hermann Hesse
und zuweilen mit Bert Brecht zusammen.
Tetzners Mann war übrigens auch kein Unbekannter: Er nannte sich Kurt Held und
verfasste «Die rote Zora und ihre Bande».
«Die schwarzen Brüder» war denn auch ein
Gemeinschaftswerk des Paars, wegen der
Verfolgung von Kläber durch die Nazis
erschien es aber nur unter Lisa Tetzners
Namen.
Mit Oliver Sacks wird am 9. Juli einer der
bekanntesten Sachbuch-Autoren der Welt
80-jährig. Seit Jahrzehnten begeistert der
britische Neurologe mit seinen Beschreibungen komplexer psychischer Krankheiten. Weltberühmt machte ihn das Buch
«Awakenings» über Menschen, die vorübergehend aus der Schlafkrankheit aufwachen
und sich des Lebens erfreuen – es diente gar
als Vorlage für einen Film mit Robert de Niro
als Patient und Robin Williams als Dr. Sacks.
In anderen Büchern beschäftigte sich Sacks
mit dem Tourette-Syndrom, mit Autismus
oder Gehörlosigkeit. Dabei gelang ihm stets
das Kunststück, blendend zu unterhalten
und Fallbeispiele mit viel Empathie, aber
ohne Kitsch darzustellen. In seinem neuen,
bei Rowohlt erschienenen
und
ebenfalls sehr lesenswerten Werk
«Drachen, Doppelgänger und Dämonen» geht es um
Halluzinationen.
Am 14. August
jährt sich der Todestag des Rennfahrers und Rennautobauers Enzo
Ferrari zum 25.
Mal. Was das mit
Büchern zu tun
hat? Der Jahrestag bietet eine gute Gelegenheit, um auf eine
originelle Neuerscheinung aufmerksam zu
machen: «Nachdenkliche Rennfahrer»,
zusammengestellt vom Journalisten Max
Küng und erschienen bei der Edition Patrick
Frey. Das schmale Buch zeigt Fotos von –
Überraschung! – nachdenklichen Rennfahrern. Diese Abenteurer haben ja auch viel
Grund zum Grübeln, denn sie schweben
ständig in Todesgefahr und werden oft genug auch tatsächlich mit dem Tod konfrontiert. Ein Buch nicht nur für Leute, die wissen, wer Enzo Ferrari war.
Ein Abenteurer, der dem Tod ebenfalls gern
hin und wieder ins Auge blickte, war auch
T.E. Lawrence. Am 16. August ist es 125
Jahre her, dass er geboren wurde. Sein Leben liest sich wie ein einziger Roman: Er
war Archäologe, Geheimagent und briti-
NOTIZEN | 9
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scher Offizier. Als solcher beteiligte er sich
im Ersten Weltkrieg am Aufstand der Araber
gegen das osmanische Reich – und wurde so
zu Lawrence von Arabien. Seine Erlebnisse
in Arabien beschrieb er im Bericht «Die sieben Säulen der Weisheit», der heute zur
Weltliteratur zählt und von Ullstein als Taschenbuch angeboten wird.
Und zum Schluss noch zwei Geburtstage für
alle Comicfans: Im Juni 1938, also vor genau
75 Jahren, wurde erstmals eine Geschichte
über Superman veröffentlicht – das war
auch die Geburtsstunde eines neuen Comicgenres, nämlich der Superheldengeschichten. Batman, Spiderman, Hulk, Iron Man
und wie sie alle heissen, sie sind durchwegs
im Sog des Riesenerfolgs um den «Stählernen» entstanden, der inkognito als der tapsige Reporter Clark Kent arbeitet und im
Notfall zu einem fliegenden und mit unglaublichen Kräften ausgestatteten Helden
mutiert. Superman zählt zu den Figuren mit
dem weltweit höchsten Wiedererkennungswert, und längst gibt es die legendäre Schöpfung der beiden Teenager Jerry Siegel und
Joe Shuster in unzähligen Varianten. Für
Erstleser empfehlen wir hier die Comics, die
bei Fischer KJB erscheinen; die etwas älteren bzw. ewigjungen Leser dürften an der
Neuerscheinung «Der letzte Sohn» von Panini Manga und Comics ihre helle Freude
haben.
Erwachsene Comicfans haben ebenfalls
Grund zum Feiern:
Robert Crumb wird
am 30. August 70
Jahre alt. Er begann
als UndergroundZeichner zur Flower-Power-Zeit; seine
bekannteste Figur
Fritz the Cat begeisterte als drogensüchtiger Faulpelz die Hippies und erschreckte das Establishment. Viele seiner
Comics gelten als sexistisch und pornografisch, aber Crumb kann auch anders: Seine
Comic-Interpretation des ersten Buch Mose,
erschienen als «Genesis» in der Bibliothek
der Süddeutschen Zeitung, gilt als Meisterwerk.
Auch wenn die meisten Bücherfreunde kluge Leute sind und daher naturgemäss im Zuge reisen,
kennen sie wohl ebenso die Freude am Fahren: im Auto gemütlich
durch den Périgord schaukeln, wo
Martin Walkers Romane spielen
(mehr dazu rechts), oder auf vier
Rädern die südsizilianische Welt
von Commissario Montalbano erkunden. Für sie gibt es jetzt mit
«The Joy of Driving» auch die ideale Ablage für all die kleinen Dinge, die im Auto herumliegen – das
Handy, die Reisedokumente oder
die Taschentücher. Natürlich lassen sich mit dem GeheimfachBuch auch ein paar Goldbarren
oder ähnliches diskret im Büchergestell verwahren.
Geheimfach-Buch
CHF 29.90
Wettbewerbs-Gewinner
In der letzten Ausgabe von «Books» verlosten wir unter den Teilnehmenden unseres
Kreuzworträtsel-Wettbewerbs drei Büchergutscheine. Gewonnen haben:
1. Preis: Margrit Kloter, Dietlikon
2. Preis: Christa Montoya, Zürich
3. Preis: Marco Heiniger, Zürich
Herzliche Gratulation!
Das Lösungswort lautete übrigens «Wortschoepfungen». Die Gewinnerinnen und Gewinner der Preise 4 bis 10 werden schriftlich benachrichtigt. Das aktuelle Kreuzworträtsel
finden Sie in dieser Ausgabe auf Seite 48.
Der schottische Historiker und
Schriftsteller Martin Walker ist
in das französische Périgord
verliebt – deshalb hat er seine
Krimis um den Chef de Police
Bruno Courrèges in dieser Region
angesiedelt. Die spannenden
Geschichten im ländlichen Ambiente kommen gut an: Walker zählt
zu den heute erfolgreichsten
Krimiautoren, bislang gingen
allein auf Deutsch über 700’000
Bruno-Romane über die Ladentische. Jetzt liegt der fünfte Band
der Serie vor: «Femme fatale»,
erschienen bei Diogenes. Der neue
Fall ist der vielleicht bisher beste,
denn Walker hat einige seiner
früheren Laster überwunden:
Allzu selbstverliebte Ausschweifungen haben einer präzisen
Sprache Platz gemacht, es gibt
kaum noch langfädige Beschreibungen regionaler Rezepte, mit
denen Walker seinen Helden
– und damit auch sich selber – als
grossen Connaisseur ausweisen
wollte. Bruno hat allerdings auch
kaum Zeit, in fremde Kochtöpfe
zu schielen, denn das neueste
Verbrechen in seiner Gemeinde
St-Denis hält ihn auf Trab: Eine
wunderschöne nackte Frau liegt
tot auf einem alten Kahn – inmitten obskurer Gegenstände …
10 | Reportage
Books Nr. 2/2013
Verbindung über
Raum und Zeit
Die türkische Autorin Elif Shafak verwebt in «Die vierzig Geheimnisse
der Liebe» das amerikanische Vorstadtleben auf faszinierende
Weise mit der Mystik des mittelalterlichen Orients.
Benjamin Gygax
Eigentlich müsste Ella Rubinstein glücklich
sein: Sie hat drei Kinder, einen gut verdienenden Zahnarzt zum Mann und ein schönes viktorianisches Haus in Massachusetts. «An erster Stelle auf Ellas
Prioritätenliste standen ihre Kinder», beschreibt Elif Shafak ihre Protagonistin.
«David und sie hatten eine wunderschöne
Tochter, Jeannette, die aufs College ging,
und Zwillinge im Teenageralter, Orly und
Avi. Außerdem hatten sie einen zwölf Jahre alten Golden Retriever namens Spirit,
der Ella schon als Welpe auf ihrer morgendlichen Runde begleitet hatte, ein stets
aufmunternder Gefährte an ihrer Seite.»
Dennoch: Ella ist nicht glücklich. Ja sie ist
noch nicht einmal zufrieden. Als sie von
ihrem Mann zum Valentinstag einen Diamantanhänger geschenkt erhält und die
Widmung liest, ist sie erschüttert: «Ella
hatte es David nie gesagt, aber als sie die
Karte las, hatte sie das Gefühl, einen Nachruf zu lesen.» Und als wäre das nicht genug, brüskiert sie gleichzeitig auch noch
ihre 19-jährige Tochter. Als diese nämlich
verkündet, sie wolle ihren Freund heiraten, kann Ella ihre mütterlichen Befürchtungen nicht für sich behalten und interveniert, indem sie den Freund der Tochter
anruft und von den Hochzeitsplänen abzubringen versucht. Dass diese Einmischung
nicht den gewünschten Erfolg haben wird,
weiss sie eigentlich selbst, doch sie glaubt,
den Lauf der Dinge kontrollieren zu müssen.
Liebe als Weg und Ziel
David versucht, Ella inmitten ihres Scherbenhaufens eine neue Aufgabe zu verschaffen. Er vermittelt ihr eine kleine Arbeit für eine Bostoner Literaturagentur. Die
diplomierte Anglistin soll ein eingesandtes
Goekhan Celem
Manuskript begutachten. Etwas lustlos
und von Selbstzweifeln gehemmt, beginnt
Ella mit Lesen: «Sie fühlte sich leer, geradezu ermüdet von allem, was in ihrem Kopf
umherwirbelte. Die Kreditkartenzahlungen für diesen Monat, Orlys schlimme Essgewohnheiten, Avis schlechte Noten, Tante
Esther mit ihren traurigen Kuchen, die
schwindende Gesundheit ihres Hundes
Spirit, Jeannettes Heiratspläne, die heimlichen Affären ihres Mannes, die fehlende
Liebe in ihrem Leben ... Einen nach dem
anderen sperrte sie ihre Gedanken in kleine Schachteln ein. In dieser Stimmung
nahm sie das Manuskript aus dem Umschlag und hielt es einen Moment in den
Händen, wie um es zu wiegen. Auf dem
ersten Blatt stand in indigoblauer Schrift
der Titel des Romans: ‹Süsse Blasphemie›.» Dieser Roman eines geheimnisvollen Schriftstellers mit Namen A.Z. Zahara
wird den weiteren Fortgang von Ellas Leben verändern. Schon im Prolog lässt uns
die Autorin Elif Shafak wissen, wie die Geschichte ausgehen wird: «Für Ella bedeutete es schon eine gewaltige Anstrengung,
auch nur ihre gewohnte Kaffeemarke zu
wechseln. Weshalb sich niemand, auch sie
selbst nicht, erklären konnte, warum sie im
Herbst 2008 nach zwanzig Jahren Ehe die
Scheidung einreichte.»
Süsse Blasphemie
Elif Shafak lässt uns nicht nur in einem
Entwicklungsroman an den letzten fünf
Monaten von Ellas festgefahrenem Eheleben teilhaben, sondern auch tief in eine
Geschichte aus dem 13. Jahrhundert eintauchen. Die Autorin hat nämlich Ellas Geschichte mit den Kapiteln aus «Süsse Blasphemie» zu einer Collage montiert. Jedes
Kapitel von «Die vierzig Geheimnisse der
Elif Shafak
Die 42-jährige Elif Shafak ist neben Orhan
Pamuk die meistgelesene türkische
Autorin. Sie studierte Internationale Beziehungen in Ankara und publizierte ihren
ersten Roman 1997. Weltweit erlangte
sie 2006 Bekanntheit, als sie in der Türkei
wegen «Herabwürdigung des Türkentums»
angeklagt wurde. Sie hatte eine Figur aus
ihrem Roman «Der Bastard von Istanbul»
sagen lassen: «Ich stamme aus einer Familie, deren gesamte Verwandtschaft 1915
von den Türken abgeschlachtet worden
ist, ich habe gelernt, meine Herkunft zu
verleugnen, und mir wurde beigebracht,
dass es keinen Völkermord gegeben hat.»
Aus Mangel an Beweisen wurde sie freigesprochen. Nach 2006 lehrte sie an der Abteilung für Nahost-Studien der University
of Arizona in Tucson, zurzeit forscht sie
an der Kingston Universität London. Elif
Shafak ist mit dem Journalisten Eyüp Can
Sağlık verheiratet und wohnt in London
und Istanbul. Das Paar hat eine Tochter
und einen Sohn.
Alle Bücher finden Sie auch auf
Reportage | 11
12 | Reportage
Books Nr. 2/2013
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Rösslitor Bücher St.Gallen
Der Sufismus bringe einen dazu, mit dem Herzen zu denken, sagt Elif Shafak.
Liebe» ist mit dem Namen einer Person
überschrieben und aus deren Sicht erzählt.
Der fiktive historische Roman Zaharas erzählt von der Begegnung des armen Wanderderwischs Schams-e Tabrizi mit dem
persischen Gelehrten und Dichter Dschalal
ad-Din Rumi um 1244 in der anatolischen
Stadt Konya. Damals litt diese Weltregion
unter den Kreuzzügen, dem Einfall der
Mongolen unter Dschingis Khan und inneren Konflikten. In einem Essay zu ihrem
Roman erklärt die Autorin: «In einer Zeit
tief verwurzelter Bigotterie und von Konflikten standen Schams und Rumi ein für
eine universelle Spiritualität und öffneten
ihre Tür für Menschen jeder Herkunft gleichermassen. Sie sprachen von Liebe als
Essenz des Lebens; Liebe, die über Länder,
Kulturen und Städte verband.»
Eine innige Beziehung
Nicht nur die harten Lebensumstände sind
historisch verbürgt, sondern auch die Personen des Romans. Der Sufi Schams existierte tatsächlich; der Wanderprediger
wurde «Sonne des Glaubens von Tabriz»
genannt, und er begegnete Rumi auch in
der Wirklichkeit. Die innige spirituelle Verbindung der beiden stiess auf Unverständnis oder Eifersucht, und die kompromisslose Ehrlichkeit von Schams schuf ihm
viele Gegner – so, wie es Elif Shafak beschreibt. 1246 verschwand der mittellose
Wanderprediger aus Konya und kehrte
noch einmal kurz zurück, bevor sich 1247
seine Spur ganz verlor. Ob Schams wirklich
umgebracht wurde, ist unklar, doch es
wird allgemein angenommen. Bis heute ist
das Grab Schams im iranischen Khoy ein
viel besuchtes Monument. Noch bekannter
ist sein Schüler Rumi, der auch den Namen
Maulana – «unser Meister» – trägt. Seine
Verehrung verdankt der Dichter vor allem
den während 30 Jahren gesammelten Versen aus «Der Diwan von Shams-e Tabrizi»,
mit denen er nach dem Verlust seines
Freundes seine grosse Trauer ausdrückte.
Am bekanntesten sind aber seine Sammlung von Lebensweisheiten, die er in poetischen Vierzeilern festhielt.
Alle Bücher finden Sie auch auf
kennen. Sie schreibt: «Weil ich einen Teil
meiner Kindheit bei meiner liebevollen
Grossmutter mit ihrem Aberglauben verbrachte, war mir klar, dass die Welt nicht
ausschliesslich aus materiellen Dingen bestand, dass am Leben mehr dran war, als
ich sehen konnte.» Und weil sie Bücher
liebte und gern in ihren eigenen Geschichten lebte, begann ihr Interesse am Sufismus mit Büchern: «Ich begann aus intellektueller Neugierde darüber zu lesen, ein
Buch führte zum nächsten ... Und je mehr
ich las, desto mehr verlernte ich, denn das
ist es, was der Sufismus mit uns macht: Er
führt uns dazu, das zu tilgen, was wir wissen und dessen wir sicher sind. Danach
denken wir noch einmal nach – diesmal
nicht mit dem Verstand, sondern mit dem
Herzen.» Ihre Auseinandersetzung mit
dem Sufismus hat Elif Shafak in jene vierzig Regeln der Liebe gegossen, die dem
Roman seinen Namen geben. Schams offenbart sie im Buch nach und nach in seinen Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen. Beim Lesen kann man
sich den Spass machen, die Regeln zu sammeln. Und wer das nicht selbst tun will,
kann sich auf einen Leser verlassen, der
die Arbeit übernommen hat: Auf der Webseite wilfried-ehrmann2.blogspot.ch werden die Regeln kommentiert.
Der mystische Islam
der Sufis
Sufismus ist eine Sammelbezeichnung für
Strömungen im Islam, die ein asketisches
Leben und den mystisch-spirituellen Kern
der Religion suchen, einen «inneren Sinn»
des Korans. Sufis, oder auf Persisch
Derwische, verstehen ihre Religion als
Weg zu Gott und zur Wahrheit durch
Liebe und Hingabe. Besonders interessieren sie sich deshalb für jene Suren, die von
der individuellen Beziehung des Gläubigen
zu Gott handeln. Dem Tanz kommt eine
wichtige Rolle zum Erlangen religiöser
Ekstase zu, so zum Beispiel beim
türkischen Mevlevi-Orden und seiner
Sema, dem Kreistanz in Trance.
Der Sufismus prägte nicht nur den Islam,
sondern auch die westliche Welt – erstmals bereits im Mittelalter, als er die
Vorstellungen von romantischer Liebe und
Ritterlichkeit beeinflusste. Seit der Mitte
des 20. Jahrhunderts löst sich der Sufismus
teilweise ganz vom Islam und zieht
Sinnsuchende aus aller Welt an.
Spannung
vom Feinsten
Klappenbroschur. 368 Seiten
Weitere Bücher von
Elif Shafak
Spiegel der Stadt
(2004)
365 Seiten
CHF 31.90
Literaturca
Die jüdische Familie Pereira
gerät im 17. Jahrhundert in die Fänge der
Inquisition, doch zwei Familienmitgliedern
gelingt die Flucht nach Istanbul, wo Moslems, Christen und Juden nebeneinander
leben.
Der Weg der Sufis
Elif Shafak kam 1971 in Strassburg zur
Welt und wuchs unter anderem in Madrid,
Amman und Köln auf. Die Tochter einer
Diplomatin schrieb in einem Essay zur Geschichte hinter «Die vierzig Geheimnisse
der Liebe»: «Ich war ein Einzelkind und
wurde von einer alleinerziehenden, arbeitenden Mutter aufgezogen, die nicht viel
Zeit mit mir verbringen konnte.» Wie
kommt eine junge Frau aus einer so kosmopolitischen, säkularen und gebildeten
Welt dazu, sich mit islamischer Mystik zu
beschäftigen? Die Gegenwelt lernte die Autorin als Mädchen bei ihrer Grossmutter
Reportage | 13
Ein autobiographischer Bericht von
Elif Shafak:
Als Mutter bin ich
nicht genug (2010)
352 Seiten
CHF 27.90
Egmont
Die vierzig
Geheimnisse der Liebe
503 Seiten
CHF 31.90
Kein & Aber
Aus dem Schwedischen von Dagmar Lendt
Klappenbroschur. 416 Seiten
Eine Frau trägt einen ganzen Harem in sich:
Mit subtilem Witz und berührender Offenheit erzählt Shafak von der Schwierigkeit,
als Frau allen Rollen gerecht zu werden.
Nach der Geburt ihres Kindes verliert sie
ihr inneres Gleichgewicht und fällt in eine
Depression.
www.kiwi-verlag.de
14 | Erotische Literatur
Books Nr. 2/2013
Es muss nicht
immer
« Shades » sein
Der durchschlagende Erfolg von «Shades of Grey» hat ein Genre wieder belebt:
die erotische Literatur, in der es um Dominanz und Unterwerfung geht. Dieses Genre
ist alt und bietet unzählige Höhepunkte.
Marius Leutenegger
Erotische Literatur | 15
Alle Bücher finden Sie auch auf
Zeichnete man einen Stammbaum der Unterwerfungsliteratur, wäre «Venus im
Pelz» wohl die Grossmutter von «Shades of
Grey» – und vielleicht gar die Stammmutter des gesamten Genres. Das schmale
Bändchen erschien 1870 und wurde von
Leopold von Sacher-Masoch verfasst. Der
österreichische Autor ist als Namensgeber
in die Geschichte eingegangen – nicht der
süssen Sachertorte, sondern des viel pikanteren Masochismus’. Zu Lebzeiten war
Sacher-Masoch ein international gefeierter
Autor und hochgeachteter Universitätsprofessor; ihn überlebt hat aber eigentlich
nur «Venus im Pelz». Darin erzählt er die
Geschichte von Severin, der sich leidenschaftlich in die junge Witwe Wanda verliebt. Sie kann sich nicht recht dazu durchringen, ihn zu heiraten, denn sie weiss, wie
unbeständig Gefühle sind. Severin schlägt
Wanda vor, ihn als Sklaven zu akzeptieren,
den sie jederzeit nach Belieben demütigen
darf – denn er meint, dass seine Liebe zu
ihr dann immer grösser werde, frei nach
dem Grundsatz: Was man nicht wirklich
besitzen kann, begehrt man umso stärker.
Wanda zögert; sie weiss, ein solches Arrangement könnte ihre schlimmsten, bislang
unterdrückten Eigenschaften wecken.
Schliesslich aber willigt sie ein. Sie quält
ihren Sklaven fortan psychisch und physisch, gibt sich ihm aber auch liebevoll hin.
Dass Wanda andere Liebhaber hat, treibt
Severin schier in den Selbstmord, er kann
sich von seiner Herrin aber nicht lösen –
bis sie bewusst zu weit geht und ihn von
einem ihrer Liebhaber auspeitschen lässt.
Severin ist von seiner Obsession geheilt
und nimmt wieder sein früheres Leben an.
Von Peitschen und Stiefeln
Interessant ist, dass «Venus im Pelz» nachträglich fast zur Autobiographie von Sacher-Masoch wurde: 1873 heiratete der
Autor eine junge Angelika, die sich wegen
des Buchs in Wanda umbenannte. Mit ihr
schloss Sacher-Masoch einen Sklavenvertrag ab, und wie die fiktive Wanda hielt es
auch die echte am Ende nicht neben ihrem
Sklaven aus. Doch zurück zu «Venus im
Pelz». Das Buch enthält bereits viele Genre-typische Ingredienzien. Uniformen,
Peitschen, Stiefel, Pelze und nächtliche
Aussschweifungen kommen ebenso vor
wie das Hin und Her zwischen Erniedrigung und Zärtlichkeit. Doch das Buch erschien in einer Zeit, in der es Zensur gab,
und es beschränkt sich daher auf Andeutungen. Wer «gewisse Stellen» sucht, kann
lange blättern – es gibt sie kaum, erregend
ist allenfalls der Unterton der Geschichte.
Die Dialoge des Buchs, das derzeit von Ro-
man Polanski verfilmt wird, sind feinsinnig; Sacher-Masoch bedient sich gern bei
der Hochkultur, um die Vorliebe seines
Helden – und damit auch seine eigene – zu
begründen, er zitiert fortlaufend Goethe
oder antike Autoren. «Venus im Pelz» ist
daher eher Literatur für den feinsinnigen
Kenner als Pornografie, die bekanntlich
nur auf eines abzielt: die Lesenden sexuell
zu erregen.
«Mein Körper
hatte nicht mit mir
zu tun. Er war ein
Köder, ein Mittel –
so zu benutzen, wie
er es entschied, mit
dem Ziel, uns beide
zu erregen.»
«9 ½ Wochen»
Die Hure mit den Rehaugen
Dass auch die Österreicher der vordergründig prüden Habsburgerzeit keineswegs auf solche Werke verzichten mussten, beweist der 1906 erschienene Roman
«Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte
einer Wienerischen Dirne. Von ihr selbst
erzählt.» Auf dem Stammbaum jener Literatur, um die es hier geht, würde dieses
Buch wohl die Position einer etwas verqueren Tante einnehmen. Der Titel verspricht
Autobiografisches, doch eine Josefine
Mutzenbacher ist nicht aktenkundig.
Schon bei der Erstveröffentlichung des
Buchs wurde daher munter über dessen
Urheberschaft spekuliert. Am häufigsten
fiel damals der Name Felix Salten. Der österreichische Autor gilt generell nicht gerade als Pornograf, denn er schrieb vor allem
über Häschen und Rehe – sein wichtigstes
Werk ist «Bambi», die Vorlage für den berühmten Disney-Film. Die Tatsache, dass
sich Salten nie gegen die Zuschreibung des
Mutzenbacher-Romans wehrte, macht ihn
allerdings schon sehr verdächtig, denn er
hätte allen Grund gehabt, sich von ihm zu
distanzieren: Das Buch wurde schnell als
jugendgefährdend und unsittlich verfemt,
und noch 1992 stuften es deutsche Richter
als «Kinderpornografie» ein.
16 | Erotische Literatur
«‹Du willst also
durchaus gepeitscht werden?›,
rief sie, indem
sie den Kopf in
den Nacken warf.
‹Ja.›»
«Venus im Pelz»
«Gewisse Stellen»
Man kann lächeln über das steife Beamtendeutsch, in dem das damalige Urteil
verfasst wurde – im entscheidenden Punkt
muss man den Richtern aber Recht geben:
Der Dauerbrenner «Josefine Mutzenbacher» IST Kinderpornografie. Das Buch
erzählt nämlich, wie Josefine ihre Sexualität entdeckt und auszuleben beginnt. Am
Ende des ersten Bands ist sie 14 Jahre alt.
«Pepi» wird schon als Fünfjährige missbraucht und kann darüber nur lustvoll lächeln, sie hat inzestuöse Beziehungen und
gibt sich freudig jedem hier, der sich mit
ihr vergnügen will. Anders als bei SacherMasoch sind hier die «gewissen Stellen»
die absolute Hauptsache. Meist leiten nur
zwei, drei Sätze von einem feurigen Abenteuer zum nächsten über. Wenn Wikipedia
schreibt, hier werde auch «ein Sittenbild
des Wiener Proletariats im ausgehenden
19. Jahrhunderts präsentiert», ist das eine
wohlwollende Übertreibung. Die Sprache
ist zwar tatsächlich von anno dazumal, al-
Skinny Matcha
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Books Nr. 2/2013
les in allem bleibt «Josefine Mutzenbacher» aber Pornografie in reinster Form.
Immerhin aber eine fröhliche – hier hat
jemand beim Schreiben offenbar viel Spass
gehabt und sich einer beneidenswerten
Fantasie bedienen können.
Verlust: «Es ist jetzt schon Jahre her, und
manchmal frage ich mich, ob mein Körper
je wieder anders reagieren wird als lau»,
lautet der letzte Satz des kurzen Romans.
«Sie» und «Er»
Als «9 ½ Wochen» erschien, schlug der
Roman wie eine Bombe ein – das Interesse
an Unterwerfungsliteratur verläuft wellenförmig und wird offenbar immer wieder
von einzelnen Werken ausgelöst, die genau
den Nerv der Zeit treffen. Die Welle
schwappte damals auch ins Kino, denn «9
½ Wochen» wurde mit Kim Basinger und
Mickey Rourke in den Hauptrollen verfilmt.
Heute können sich die meisten wohl nur an
den erfolgreichen Film erinnern, das Buch
ist aber weiterhin erhältlich. Und es ist eigentlich unverständlich, dass es nicht eine
grössere Verbreitung gefunden hat, denn
es ist über weite Stellen faszinierend. Über
Ist «Venus im Pelz» die Grossmutter von
«Shades of Grey», dann muss man den
1978 erschienenen Roman «9 ½ Wochen
– Erinnerungen an eine Liebesaffäre» von
Elizabeth McNeill als dessen Mutter bezeichnen. Das Buch hat bereits viele Ähnlichkeiten mit den aktuellen Titeln der Unterwerfungsliteratur: Es ist in der Ich-Form
aus Sicht der Frau erzählt, es spielt in der
Grossstadt, die männliche Hauptfigur ist
ein stinkreicher und knallharter Geschäftsmann. Die Erzählerin unterwirft sich dem
Mann mehr und mehr – bis zur völligen
Selbstaufgabe. Ihr Leben teilt sich bald in
einen beruflichen Alltag, in dem sie sehr
erfolgreich ist, und in das vorwiegend sexuell geprägte Leben mit dem ungenannt
bleibenden «Ihm», in dem sie fast immer
gefesselt bleibt – an den Tisch, ans Bett, mit
Handschellen im Bad. Er macht sie komplett von ihr abhängig, bestimmt ihr Programm, füttert sie, wäscht sie, kämmt ihr
die Haare, liest ihr aus der Zeitung vor –
und sie ist einfach wahnsinnig verliebt in
diesen weltgewandten, sowohl dominanten wie mütterlichen Kerl. Doch wie so oft
kann der Erregungspegel nur hoch bleiben, wenn ständig die Dosis der Demütigungen erhöht wird. Schliesslich bricht die
Ich-Erzählerin zusammen, muss ins Krankenhaus – und löst sich von ihrem Dominator. Der Befreiungsschlag ist aber auch ein
Glaubwürdige Darstellung des
Abdriftens
«Seine Stimme
klang kultiviert
und samtig, mit
einem gewissen
rauen Unterton,
der mich sofort an
Sex denken liess.
An aussergewöhnlichen Sex.»
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Erotische Literatur | 17
Alle Bücher finden Sie auch auf
die Autorin lässt sich heute kaum noch etwas herausfinden, aber man darf annehmen, dass sie hier ihre eigene Geschichte
erzählt – derart eindringlich und glaubwürdig wird die Transformation einer humorvollen Erfolgsfrau zum flehenden SexSpielzeug beschrieben. Hier kann man
besser als bei Sacher-Masoch nachvollziehen, wie sich eine sexuelle Abhängigkeit
entwickelt. Und anders als bei «Josefine
Mutzenbacher» sind die sexuellen Passagen nicht Selbstzweck, sondern Teil der
Entwicklungsgeschichte.
Von der Fanfiction zum Welterfolg
Machen wir nun aber den Sprung in die
Gegenwart. «Schuld» an der neuesten Erfolgswelle der Unterwerfungsliteratur ist
bekanntlich die 2011 und 2012 erschienene Romantrilogie «Shades of Grey». Die
britische Autorin E.L. James verfasste zunächst eine sogenannte Fanfiction zu den
«Biss»-Büchern von Stephenie Meyer; sie
verwickelte deren Protagonisten Edward
Cullen und Bella Swan in eine Geschichte
voller Lustschmerz und spielerischer Bestrafung. Das kam bei den «Biss»-Fans
nicht nur gut an, deshalb arbeitete die heute 50-jährige ehemalige Fernsehproduzentin ihren Text um – die Hauptfiguren hiessen nun Anastasia Steele und Christian
Grey – und veröffentlichte ihn auf ihrer eigenen Website. Dann wurde er als eBook
und schliesslich als Taschenbuch zum
Welterfolg: Bislang wurden 70 Millionen
Exemplare der Trilogie verkauft. Das
«Time»-Magazin kürte E.L. James 2012 zu
den 100 einflussreichsten Menschen der
Welt, und bezüglich der Welt der Unterhaltung stimmt diese Einschätzung auf jeden
Fall: «Shades of Grey» hat unzählige Trittbrettfahrer motiviert, ähnliche Bücher auf
den Markt zu werfen. Die Parallelen der
Epigonen zum Original sind dabei auffallend: Fast alle richten sich an die gleiche
Zielgruppe – urbane Frauen –, haben eine
weibliche Urheberschaft und zeigen, dass
eine klug agierende Frau vom ihrem dominanten Liebhaber am Ende nicht nur «süssen Schmerz», sondern auch wahre Liebe
geschenkt erhält.
«Ein Seufzen entfährt mir, bevor ich
es zurückhalten
kann.»
«Colours of Love – Entblösst»
Verklemmt statt wild
Über den Qualitätsbegriff lässt sich so gut
streiten wie über Geschmack, und auch
«Shades of Grey» wurde von vielen in die
Pfanne gehauen. Die englischsprachige
Kritik bezeichnete die Trilogie als «Mummy Porn» – als Pornografie für Hausmütterchen. In diese Schublade gehören auch
einige der Epigonen. Es ist jedenfalls erstaunlich, wie bieder manche der klar pornografischen Bücher wirken. Geht es zur
Sache, wirkt die Atmosphäre oftmals eigenartig verklemmt und aseptisch. Im hervorragenden Film «Sophie’s Choice» mit
Meryl Streep gibt es die Figur eines Bürgertöchterleins, das lernen muss, schmutzige Wörter in den Mund zu nehmen – und
aus ihrem Mund klingen diese dann eben
besonders befangen. So kommt es einem
auch bei vielen Neuerscheinungen vor: Die
Autorinnen beschreiben zwar mit deftigen
Ausdrücken, was ihre Hauptfiguren miteinander anstellen, stellen aber sozusagen
nur Behauptungen von Lust auf; die Beschreibungen bleiben so deutlich wie distanziert.
durchaus verstehen. Diese beiden weniger
geglückten Beispiele von erotischer Literatur belegen am Ende vor allem, wie schwierig es bleibt, eine gute Sexgeschichte zu
schreiben. Eine erotische Stimmung zu
«Mein Körper
hatte nicht mit mir
zu tun. Er war ein
Köder, ein Mittel –
so zu benutzen, wie
er es entschied, mit
dem Ziel, uns beide
zu erregen.»
«9 ½ Wochen»
Es ist schwierig
Ein Beispiel dafür ist «Fire after dark» von
Sadie Matthews. Auch hier wird Hauptfigur Beth ständig «fast in den Wahnsinn
getrieben vor Lust»; ein Klischee reiht sich
ans andere, der Maskenball ist ebenso unvermeidlich wie der gefährliche russische
Oligarch. Doch die Sexszenen lassen wohl
nicht nur den Schreiber dieser Zeilen kalt
– gemäss dem Bonmot «Man spürt die Absicht und ist verstimmt». Ähnliches lässt
sich auch über «Im Schatten der Lust» der
deutschen Autorin Sandra Henke sagen –
nur ist hier die Hauptfigur ausnahmsweise
nicht gertenschlank, sondern üppig. Als
männlicher Leser kann man deren Lebenspartner, der auf ihre eher billigen Verführungsversuche nicht mehr reagiert,
schaffen, ist ja schon im wahren Leben, wo
einem ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, nicht immer einfach – auf
dem Papier wird der Grat zwischen plump
und intensiv noch einmal schmaler.
Geduld bringt Lust
Mit Beschreibungen des Sexakts ist es jedenfalls nicht getan – ohne eine sorgsam
aufgebaute erotische Stimmung, ohne
starke Charaktere bleibt alles an der Oberfläche und wird am Ende langweilig. Die
Autoren und Autorinnen sind daher gut
beraten, nicht gleich mit der Tür ins Haus
zu fallen. Hervorragend gelingt das zum
Beispiel dem anonymen Autoren-Duo, das
unter dem Namen Vina Jackson die Serie
18 | Erotische Literatur
«Kaum hatten die
Mädchen das Lehrerzimmer verlassen, als er mich auf
das Podium rief.»
«Josefine Mutzenbacher»
«80 Days» verfasst. Der erste Band «80
Days – Die Farbe der Lust» beginnt mit
dem Satz «Schuld war Vivaldi» – und einer
komplett unerotischen Begegnung der
Hauptfigur Summer mit ihrem Freund.
Das Begehren Summers nach einem anderen Leben ist fast mit Händen zu greifen,
doch das Autorenduo versteht es, das verbale Vorspiel gekonnt auszudehnen und
aufzubauen. Lange gibt es nur Sehnsucht
und unerfüllte Lust, man lernt die Protagonistin kennen und verstehen – und beginnt,
mit ihr der Erlösung entgegenzufiebern.
Lustig ist lustvoll
Ähnliche Qualitäten bietet «Crossfire» von
Sylvia Day. Die Serie gilt gemeinhin als
weiterer Epigone von «Shades of Grey», ist
das aber nicht, denn sie entstand gleichzeitig wie die Trilogie von E.L. James. Auf
Englisch verkaufte sich das Buch etwa fünf
Millionen Mal. In diesem Frühjahr ist es in
38 weiteren Sprachen erschienen, darunter auch auf Deutsch. Der grosse Erfolg ist
verständlich, denn «Crossfire» hat etwas,
was vielen anderen Neuerscheinungen des
Genres abgeht: Humor. Natürlich beschreibt auch Sylvia Day alle Protagonisten
als superschöne, dauererregte Sexgötter,
die genau wissen, mit welchen Knöpfen sie
das Gegenüber in Sekundenschnelle anwerfen können – aber sie überdreht die
entsprechenden Schräubchen zuweilen so
genüsslich, dass eine leise Ironie den Text
durchweht. Dabei geht es durchaus um
ernste Themen: Die beiden Hauptfiguren,
die hinreissende Eva und der – Überraschung! – knallharte Milliardär Gideon
sind als Kinder beide missbraucht worden
und können ihre Sexualität jetzt nur noch
in den Kategorien von Dominanz und Unterwerfung ausleben. Gemeinsam müssen
sie einen Weg zu einer gesunden, funktionierenden Beziehung finden. Das alles liest
Books Nr. 2/2013
sich sehr flüssig, die Charaktere sind vielschichtig und machen neugierig. Und bei
den wohldosiert eingestreuten Sexszenen
findet Sylvia Day sogar einige Beschreibungen, die man so noch nicht gelesen hat
– und das ist wahrlich nicht einfach!
Wie den Spreu vom Weizen
trennen?
Die Verwandtschaft der neuen Unterwerfungs- zur populären Bekenntnisliteratur
wie «Bridget Jones» ist gross. Die meisten
Hauptfiguren berichten aus der Ich-Perspektive aus einem urban geprägten Alltag,
wir nehmen teil an ihren Gedankengängen
und erfahren, dass sie eigentlich überhaupt nicht masochistisch veranlagt sind
und selber über die grosse Lust staunen,
die ihnen dominante Partner bereiten können. Besonders deutlich wird dieser Aspekt beim Roman «Colours of Love – Entblösst» von Kathryn Taylor. Hier begleitet
die Hauptfigur ihren dominanten Geliebten in einen «dieser Clubs», doch sie kann
sich anderen Männern nicht hingeben. Der
Geliebte versteht seine Herzensdame, verteidigt sie mit Fäusten und entschliesst
sich, eine echte Beziehung mit ihr aufzubauen. Die Gratwanderung zwischen verrucht und brav gelingt hier vorzüglich, und
diese Gratwanderung macht wohl auch
den Erfolg der neuen Unterwerfungsliteratur aus: Im Zentrum stehen nicht lasterhafte Weiber, sondern gewöhnliche Frauen,
die sich trauen, ein paar Schritte aus der
Normalität zu machen. Das alles erhöht
das Identifikationspotenzial beträchtlich,
und wenn man die Sache nicht zu ernst
nimmt, können solche Bücher Spass machen. Wie aber soll man bei den Hunderten
von Neuerscheinungen Spreu vom Weizen
trennen? Nun, die meisten neuen Titel erscheinen als Taschenbücher oder als
eBooks und sind nicht teuer. Deshalb kann
man ohne grossen Verlust eine Art SpeedDating mit Büchern wagen: Man kauft
gleich ein paar Titel – und macht sich lustvoll auf die Suche nach dem, das wirklich
zu einem passt.
BUCHtipps | 19
Alle Bücher finden Sie auch auf
Venus im Pelz
Leopold von Sacher-Masoch
281 Seiten
CHF 14.90
Insel Taschenbuch
Josephine Mutzenbacher
247 Seiten
CHF 11.60
Rowohlt
9 ½ Wochen
Elizabeth McNeill
160 Seiten
CHF 24.90
Marterpfahl
Fire after Dark – Dunkle
Sehnsucht
Sadie Matthews
375 Seiten
CHF 15.90
Fischer Taschenbuch
Im Schatten der Lust
Sandra Henke
239 Seiten
CHF 12.90
Heyne
80 Days –
Die Farbe der Lust
Vita Jackson
368 Seiten
CHF 19.90
carl’s books
Andrea Camilleri
Derek B. Miller
Ina Haller
Arne Dahl
Im Fahrwasser einer Luxusjacht wird
ein namenloser Toter angespült.
Die mondäne Schiffskapitänin wirkt
ebenso mysteriös wie ihre Besatzung.
Aber das ist nicht der einzige Grund,
weshalb Commissario Montalbano so häufig am Hafen von Vigàta
anzutreffen ist. Denn Salvo ist verliebt
– und zwar in Laura, die Chefin der
Hafenkommandatur. Doch wie soll
er ihr das sagen? Wie soll er es seiner
Livia beibringen? Darf er überhaupt
in Laura verliebt sein, oder ist sie nur
der emotionale Rettungsanker für
sein fortgeschrittenes Alter? Und wie
soll er hinter das Geheimnis des Toten kommen, wenn alle Zeugen tun,
als wären sie stumm wie Fische?
Der 14. Teil der erfolgreichen Serie
um Commissario Montalbano.
Nach dem Tod seiner Frau ist der
82-jährige Sheldon Horowitz zu
seiner Enkelin nach Oslo gezogen – in
ein fremdes Land ohne Juden. Viel
Zeit, um über die Vergangenheit
nachzudenken. All die Erinnerungen.
All die Toten. Eines Tages hört Sheldon aus dem Treppenhaus Krach: Er
öffnet die Tür, und in seiner Wohnung
steht eine Frau mit einem kleinen
Jungen. Kurze Zeit später ist die
Tür aufgebrochen, die Frau tot und
Sheldon mit dem Kind auf der Flucht
den Oslofjord hinauf. Was wollen die
Verfolger von dem Jungen? Sheldon
weiss es nicht. Aber er weiss: Sie werden ihn nicht kriegen.
Ein humorvoller Thriller mit einem
Schuss Roadmovie und einer Portion
Lebenserinnerungen.
Nach der spektakulären Ermordung
eines Erfolgsautors muss sich die
Verlagsmitarbeiterin Andrina den
bohrenden Fragen der Polizei stellen.
Dann überschlagen sich die Ereignisse:
Andrina findet die Verlagsräume
verwüstet vor. Kurz darauf nimmt
sich eine der beiden Verlegerinnen
das Leben, und die Lektorin überlebt
nur knapp einen Mordanschlag. Nach
und nach erhärtet sich der Verdacht,
dass die schrecklichen Ereignisse mit
Andrina selbst zusammenhängen und
sie in akuter Gefahr schwebt. Doch
wer könnte einen Grund haben, sie
zu töten?
Spätsommer in Stockholm, Sonntagnachmittag zwischen drei und vier:
In dieser scheinbar friedvollen Zeit
geschieht ein buchstäblich unsichtbares Verbrechen. Der schiere Zufall
macht Lena Lindberg, ein Mitglied der
A-Gruppe, zur ahnungslosen Zeugin.
Während ihr Vorgesetzter Paul Hjelm
den undankbaren Auftrag erhält, den
verschwundenen Geheimdienstchef
zu finden, stösst die A-Gruppe auf
eine Serie sadistischer Morde an
jungen Frauen. Doch nicht allein die
Tatsache, dass auch Hjelms Tochter
Tora ins Visier des Täters gerät, ist
der Grund für die aussergewöhnlichen Mittel, zu denen die A-Gruppe
greift ...
Der zehnte Fall für die legendäre
Stockholmer A-Gruppe: Arne Dahl
lässt Böses mit Bösem vergelten
und beschert seinen Lesern das
überraschende Finale seiner vielfach
preisgekrönten Serie.
251 Seiten
416 Seiten
224 Seiten
464 Seiten
CHF 31.90
CHF 23.90
CHF 15.90
CHF 32.90
Lübbe
rowohlt POLARIS
Emons
Piper
ISBN 978-3-7857-2466-8
ISBN 978-3-499-23086-8
ISBN 978-3-95451-076-4
ISBN 978-3-492-04969-6
Die Tage des
Zweifels
Ein seltsamer
Ort zum
Sterben
Tod im Aargau
Crossfire – Versuchung
Sylvia Day
413 Seiten
CHF 15.90
Heyne
Bussestunde
Colours of Love – Entblösst
Kathryn Taylor
320 Seiten
CHF 16.90
Bastei-Lübbe
20 | Neue Bildbände
Books Nr. 2/2013
Neue Bildbände | 21
Alle Bücher finden Sie auch auf
«Wer sich für fremde Welten interessiert,
dürfte auch am nächsten Buch seine helle
Freude haben – an ‹The Design Hotels
Book›. Der elegante bronzefarbene Schmöker präsentiert die grösste mir bekannte
Zusammenstellung von Designerhotels.
Vorgestellt werden neue und bewährte
Häuser aller Weltregionen; schön gemachte Karten erleichtern die Orientierung, die
kurzen Hotel-Porträts bieten umfassende
Informationen über die Architektur und
die Besonderheiten des jeweiligen Hauses.
Natürlich wird alles mit vielen tollen Fotos
abgerundet. Das Buch macht grosse Lust,
gleich die Koffer zu packen und abzurauschen – wären diese Hotels nur nicht so
teuer!»
Schöner Lesen
Schöne Bücher findet man überall bei Orell Füssli – die allerschönsten gibt es aber bei
Krauthammer, der Abteilung für Kunst-, Architektur-, Design- und Fotobücher in der Filiale
Kramhof in Zürich. Abteilungsleiterin Mirjam Kühnis hat einige besonders eindrückliche
Neuerscheinungen herausgepickt.
Marius Leutenegger
«Zum Thema Wohnen findet man bei
Krauthammer eine grosse Auswahl an Büchern zu jedem Stil und für jeden Geschmack. ‹Holly Beckers wunderbare
Wohnideen› finde ich besonders gelungen,
weil es nicht einfach geglückte Einrichtungen zeigt, sondern eine konkrete Anleitung
gibt, wie man beim Einrichten vorgehen
kann. Ich gehöre auch zu denen, die beim
Einrichten nicht so recht wissen, wie sie
beginnen sollen, und mir erscheint dieses
Buch deshalb so schön wie nützlich. Die
US-Amerikanerin Holly Becker zeigt, wie
man sein Zuhause in acht Schritten – vom
Vorbereiten bis zum Dekorieren – neu gestalten kann. Das Buch bietet viele nützliche Tipps sowie wertvolle Listen und Fragebögen; es unterstützt einen beim
Budgetieren und beim Finden des eigenen
Stils. Und natürlich wartet es auch mit vielen tollen Einrichtungsbeispielen auf, die
von der Autorin kompetent kommentiert
werden.»
The Design Hotels Book
792 Seiten
CHF 85.–
Die Gestalten
«Wenn wir gerade bei Stilfragen sind: Für
viele ist ja auch das Velo Ausdruck ihres
Lifestyles. Das schöne Buch ‹Velo – 2nd
Gear› dokumentiert die aktuelle urbane
Zweirad-Kultur. Grosszügige Bildstrecken
zeigen originelle Bikes und nicht minder
originelle Accessoires, geben Einblick in
bestimmte Fahrrad-Szenen und verraten,
wer die schönsten Gefährte herstellt. Alles
nach dem Motto: ‹I Bike, Therefore I Am›
– ich fahre Velo, also bin ich. Dieses Buch
spricht wohl nur eine ganz kleine Zielgruppe an, aber ich habe es hier trotzdem vorstellen wollen – als gutes Beispiel dafür,
dass man heute wirklich für jeden und jede
ein tolles Buch findet. Einfach in den Krauthammer kommen und schmökern!»
Holly Beckers wunderbare
Wohnideen
Holly Becker
207 Seiten
CHF 39.90
Callwey
Holly Becker erklärt einem minutiös, wie man sein Heim so toll einrichtet.
«René Burri war unser Stargast, als wir vor
zwei Jahren den Krauthammer im Kramhof eröffneten. In der Regel kennt man
Burri als Schwarz-Weiss-Fotografen; weltberühmt sind seine Porträts von Che Guevara, Pablo Picasso oder Le Corbusier. Das
neue Buch ‹Impossible Reminiscences›
präsentiert nun eine Sammlung von BurriBildern in Farbe. Der grosse Band belegt,
dass der Zürcher auch ein Meister der
Farbfotografie ist. Die bislang zumeist unveröffentlichten Bilder entstanden während Burris fotojournalistischer Reisen
rund um die Welt; sie geben Einblick in den
Alltag ganz verschiedener Kulturen, und
mir imponiert, wie Burri überall eine gewisse Ästhetik einfangen kann. Spannend
ist auch, dass er am Ende des Buchs jede
einzelne Aufnahme kommentiert und in
einen Kontext stellt. Dieses Buch ist ein
Genuss für Fotografie-Fans und alle, die
sich für fremde Welten interessieren.»
Velo – 2nd Gear
Impossible Reminiscences
Sven Ehmann
168 Seiten
CHF 53.–
Die Gestalten
René Burri
240 Seiten
CHF 122.–
Phaidon
22 | Neue Bildbände
Books Nr. 2/2013
Spezial – R atgeber | 23
Alle Bücher finden Sie auch auf
Books
Spezial
«Mein Liebling unter den Neuerscheinungen ist ‹A map of the world›. Es scheint unter jungen Designerinnen und Designer
grosse Mode zu sein, sich mit Landkarten
zu beschäftigen. Anders lässt sich die Fülle
an spannenden, hübschen, aufregenden,
überraschenden, bunten, dekorativen und
von A bis Z speziellen Landkarten und
Stadtplänen, die dieses Buch vereint, wohl
kaum erklären. Manche Karten sind exakt
und lesbar, andere gehören eher in die Kategorie ‹Experimente› – alle aber machen
grossen Spass. Manchmal fühlt man sich
fast an Wimmelbilder erinnert, so übervoll
sind manche Karten. Und man kann sich in
vielen Darstellungen regelrecht verlieren,
vor allem in jenen, die sich mit einer bekannten Stadt beschäftigen.»
A Map of the World
Antonis Antoniou
221 Seiten
CHF 59.–
Gestalten
Krauthammer
Orell Füssli
Jahrzehntelang war die Buchhandlung
Krauthammer an der Oberen Zäune im
Zürcher Niederdorf ein Mekka für alle, die
Kunstbücher liebten – Architekten, Designer oder Kulturfreunde. 2001 übernahm
Orell Füssli das renommierte Geschäft und
verlegte es in einen vergrösserten Laden
an der Marktgasse. Die Erweiterung der
Filiale Kramhof 2011 ermöglichte dann
einen erneuten Umzug: Heute ist der
Krauthammer eine 300 Quadratmeter
grosse, helle und besonders schön gestaltete Abteilung des Hauptgeschäfts an der
Zürcher Bahnhofstrasse, sozusagen eine
Spezialbuchhandlung in der Buchhandlung.
Krauthammer bietet die schweizweit
grösste Auswahl an Architektur-, Grafik-,
Design- und Kunstbüchern und ist ein Eldorado für alle, die schöne Bücher mögen:
Hier findet man neben den klassischen
Bildbänden auch viele originelle Neuerscheinungen zu sämtlichen Themen rund
um Mode, Inneneinrichtung, Fotografie und
Style – und unzählige Bücher, die sich zum
Schenken eignen. Geleitet wird die Abteilung von der 37-jährigen Mirjam Kühnis; sie
hat auch die Bücher ausgesucht, die wir in
diesem Beitrag vorstellen. «Am schönsten
finde ich die Atmosphäre im Krauthammer,
wenn es sich am Abend viele Leute mit unseren Büchern in der Sitzlounge gemütlich
machen», sagt sie über ihren Arbeitsort.
Reisebücher:
Vorfreude und Hilfe
vor Ort
Wer eine Reise tut, der kann nicht nur etwas erleben. Er kann sich mit
Reiseführern schon Monate vorher auf das Ziel einstellen und dadurch
die Vorfreude erhöhen. Vor Ort aber erleichtern Reiseführer die
Orientierung und liefern viele Informationen, die den Genuss erhöhen.
Buchhändlerin Mirjam
Kühnis: «Eine Flut
von tollen Sachen!»
24 | Spezial – Reisebücher
Books Nr. 2/2013
Weltweit wegweisend
Hallwag Kümmerly+Frey ist der führende Schweizer Verlag
für Touristik. Fritz Ruchti ist zuständig für den Verkauf in der
Schweiz – und weiss, welche Reiseführer besonders beliebt sind.
Markus Ganz
sind Stadtführer für Paris, London, Berlin,
Wien, Hamburg, Rom und – zunehmend –
Barcelona.
Fritz Ruchti von Hallwag Kümmerly+Frey:
«Viele Reisende benützen die Bücher schon
Wochen oder Monate im Voraus für die
Planung.»
«Books»: Der Buchhandel stagniert. Gilt
das auch für den Bereich Touristik?
Fritz Ruchti: Nein, hier nahm der Umsatz
im Schweizer Markt um 4,5 Prozent, in
den Teilbereichen der Reiseführer und
Karten sogar um 9 Prozent zu.
Wie erklären Sie sich dieses erstaunliche
Wachstum?
Die Wirtschaftslage in der Schweiz ist anhaltend gut. Die Schweizer reisen deshalb
nach wie vor sehr gern und benötigen
dazu Informationen. Das gute Ergebnis
hat auch damit zu tun, dass die Abwanderung ins Internet in diesem Bereich
nicht so ausgeprägt ist wie etwa bei der
Belletristik.
Hat sich die Nachfrage nach bestimmten
geografischen Zielen verändert?
Zunehmend gefragt sind Reiseführer für
Europas Metropolen in Kombination mit
sehr guten Karten. Das Gebiet Nordamerika mit Schwerpunkten an der West- und
Ostküste sowie Kanada liegt ebenfalls
im Trend. Zugenommen hat zudem das
Interesse nach Individual-Reiseführern
für Asien, Australien und Südamerika, abgenommen hat dafür die Nachfrage nach
Büchern über Nordafrika und über die
klassischen Badeferiendestinationen entlang des Mittelmeers. Anhaltend gefragt
Sehen Sie einen Trend bei der Aufmachung der Reisebücher?
Es werden mehr Bilder und wesentlich
mehr Grafiken eingesetzt, etwa 3DDarstellungen von Gebäuden wie Kirchen
und Palästen bei Baedeker. Zunehmend
finden Leserinnen und Leser auch Links
und QR-Codes, die sehr einfach zu weiterführenden Informationen im Internet
führen. Dies ist vor allem bei sich schnell
verändernden Themen wichtig, damit die
Aktualität gesichert bleibt.
Gibt es ungewöhnliche neue Konzepte?
Neue Ansätze haben es schwer. Grundsätzlich decken neu aufgelegte Reiseführer ein wesentlich breiteres Spektrum an
Themen ab als früher.
wird die positive Art, sich mit der Reise
auseinanderzusetzen, zum «Stressfaktor».
Hat das Buch auch Vorteile bei der
Handhabung?
Viele Reisende benützen die Bücher schon
Wochen oder Monate im Voraus für die
Planung, machen Notizen, kleben Zettel
hinein, geben sie den späteren Mitreisenden weiter. Diese eigentlich sehr einfachen Praktiken funktionieren elektronisch
nur mit Hindernissen oder gar nicht. Aus
diesen Gründen ist der eReiseführer ganz
einfach noch nicht «massentauglich». Der
Umsatzanteil von eReiseführern hat bis
heute bei kaum einem Reiseführer-Verlag
die 5-Prozent-Marke erreicht. Aber er
wird wachsen.
Wieso werden über zwei Drittel aller
Reiseführer noch immer im stationären
Buchhandel gekauft?
Der Kunde will das Buch in der Hand
halten und durchblättern können. Denn
er will sehen, ob es seine Erwartungen
erfüllt oder nicht. Dies hat auch damit zu
tun, dass Reiseführer keine Romane sind.
Es gibt Angebote der verschiedenen Anbieter zu ein und derselben Stadt, die sich
oft stark unterscheiden; zum Glück, denn
die Geschmäcker und Bedürfnisse sind ja
auch sehr verschieden. Beim Kauf übers
Internet sind diese Unterschiede nur sehr
schwer feststellbar.
Werden Reiseführer spezifischer auf die
Bedürfnisse bestimmter Zielgruppen
ausgerichtet?
Nein, es würde sich nicht lohnen, mehrere
Titel für eine Destination zu schaffen. Es
wird vielmehr versucht, in den einzelnen
Reiseführern verschiedene Zielgruppen
besser bedienen zu können.
Stimmt der Eindruck, dass eBooks bei
den Reiseführern noch keine grosse
Bedeutung haben?
Ja, denn die meisten Lesegeräte haben
nur eine schwarzweisse Anzeige. Sie sind
deshalb zum Betrachten eigentlich farbiger Reiseführer nicht geeignet, machen
schlicht keinen Spass. Tablets haben zwar
farbige Displays, sind aber meist zu gross
und zu schwer. Sie spiegeln zudem bei
Sonnenlicht stark, sind somit schlecht
zum Lesen geeignet. Sowohl eReaders wie
Tablets kosten immer noch relativ viel,
und die Diebstahlgefahr ist in den Ferien
meist grösser. Man muss deshalb viel
vorsichtiger sein als bei einem Buch, kann
die Geräte nicht einfach im Auto oder auf
einem Café-Tisch liegen lassen. Somit
SPEZIAL – Reisebücher | 25
Alle Bücher finden Sie auch auf
Für jede Reise das richtige Buch
Markus Ganz
Dorling Kindersley: Der Bestseller
DuMont: Anspruchsvoll
Bikeline: Alles für die Veloferien
Als weltweit erfolgreichste Reihe gilt «Visà-Vis» von Dorling Kindersley. Der neue
Reiseführer zu New Orleans zeigt deren herausragenden Merkmale. Trotz kompaktem Format vermitteln ungewöhnlich viele
Fotografien, dreidimensionale Aufrisszeichnungen und Illustrationen einen guten Eindruck des Reiseziels. Vor Ort überzeugt die Reihe mit vielen Informationen zu
Attraktionen sowie einer umfangreichen
Liste von Restaurants und Hotels. Für viele
Städteziele gibt es neu eine herausnehmbare Extrakarte auf plastifiziertem Papier.
Der deutsche Verlag DuMont hat mit seinen
anspruchsvollen Kunst-Reisebüchern einen
neuen Standard gesetzt, den er auch mit
neuen Titeln etwa zu China und Sizilien einhält. Er bietet mit der Reihe «DuMont direkt» aber auch Kompaktführer für Citytrips und Kurzreisen an – schliesslich ist
man auch bei einem Wochenendausflug auf
gute Informationen angewiesen. Im neuen
Band zu Istanbul werden die Highlights in
kurzen Kapiteln vorgestellt, dazu gehören
natürlich alle wichtigen Adressen und ein
grosser, herausnehmbarer Faltplan.
Ein Naturerlebnis der besonderen Art bieten Velotouren. Der deutsche Verlag Esterbauer präsentiert mit seiner Reihe Bikeline
eine Vielzahl von Büchern, die bei Touren
in ganz Europa helfen. Für Schweizer besonders spannend ist wohl der «BodenseeRadweg», der auf rund 260 Kilometern
rund um Obersee, Untersee und Überlinger See führt. Das Buch stellt alle wichtigen
Sehenswürdigkeiten vor und empfiehlt
sinnvolle Etappen.
New Orleans
Istanbul
Bodensee-Radweg
Marilyn Wood
248 Seiten
CHF 43.90
Dorling Kindersley
120 Seiten
CHF 18.90
DuMont
119 Seiten
CHF 19.90
Esterbauer
Kenya.
Masai Mara.
Migration – ein einmaliges Erlebnis
Auf der Suche nach Nahrung wandern 2 Millionen Gnus, 250 000 Zebras und unzählige Antilopen jährlich ins Masai Mara Reservat. Dieses einmalige Naturschauspiel dürfen Sie auf gar
keinen Fall verpassen. Sie übernachten im luxuriösen Exploreans Mara Rianta Camp ****(*).
Hallwag
Kümmerly+Frey
CHF 465 pro Person/ Nacht, Reisedatum 1.8. – 31.10.2013
Inbegriffen: All Inclusive, Übernachtung inkl. Pirschfahrt und Parkgebühren, Transfer vom/zum Airstrip Masai Mara.
ST/J/NBO/EXPMARA0121
Hallwag Kümmerly+Frey ist vor allem
bekannt für Kartografie, pflegt aber auch
ein breites Programm an Reiseführern.
Er vertreibt Reiseführer der Verlage
Baedeker, Marco Polo, DuMont, Dorling
Kindersley, Lonely Planet, promobil,
Caravaning, National Geographic Deutschland und Kunth Verlag in der Schweiz
exklusiv.
Weitere Infos zu diesem Angebot: www.travelhouse.ch/NBO0121
Kontaktieren Sie den Afrika-Spezialisten. Telefon 058 569 95 01
Africantrails Sägereistrasse 20 8152 Glattbrugg [email protected] www.travelhouse.ch
Spannende Reiseberichte: blog.travelhouse.ch & facebook.com/travelhouse.ch
Neue Freizeitkarten
inklusive Gratisversion für Smartphone
SPEZIAL – Reisebücher | 27
Alle Bücher finden Sie auch auf
Baedeker: Synonym für Reiseführer
Marco Polo: Auch für Einwohner
Der erste Reiseführer des deutschen Verlags erschien bereits 1832 – kein Wunder,
galt Baedeker lange als Synonym für Reiseführer. Seinen herausragenden Ruf hat
Baedecker bis heute halten können, obwohl die Konkurrenz gross geworden ist.
Dies ist darauf zurückzuführen, dass der
Verlag die bewährten Qualitäten seiner
Produkte bis heute pflegt. Dies bestätigen
die neuen Reiseführer, die optisch aufgefrischt und übersichtlicher gemacht wurden. Die neue Ausgabe des Paris-Führers
etwa besticht wie eh und je mit der Fülle
und Genauigkeit der Angaben sowie mit
speziellen Tipps. Hinzu kommen ein grossformatiger
Stadtplan
im
Massstab
1:15’000, anschauliche Infografiken und
eindrückliche 3D-Darstellungen.
Von Marco Polo gibt es Reiseführer zu unzähligen Destinationen. Die Reihe «InsiderTipps» bietet neben den üblichen Informationen und Karten auch Hinweise auf
Attraktionen, die in anderen Reiseführern
oft fehlen. Ein gutes Beispiel dafür ist der
aktuelle Berlin-Führer, welcher der Berliner Clubszene viel Platz einräumt. Für einige Städte wie Zürich gibt es neu Cityguides,
die sich nicht an Touristen, sondern an die
Bewohner dieser Stadt richten. Einzigartig
aber ist der Stadtführer «My New York
City», der vom Pop-Art-Künstler James Rizzi farbenfroh illustriert wurde – allein sein
Cityplan ist ein Kunstwerk für sich. Von «My
New York City» gibt es auch eine grossformatige Kunstführer-Ausgabe mit ungewöhnlichen Gadgets wie einem Poster, zwei
CDs sowie Gutscheinen für ein Kaffeetassen-Set und einen Regenschirm.
Paris
My New York City
James Rizzi, Peter Bührer
239/352 Seiten
CHF 32.90/145.–
Marco Polo
MairDuMont
© Davos.ch
389 Seiten
CHF 39.90
Baedeker
Wanderkarten
Velokarten
Mountainbike - Karten
Winter - Erlebniskarten
Indien.
Märchen und Mythen.
Outdoorkarten
Geführte Gruppenreise – Rajasthan aus dem Märchenbuch
Tauchen Sie ein in eine Zauberwelt voller Legenden und Traditionen. Prunkvolle Paläste,
exotische Landschaften, bunte Märkte und eine lebensfrohe Bevölkerung reich an Traditionen und phantasievollen Geschichten werden Sie in ihren Bann ziehen.
14 Tage CHF 2445 pro Person, z. B. Reisedatum 6.10.2013
Inbegriffen: Rundreise im klimatisierten Bus, Deutsch sprechende Reiseleitung. 12 Übernachtungen in guten Mittelklassehotels mit Halbpension, 1 Übernachtung im Manvar Desert Camp mit Vollpension, Besichtigungen inkl.
Eintrittsgebühren. Reisedaten: 6.10., 4.11., 2.12.2013, 6.1., 2.2., 9.2., 3.3., 7.4. und 5.10.2014. SI/A/DEL/RTP100
Weitere Infos zu diesem Angebot: www.travelhouse.ch/DEL7100
Kontaktieren Sie den Indien-Spezialisten. Telefon 058 569 95 04
www.swisstravelcenter.ch
Inditours Sägereistrasse 20 8152 Glattbrugg [email protected] www.travelhouse.ch
Spannende Reiseberichte: blog.travelhouse.ch & facebook.com/travelhouse.ch
Haffmans & Tolkemitt: Raus in
die Natur
Ist Campieren spiessig? Nein, meinen die
Autoren der Reihe «Cool Camping», die eine
neue Generation zum Schlafen unterm Sternenhimmel animieren will. Wer keine Lust
auf Klimaanlage und Frühstücksbuffet
habe, solle raus in die Natur. In «Cool Camping Europa» werden 80 «sensationelle
Orte» zum Campen in ganz Europa vorgestellt, von Berlin Mitte über eine Insel vor
Peniche in Portugal bis zu einem Platz direkt vor der Eigernordwand. Wer sich auf
deutsche Orte konzentrieren möchte, für
den gibt es «Cool Camping Deutschland».
Und wer das Naturerlebnis kulinarisch abrunden möchte, findet im «Cool Camping
Cookbook» angepasste Rezepte für klassische oder exotisch-raffinierte Gerichte.
Cool Camping Europa
Sophie Dawson u.a.
318 Seiten
CHF 29.90
Haffmans & Tolkemitt
SPEZIAL – Reisebücher | 29
Alle Bücher finden Sie auch auf
Reisen – aber nicht
nach Plan
Die Engländer sind sozusagen die Erfinder des neuzeitlichen
Tourismus’ – und damit auch des Reiseberichts. Zwei neue
Bücher sind besonders lesenswert, denn sie zeigen, wohin eine
Reise führen kann, wenn sie nicht von Tourismusbüros, Fahrplänen und Websites in geordnete Bahnen gezwängt wird.
Entdecke und erlebe die Welt mit den
Marco Polo Insider-Tipps.
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3x Kar
enden Buchhandel.
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Jetzt mitmachen!
Teilnehmen dürfen alle Personen ab 18 Jahre mit Wohnsitz
in D / A / CH / L. Teilnahmeschluss: 30.08.2013
Hanspeter Künzler
Die Expedition auf den höchsten Berg der
Erde, Rum Doodle genannt, beginnt mit
einer Panne: Ausgerechnet Humphrey
Jungle, der Mann, der als Funkexperte und
Navigator ins Team eingeladen wurde,
geht auf dem Weg zur Vorbesprechung im
Londoner Verkehrsdschungel verloren.
Erst viel später gelangt er doch noch zur
Gruppe – nach einer Irrfahrt, die ihn über
Cockfosters, Hounslow, Wales und Buenos
Aires in eine Banditenhöhle in Yogistan
führt. Zu diesem Zeitpunkt ist den ur-englischen Gentlemen, die sich zur Besteigung
aufgemacht haben, bereits ein weiteres
Ungeschick zugestossen. Lancelot Constant, «eigens wegen seines Taktgefühles
und Kameradschaftsgeistes ausgesucht»,
hat wegen seiner lückenhaften Kenntnisse
der Lokalsprache aus Versehen statt 3000
Träger deren 30’000 engagiert. Die desaströse Besteigung endet – so scheint es zumindest – mit dem desolaten Ausruf: «Wir
hatten den falschen Berg bestiegen!»
Eine absurdere, tölpelhaftere Expedition
ist unmöglich. Und doch: den Zeitgenossen, die den zum Heulen lustigen Roman
im Jahr 1956 erstmals zu Gesicht bekamen, war der Inhalt plausibel genug, dass
die Kritikerin der ehrwürdigen Publikation
«Good Housekeeping» zugeben musste,
erst nach der Hälfte des Buches gemerkt zu
haben, dass es sich nicht um einen Dokumentarbericht handle. «Die Besteigung
des Rum Doodle» ist ein Meisterwerk bitterböser Satire. Denn die Lektüre von den
Berichten, welche die grossen englischen
Bergsteigerpioniere ein paar Jahre früher
aus dem Himalaya oder vom Cresta Run in
St. Moritz zurückgeschickt hatten, zeigt,
dass die Realität von der Fiktion so weit
nicht entfernt war. Da wie dort haben wir
es mit exzentrischen Engländern privile-
gierter Abstammung zu tun, lauter Männern, die sich ins ferne Abenteuer stürzen,
ohne sich dabei viel zu überlegen. Ihre
Ausrüstung ist dürftig, dafür ihr Bewusstsein, heldenhafte Pioniertaten zu unternehmen, gewaltig. Die Lokalbevölkerung
besteht für sie aus ungehobelten Muskelpaketen, die selbst dann, wenn es ohne
ihre tatkräftige Mithilfe nicht mehr weiterginge, mit herablassender Nonchalance
behandelt werden.
«Die Besteigung des Rum Doodle» gilt in
der britischen Bergsteigerszene längst als
Insider-Tipp. Es ist sogar ein Flecken Antarktis offiziell nach ihm benannt worden,
Mount Rumdoodle. Doch der Roman bietet
mehr als amüsanten Lesestoff für Kletterer.
«The Guardian» hat ihn auf seine Liste der
«1000 Bücher, die jeder gelesen haben
muss» gesetzt, denn er kann durchaus als
Kritik an der Überheblichkeit gelesen werden, die das Verhalten vieler Briten im Imperium prägte. Vielleicht war die Satire
dem Publikum aber zu bissig: dem Autor
William E. Bowman (1911-1985) brachte
sie jedenfalls nicht allzu viel Glück. Bowman wuchs in Middlesbrough auf, entwickelte früh eine Passion fürs Wandern, bestieg aber nie einen höheren Berg als den
Scafell Pike im Lake District. Er verdiente
sich den Lebensunterhalt als Ingenieur.
Obwohl «Die Besteigung des Rum Doodle»
in mehrere Sprachen übersetzt wurde,
konnte Bowman nur noch ein weiteres
Buch veröffentlichen – eine Parodie auf
Thor Heyerdahls Reisebericht von der
Kon-Tiki. Jetzt liegt sein Meisterwerk endlich in einer neuen Übersetzung auf
Deutsch vor.
Ein Reisebuch ganz anderer Art ist «Slow
Travel – Die Kunst des Reisens». Dan Kier-
an gehörte zehn Jahre lang zur Redaktion
von «The Idler», einer englischen Publikation, die sich dem Müssiggang verschrieben hat. Kieran nimmt als Anfangspunkt
seiner Reisen ein Zitat des chinesischen
Philosophen Lao Tzu: «Ein guter Reisender
hat keinen festen Plan. Und hat nicht vor, je
an ein Ziel zu gelangen ...» Das moderne
Reisen mit peinlich genau berechneten, auf
Effizienz bedachten Fahr- und Flugplänen
sei gleichermassen ein Anti-Reisen, meint
er: Statt den Reisenden mit dem Unerwarteten zu konfrontieren und im wahrsten
Sinn des Worts seinen Horizont zu erweitern, sei die moderne Reiseindustrie darauf bedacht, ihn nicht mit unerwarteten
Erlebnissen zu stressen. Mit sanfter Eindringlichkeit und vielen appetitanregenden Anekdoten aus den eigenen Reisetagebüchern – ein Wochenende auf der Insel
Mull, eine Zugreise nach Prag und so weiter – plädiert er für das instinktive Reisen
ganz der Nase nach. «Slow Travel» ist ein
Buch wie eine Reise, die alleweil ein lesendes Hockenbleiben in der Stube wert ist.
Die Besteigung des
Rum Doodle
William E. Bowman
180 Seiten
CHF 29.90
Rogner & Bernhard
Slow Travel –
Die Kunst des Reisens
Dan Kieran
250 Seiten
CHF 29.90
Rogner & Bernhard
30 | Buchtipps
Günter Liehr
Books Nr. 2/2013
Yann Arthus-Bertrand
Marseille –
Porträt einer
widerspenstigen
Stadt
Der Mensch und
die Weltmeere
Marseille spielte immer eine besondere Rolle unter Frankreichs grossen
Städten. Sie verteidigte ihre Eigenständigkeit und wehrte sich gegen Zugriffe
des Zentralstaats. Dafür wurde sie
auch mehrmals hart bestraft. Das
Buch beschreibt die Bedeutung des
Marseiller Hafens als Durchgangsstation für Waren und Reisende, Einund Auswanderer, Kolonialbeamte,
Truppen- und Fluchtbewegungen.
Wellen von Immigranten haben das
Bevölkerungsgemisch dieser Stadt
hervorgebracht. Dass die zentralen
Viertel noch heute von Immigranten
und kleinen Leuten bewohnt sind,
passt der aktuellen Stadtpolitik nicht
ins Konzept. Ob aber die «Normalisierung» gelingt, ist bei dieser Stadt
fraglich.
Yann Arthus-Bertrand ist der wohl erfolgreichste Luftbildfotograf der Welt
– und ein engagierter Umweltschützer. In diesem überwältigenden Band
porträtiert er gemeinsam mit dem
Unterwasserfotografen Brian Skerry
die Grossartigkeit der Weltmeere
und ihrer Bewohner in über 200
Fotografien. Namhafte Journalisten,
Wissenschaftler und Umweltaktivisten weisen mit ihren Beiträgen auf
die Überfischung, das Artensterben
und die Verschmutzung der Meere
hin. Gleichzeitig zeigen sie Lösungswege auf. Dieses Buch dokumentiert
auf nie zuvor gesehene Weise die
Faszination und Bedeutung der Meere
für uns Menschen – und zeigt, was wir
tun müssen, um diesen Lebensraum
in Zukunft zu bewahren.
Vis-à-Vis Italien
Nur wenige Länder können sich
mit Italien hinsichtlich Kunst, Küche
und historischem Erbe messen.
Mindestens ebenso berühmt wie für
seine Kultur ist das Land auch für
seine Lebensfreude und natürlich
für die traumhaften Strände. Dieser
Reiseführer macht den Urlaub in
Italien zum unvergesslichen Erlebnis.
Neben Landschaft, Geschichte und
Charakter werden die Höhepunkte
jeder Region Italiens detailliert vorgestellt. Drei ausführliche Kapitel über
Venedig, Florenz und Rom zeigen die
schönsten Sehenswürdigkeiten dieser
Städte. Umfassende Informationen
zu Hotels, Restaurants, Shopping und
Unterhaltung sowie viele praktische
Reisetipps bieten alles Wichtige für
eine entspannte Reise.
Ray Hartung
BUCHtipps | 31
Alle Bücher finden Sie auch auf
Catharina IngelmanSundberg
Susan Elizabeth Phillips
Kristin Harmel
Astrid Rosenfeld
Nepal ist ein Land der Superlative:
Neben dem Mount Everest befinden
sich weitere sieben 8000er im Norden des Landes. Gerade einmal 200
Kilometer trennen die Berggiganten
des Himalaya vom Flachland des Terai
mit seinem subtropischem Klima.
Mehr als 60 Völker leben in Nepal,
ebenso vielfältig sind die Traditionen
und religösen Bräuche. Ausgangspunkt vieler Trekkingrouten ist das
schön gelegene Pokhara am PhewaSee. Die meisten Urlauber zieht es
in die Berge, wo sich fantastische
Wanderungen unternehmen lassen.
Dieser Reiseführer beschreibt alle
Regionen Nepals, die wichtigsten
Städte und Nationalparks. Zahlreiche
bekannte und weniger bekannte
Trekkingrouten werden ausführlich
vorgestellt.
Alles begann mit dem Chor in einem
trostlosen Altersheim. Das Singen
erinnerte Märtha, Snille, Kratze,
Stina und Anna-Greta an bessere
Tage – und daran, dass es im Leben
einst noch so viel zu entdecken gab.
Überall ist es besser als hier, sagen
sich die fünf Freunde und schmieden
einen verwegenen Plan: Sie werden
ein Verbrechen begehen, um ins
Gefängnis zu kommen. Denn dass
es dort besser sein wird, weiss doch
jeder. Aber ein Verbrechen zu planen
und durchzuführen ist gar nicht so
einfach – schon gar nicht, wenn man
es eigentlich ehrlich meint.
Eine wunderbare Geschichte über
eine diebische Rentnergang, die nach
einem Aufruhr im Altersheim ein
neues Leben beginnt.
Wo ist die Braut? Ausgerechnet an
ihrem Hochzeitstag flüchtet Lucy in
letzter Sekunde und lässt ihren eigentlich so unwiderstehlichen Bräutigam
vor dem Altar stehen. Er – und die
komplette Kleinstadt – bleiben ratlos
zurück. Als Lucy auf einen bedrohlich aussehenden, aber auch sehr
reizvollen Fremden trifft, schwingt sie
sich spontan auf den Rücksitz seines
Motorrads. Das Ziel: unbekannt! Auf
ihrem wilden Roadtrip versucht Lucy,
mehr über diesen Mann zu erfahren,
der so viel über sie zu wissen scheint,
aber nichts über sich selbst preisgeben will …
Rose McKenna liebt den Abend.
Wenn am Himmel über Cape Cod
an der amerikanischen Westküste
die ersten Sterne sichtbar werden,
erinnert sie sich – an die Menschen,
die sie liebte und verlor und von denen sie nie jemandem erzählte. Doch
Rose weiss, dass es bald zu spät sein
wird, irgendjemandem irgendetwas
zu erzählen – denn sie hat Alzheimer.
Bald wird niemand mehr an das junge
Paar denken, das sich 1942 in Paris
die Liebe versprach. Als Rose ihre
Enkelin Hope bittet, nach Frankreich
zu reisen, ahnt diese nichts von der
herzzerreissenden Geschichte, die sie
dort entdecken wird: eine Geschichte
voller Hoffnung, Schmerz und einer
alles überwindenden Liebe.
Lorenz Brauer ist der neue Star der
internationalen Kunstszene. Doch
kaum einer ahnt, dass hinter seinem
kometenhaften Aufstieg nicht nur
Talent, sondern der raffinierte Plan
zweier einflussreicher Frauen steckt.
Karl Brauer, Lorenz’ jüngerer Bruder,
kennt die Hintergründe. Und er weiss
auch, dass die verrätselten Bilder des
aufstrebenden Malers ihren Ursprung
in der Kindheit haben: als Lorenz und
Karl ihre Mutter verloren hatten und
Elsa in ihr Leben trat. Elsa mit den
Streichholzarmen, dem rotzfrechen
Mundwerk, den extravaganten
Kleidern. Das Mädchen, an das einer
der Brüder sein Herz verlor und der
andere seine Illusionen. Das Mädchen,
das keiner von beiden vergessen
kann.
Nepal
Wir fangen
gerade erst an
Wer Ja sagt,
muss sich
wirklich trauen
Solange am Himmel Sterne stehen
Elsa ungeheuer
«Günter Liehrs Darstellung von Marseille fasziniert – weil Liehr ein guter
Erzähler ist.» SRF 2 Kultur
12. Auflage 2013/2014
260 Seiten, Mit farbigem Bildteil
304 Seiten
720 Seiten
456 Seiten
416 Seiten
512 Seiten
480 Seiten
288 Seiten
CHF 42.90
CHF 59.00
CHF 49.90
CHF 29.90
CHF 24.90
CHF 23.90
CHF 15.90
CHF 31.90
Rotpunktverlag
Knesebeck
Dorling Kindersley
Trescher
FISCHER Scherz
Blanvalet
Blanvalet
Diogenes
ISBN 978-3-85869-5352
ISBN 978-3-86873-569-7
ISBN 978-3-8310-2313-4
ISBN 978-3-89794-198-4
ISBN 978-3-651-00060-5
ISBN 978-3-7645-0455-7
ISBN 978-3-442-38121-0
ISBN 978-3-257-06850-4
32 | K affeepause
Books Nr. 2/2013
Die Debatte
Was machen Buchhändlerinnen in der Kaffeepause? Sie
plaudern über Bücher. Books hat sich im Café Bagels in
der Filiale Winterthur zu den Orell-Füssli-Mitarbeiterinnen Patrizia Melaugh und Bettina Zeidler gesetzt.
Marius Leutenegger
Das dritte Licht
Claire Keegan
96 Seiten
CHF 25.90
Steidl
Dunkle Gewässer
Joe R. Lansdale
320 Seiten
CHF 31.90
Tropen bei Klett-Cotta
In Küstennähe
Joachim B. Schmidt
368 Seiten
CHF 33.90
Landverlag
Erik Brühlmann
«Books»: Heute beginnen wir mit einem
schmalen Buch: «Das dritte Licht» von
Claire Keegan. Du hast es mitgebracht,
Patrizia. Worum geht’s?
Patrizia Melaugh (PM): Die Geschichte
spielt im ländlichen Irland. Ein Mädchen
kommt für ein paar Sommermonate zu
Pflegeeltern; sie stammt aus einer grossen
Familie, ihre Mutter ist schon wieder
schwanger, und der Vater bringt das
Mädchen zur Gastfamilie, einem kinderlosen Paar. Claire Keegan beschreibt die
Zeit, die das Mädchen bei den Pflegeeltern
verbringt; alltägliche Dinge wie das Essen
bei der Ankunft oder der abendliche Besuch von Freunden sind für das Mädchen
ungewohnt, und erstmals fühlt es sich
umsorgt. Diese Erwachsenen kümmern
sich um das Mädchen, kaufen ihm neue
Kleider oder führen es auch einmal an der
Hand. Aus Kinderperspektive wird hier
eine ganz einfache Geschichte erzählt.
Wie endet sie?
Bettina Zeidler (BZ): Das Mädchen
kommt zurück zu ihrer Familie, denn
der Bruder ist zur Welt gekommen. Das
Ende hat mich tief beeindruckt: wie das
Mädchen von den leiblichen Eltern lieblos
empfangen wird und dann ihrem Gastvater nachrennt, um ihn noch einmal zu
umarmen.
PM: Das Mädchen hat in den Monaten
bei den Pflegeeltern wichtige Erfahrungen gemacht und auch ein Geheimnis
entdeckt. Ich fand eindrücklich, wie die
Pflegemutter zu Beginn mit dem Problem des Bettnässens umging – geschickt
und unaufgeregt löst sie das Problem.
Claire Keegan zeigt, wie unterschiedlich
Familien sein können und dass die eigene
Familie nicht unbedingt ein Hort von
Geborgenheit und Liebe sein muss. Trotz
seines geringen Umfangs hat «Das dritte
Licht» eine unheimlich grosse Tiefe.
Wie bist du auf dieses Buch gestossen?
PM: Ich habe ein gewisses Interesse an
irischer Literatur und entdeckte diese
Neuerscheinung in einer Vorschau. Weil
das Buch nicht einmal hundert Seiten
umfasst, habe ich allerdings erst gezögert,
es in diese Runde einzubringen ...
BZ: Aber manchmal ist weniger einfach
mehr – und das gilt bei diesem Buch auf
jeden Fall.
PM: Ja, für mich ist «Das dritte Licht»
ein echtes Juwel, eine perfekte Kurzgeschichte. Dies auch deshalb, weil die
Autorin nicht alles sagt, sondern vieles
nur andeutet.
BZ: Sie lässt uns Lesenden einen grossen
Spielraum. Sie mutet uns zu, dass wir das,
was sie schreibt, schon richtig interpretieren können. Mir hat auch sehr gefallen,
dass alles sehr authentisch wirkt. Nie hatte ich das Gefühl, die Autorin übertreibe
oder überzeichne etwas. Und die Sprache
hat mich ebenfalls beeindruckt.
PM: Bei diesem Buch liegt die Schönheit
in der Einfachheit. Und in der Präzision:
Oft benötigt Claire Keegan nur einen Satz
– schon sieht man die Situation vor sich.
Wem könnte dieses Buch gefallen?
BZ: Allen, die eine berührende Geschichte
suchen. Die Geschichte ist so einfühlsam
geschrieben.
PM: Ich finde, dieses Buch kann jeder
lesen, der sich nicht nur für Thriller interessiert.
«Das dritte Licht» stammt von einer
unbekannten Autorin und erscheint bei
einem unabhängigen Verlag. Kann so ein
Buch überhaupt ein Erfolg werden?
K affeepause | 33
Alle Bücher finden Sie auch auf
PM: Wir machen es zum Bestseller! Ich
werde es auf jeden Fall jedem und jeder
ans Herz legen.
BZ: Ja, das ist ein Buch, das unbedingt
empfohlen werden muss. Und das sicher
sein Publikum finden wird. Es gibt zum
Glück viele Leute, die kürzere Geschichten
mögen.
Das nächste Buch, über das wir sprechen, ist wesentlich dicker: «Dunkle
Gewässer» von Joe R. Lansdale.
BZ: Dieses Buch ist nicht nur bezüglich
Umfang ganz anders als «Das dritte
Licht».
Es sieht von aussen aus wie ein
Fantasy-Epos.
BZ: Das ist es aber nicht.
Was dann?
BZ: Das ist schwierig zu sagen. Es ist
auch kein Thriller und kein Krimi, wie auf
dem Cover angekündigt wird. Im Internet
fand ich den Begriff «Lansdale-Genre»;
der Autor schreibt offenbar sehr eigen.
Auf einer Fanseite erfuhr ich auch, dass
Lansdale Zombie-Bücher schreibt. Zum
Glück vernahm ich das erst, nachdem
ich mich entschieden hatte, dieses Buch
hier zu lesen – denn ich mag es zwar
deftig, aber mit Zombies kann ich gar
nichts anfangen. In «Dunkle Gewässer»
kommen sie allerdings auch nicht vor. Die
Geschichte spielt in den 1930er-Jahren in
einer rückständigen Gegend von Osttexas.
Es ist eine düstere Zeit, die von Prohibition, Depression und Rassismus geprägt
wird. May Lynn, eines der schönsten
Mädchen der Gegend, wird von ihrer besten Freundin Sue Ellen ermordet am Ufer
des River Sabine aufgefunden. Gemeinsam mit ein paar Freunden beschliesst
Sue Ellen, die Asche der Freundin nach
Hollywood zu bringen, denn May Lynn
wollte immer Filmstar werden. Sue Ellen
und ihre Freunde stossen auf Geld, das
May Lynns Bruder bei einem Banküberfall
erbeutete, und machen sich damit, mit
der Asche von May Lynn und Sue Ellens
tablettensüchtiger Mutter auf den Weg
nach Hollywood – sie fahren auf einem
Boot den River Sabine hinunter. Wegen
der Beute aus dem Banküberfall ist eine
ganze Menge Leute hinter ihnen her: der
Sheriff, die gierige Verwandtschaft und
vor allem der schwarze Kopfgeldjäger
Skunk. Die Reise wird wegen der Verfolger sehr gefährlich und abenteuerlich, es
passiert dabei ungeheuer viel.
Das ist also sozusagen die Entsprechung
zu einem Road-Movie – ein River-Book?
BZ: Das kann man so sagen. Einige ver-
gleichen dieses Buch mit «Huckleberry
Finn», und inhaltlich gibt es tatsächlich
gewisse Ähnlichkeiten. Aber «Dunkle Gewässer» ist viel brutaler als ein Buch von
Mark Twain, es ist blutig und derb. Einem
Jugendlichen kann man es jedenfalls
nicht zu lesen geben. Weil ich selber aber
Düsterkeit und Brutalität zwischen zwei
Buchdeckeln mag, hat mir dieser Roman
sehr gefallen – und auch deshalb, weil er
so abenteuerlich ist und die Figuren so
skurril sind. Ich habe als Leserin mehrere
Seelen in mir, und hier ist meine Schlachtplattenseite gut bedient worden.
Patrizia, du machst seit über drei Jahren
bei der Debatte in «Books» mit, ich kenne deinen Geschmack daher ein wenig
und wage die Behauptung: Lansdale ist
nicht dein Stil.
PM: Tatsächlich nicht. Ich merkte sofort,
dass dies kein Buch für mich ist. Ehrlich
gesagt gefiel mir an diesem Roman gar
nichts, weder der Ton noch die Geschichte
noch das Personal. Aber hier geht es wohl
um Geschmacksfragen, und ich muss
sagen, dass ich eben auch «Huckleberry
Finn» nie mochte. Ich sehe allerdings,
dass man «Dunkle Gewässer» durchaus
als spannendes Buch lesen kann.
BZ: Mir war klar, dass dieses Buch polarisiert. Niemand wird sagen, das finde ich
jetzt sosolala. Entweder mag man so etwas – oder nicht. Dieses Buch hat einfach
meine düstere Seite angesprochen. Und
mir gefällt sehr, wie Lansdale schreibt – er
findet aussergewöhnliche Wege, einem etwas näherzubringen, und man kann sich
alles hervorragend vorstellen. Ich roch
beim Lesen förmlich, wie Skunk stinkt.
Für wen eignet sich denn dieses Buch?
BZ: Ich werde es nur jenen empfehlen, die
ich kenne und bei denen ich weiss, dass
ihnen so etwas gefällt. Man kann sich mit
der Empfehlung dieses Buchs auch in die
Nesseln setzen, denn es ist schon sehr
brutal – selbst ich als geübte ThrillerLeserin habe gelegentlich schlucken
müssen. Aber manche Abenteurer unter
den Lesern werden diesen Roman heiss
und innig lieben.
Kommen wir zum dritten Buch: «In
Küstennähe». Autor ist der Schweizer
Joachim B. Schmidt, der in Island lebt.
Spielt der Roman auch dort?
BZ: Ja. Erzählt wird die Geschichte einer
sich anbahnenden Freundschaft zwischen
zwei Männern, die unterschiedlicher
nicht sein können. Auf der einen Seite
haben wir den 23-jährigen Lárus, auf der
anderen den alten Grímur, einen alten
Patrizia Melaugh, 61, lebt in Schaffhausen
und arbeitet in der Abteilung Belletristik
der Filiale Kramhof. Sie mag vor allem
Bücher aus dem englischen Sprachraum.
Patrizia Melaugh:
«Wir machen
dieses Buch zum
Bestseller! Ich werde es auf jeden Fall
jedem und jeder
ans Herz legen.»
Bettina Zeidler:
«Ja, das ist ein
Buch, das unbedingt empfohlen
werden muss. Und
das sicher sein
Publikum finden
wird.»
Bettina Zeidler, 48, lebt in St. Gallen.
Sie arbeitet in der Abteilung Belletristik
der St. Galler Buchhandlung Rösslitor, die
zu Orell Füssli gehört. Am liebsten liest sie
skandinavische Krimis und Thriller
34 | K affeepause
Patrizia Melaugh: «Ich habe auch ‹Huckleberry
Finn› nie gemocht.»
Mann in jenem Altersheim, in dem Lárus
als Gehilfe des Hauswarts arbeitet. Es gibt
zwei Erzählstränge. Der eine handelt vom
Hier und Jetzt und der Begegnung der
beiden Männer, der andere beschäftigt
sich mit dem Leben von Grímur, den man
den «Schlächter» nannte und der immer
ein Einzelgänger war. Die beiden Erzählstränge laufen immer stärker zusammen
– bis sich das Geheimnis um Grímur
lüftet. Es gibt nämlich Gerüchte, er habe
einst seine Halbschwester umgebracht ...
Books Nr. 2/2013
PM: Schon der Anfang des Buchs ist
super. Im Zimmer 37a ist der Heizkörper
kaputt, Lárus muss ihn flicken. Er tritt ins
Zimmer und sieht da diesen alten Mann
mehr tot als lebendig im Bett liegen. Bald
erfährt Lárus, dass es sich beim Alten um
Grímur handelt, dem er als Kind immer
Streiche spielte. Er und seine Freunde
hatten früher wahnsinnig Angst vor dem
grimmigen Alten, jetzt liegt dieser Mann
einfach so da – aber der Junge hat immer
noch Angst. Das ist alles auch sehr witzig
geschrieben. Lárus ist ein Schlitzohr und
vertickt zum Beispiel so nebenbei auch
noch Drogen. Ganz allmählich findet eine
Annäherung zwischen den beiden statt,
die auch von viel gegenseitiger Neugier
genährt wird. Schmidt wechselt sehr clever von einem Erzählstrang zum anderen,
verbindet Vergangenheit und Gegenwart,
und das Geheimnis von Grímur interessiert einen immer mehr.
BZ: Man muss sich vor dem Autor wirklich verneigen, wie raffiniert er seinen
Roman aufgebaut hat. Bei vielen Details
habe ich erst am Ende gemerkt, wie
geschickt alles verwoben ist – und wie
schlau alles aufgelöst wird. Es gibt für
mich nur einen negativen Punkt: Ich hatte
zu Beginn Mühe, in die Geschichte reinzukommen. Aber nach dem ersten Drittel
konnte ich das Buch nicht mehr weglegen.
PM: Eine besondere Qualität des Romans
ist auch, dass er so humorvoll ist. Der Autor foutiert sich zum Beispiel mit Genuss
um politische Korrektheit.
BZ: Und er bedient gern auf spielerische
Weise die Klischees.
Merkt man, dass er Schweizer ist?
PM: Ich würde sagen: Das ist ein isländischer Roman mit Schweizer Akzent.
Isländisch machen ihn die Themen, die
Atmosphäre, das Eigenbrötlerische der
Figuren. Schweizerisch finde ich gelegentlich die Schreibe des Autors.
Wem würdet ihr «In Küstennähe»
empfehlen?
PM: Ich habe es gerade jemandem nahe
gelegt, der etwas lesen wollte, das leicht
und lustig ist.
BZ: Das ist einfach ein guter Unterhaltungsroman in einer guten Sprache – und
mit super Figuren.
PM: Spannend, unterhaltsam, witzig –
was will man mehr!
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Deutschschweiz
BUCHtipps | 35
Alle Bücher finden Sie auch auf
Cheryl Strayed
Sabine Ebert
August Strindberg
Alice Munro
Cheryl Strayed ist gerade 26 geworden und hat alles verloren. Mit
Drogen und Männern tröstet sie sich
über den Tod ihrer Mutter und das
Scheitern ihrer Ehe hinweg. Als ihr
ein Outdoor-Führer über den Pacific
Crest Trail in die Hände fällt, trifft
sie die folgenreichste Entscheidung
ihres Lebens: über 1000 Meilen zu
wandern – allein, ohne Erfahrungen
und mit einem Rucksack, den sie
Monster nennt. Klapperschlangen und
Schwarzbären, Hitze und Strapazen,
Abenteurer und Einsamkeit sind die
Begleiter auf dieser Reise, die sie fast
umbringt, stärkt und schliesslich heilt.
Das atemberaubende Abenteuer
einer Selbstfindung – voller Witz und
Intensität und mit einer respektlosen
Heldin, die man einfach lieben muss.
Frühjahr 1813: Europa stöhnt unter
Napoleons Herrschaft. Nach der
dramatischen Niederlage der Grande
Armée in Russland gehen Preussen
und das Zarenreich zum Gegenangriff über. Im ausgebluteten Sachsen
müssen Menschen Entscheidungen
treffen, die ihr Leben unwiderruflich
verändern werden: eine Mutter, die
verzweifelt auf die Rückkehr ihrer
Söhne hofft, ein General, der seinen
Kopf riskiert, damit sich Sachsen den
Alliierten anschliesst, eine Gräfin,
die aus Liebe zur Spionin Napoleons
wird, zwei Studenten, die zu den
Lützowern wollen, die junge Henriette auf der Flucht vor Plünderern.
Die Menschen ersehnen den Frieden,
während die Herrscher Europa längst
unter sich aufgeteilt haben und eine
gewaltige Schlacht heraufbeschwören.
Das Meer prägt die Bewohner der
Schäreninseln. Strindberg schildert
die Insellandschaft oft als Idylle, das
bäuerliche Zusammenleben der Schärenbewohner humoristisch. Allerdings
geht es auf den Inseln keineswegs
nur beschaulich zu: In der Abgeschiedenheit wird Neuankömmlingen mit
Misstrauen begegnet, Hierarchien
werden ausgereizt und harte Konflikte
ausgetragen. Auch für die Befindlichkeit des modernen Menschen –
zwischen Tradition, Fortschritt und
Glaubenskrise – beweist der Dichter
der Jahrhundertwende ein feines
Gespür.
Die facettenreiche «Meeresprosa»
August Strindbergs – Erzählungen und
die beiden Romane «Die Hemsöer»
und «Am offenen Meer» – wurde
zum 100. Todesjahr erstmals in einer
dreibändigen Ausgabe zusammengeführt.
Zu viel oder zu wenig: Für das Glück
gibt es kein Mass – nie trifft man es
richtig. Alice Munros Heldinnen und
Helden geht es nicht anders. Sie
haben das Zuviel und Zuwenig erlebt,
sie kennen die Namen der Bäume,
die Last ungeschriebener Briefe. Sie
wissen, wie es sich anfühlt, wenn
man den Mann, der die gemeinsamen Kinder getötet hat, in der
Anstalt besucht. Alice Munro ist die
Meisterin des Nachhalls, der einem
Leben seinen besonderen Klang, seine
Spannung und Vibration gibt, der
unserer Existenz Farbe verleiht. Alice
Munro macht ihre Leserinnen und
Leser zu Komplizen der schwierigen
Mission, das Glück zu finden. Nicht
zu viel, nicht zu wenig, sondern das
ideale «genau richtig». Und plötzlich
verstehen wir unser Leben neu.
448 Seiten
928 Seiten
792 Seiten
368 Seiten
CHF 29.90
CHF 39.90
CHF 99.00
CHF 16.90
Kailash
Knaur
mareverlag
Fischer
ISBN 978-3-424-63024-4
ISBN 978-3-426-65214-5
ISBN 978-3-86648-151-0
ISBN 978-3-596-18686-0
Der grosse Trip
1813 – Kriegs­
feuer
Bis ans offene
Meer
Zu viel Glück
36 | Fantastisch!
Books Nr. 2/2013
Fantastisch!
Eine Mitarbeiterin von Orell Füssli präsentiert Neuerscheinungen und Geheimtipps aus
dem Fantasy-Genre: Bücher für alle, die sich gern in fremde Welten entführen lassen.
Marius Leutenegger
«Die drei Titel, die ich heute vorstelle,
haben etwas gemeinsam: Alle sind zu Beginn etwas düster und melancholisch –
auch wenn dies nicht alle Buchumschläge
vermuten lassen.
‹Rot wie das Meer› ist bereits ein paar
Monate alt, ich empfehle es aber trotzdem
sehr gern. Die US-amerikanische Autorin
Maggie Stiefvater verzeichnete ihre ersten Erfolge mit Elfenbüchern, die stark
von irischen Volksmärchen inspiriert
waren. ‹Ballade› und ‹Lamento› gefielen
mir aber gar nicht, ich fand die beiden
Bände langatmig und flach. Dann folgte
die Werwolf-Trilogie ‹Nach dem Sommer›, für die sie sich offensichtlich von
Stephenie Meyers ‹Twilight› animieren
liess. Den Werwölfen bescherte der Mond
schlaflose Nächte, mir die Bücher. Selten
habe ich mit Figuren in Büchern so mitgefiebert wie mit Grace und Sam aus
‹Nach dem Sommer›.
Diesmal hat Maggie Stiefvater eine ganz
andere Inspirationsquelle gefunden: die
alte irische Sage über die ‹Capaill Uisce›.
Dabei handelt es sich um riesige und gefährliche Wasserpferde, die einmal jährlich mit der Flut aus dem Wasser steigen.
‹Rot wie das Meer› spielt auf der irischen
Insel Thisby, auf der jährlich das SkorpioRennen stattfindet, ein Wettkampf, bei
dem auch Wasserpferde mitmachen. Bislang war das Rennen fest in Männerhand
– bis sich die junge Puck Connolly entschliesst, mit ihrer kleinen Stute Dove
ebenfalls teilzunehmen. Das führt zu roten Köpfen und heissen Diskussion. Die
zweite Hauptfigur des Buchs ist Sean
Kendrick. Er pflegt die Pferde, reitet sie
zu und besitzt selbst ein Wasserpferd.
Der Roman erzählt drei Geschichten: jene
von Puck, jene von Sean und die Sage
über die Wasserpferde. An diesen Strängen schaukelt sich die Geschichte zu ihrem Höhepunkt hoch, dem grossen Rennen. Und ganz allmählich entwickelt sich
auch eine ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen Sean und Puck.
Vielleicht klingt das alles ein wenig dünn,
aber Maggie Stiefvater schafft es, eine
enorme Spannung aufzubauen. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, tief in einen Nebel getaucht zu sein, um mich herum gab
es nichts mehr – diese Stimmung schlug
mich völlig in ihren Bann. Ich habe aber
gemerkt, dass sich dieses Buch nicht wie
viele andere Fantasy-Romane von allein
verkauft, sondern dass es empfohlen werden muss. Also: ‹Rot wie das Meer› eignet
sich für alle, die unergründliche Liebesgeschichten mögen. Junge Frauen, die
eine Fantasy-Geschichte mit Tiefgang suchen, sind ebenfalls hervorragend bedient – sowie natürlich alle Fans von Maggie Stiefvater.
Während ‹Rot wie das Meer› eine abgeschlossene Geschichte ist, handelt es sich
bei meiner nächsten Empfehlung um den
Auftakt zu einer Trilogie. ‹Für immer die
Seele› der Kalifornierin Cynthia J. Omo-
Angelina Rubli, 28, ist im Kanton
Schaffhausen aufgewachsen, wohnt in
Dachsen und arbeitet bei Orell Füssli am
Bellevue. «Das erste Geschenk, an das
ich mich erinnern kann, war das Buch
‹Ronja Räubertochter›», erzählt sie. «Von
da an wollte ich nur noch lesen. In der
Oberstufe machte ich mehrere Schnupperlehren, aber ich spürte stets: Ich will
Buchhändlerin werden.» In der Filiale
am Bellevue arbeitete Angelina zuerst
in der Reisebuch-Abteilung, aber «dann
willst du nur immer in die Ferien». Ihr
Traum sei ein Wechsel in die Kinder- und
Jugendbuchabteilung gewesen, weil «ich
das den spannendsten Bereich finde – er
ist extrem vielseitig, jeden Monat gibt es
neue Strömungen». Der Traum ging mittlerweile in Erfüllung. Heute liest Angelina
etwa drei bis vier Bücher pro Woche.
Eigentümlicherweise beginnt sie dabei
meistens mit dem Schluss. «Ich weiss auch
nicht weshalb, aber ich lese zuerst immer
die letzten Seiten – und schaue dann,
wie die Geschichte zu diesem Schluss
hingeführt wird.»
Fantastisch! | 37
Alle Bücher finden Sie auch auf
lolu erzählt die Geschichte der 16-jährigen Cole, die immer wieder Visionen hat.
Plötzlich sieht sie sich zum Beispiel auf
einem Schafott stehen. Man liest, wie sie
sich in diesem Moment fühlt, was zum
Todesurteil geführt hat – und zack ist
man wieder zurück in der Gegenwart. So
geht es hin und her. Zu Beginn spielen die
Visionen von Cole immer in der frühen
Neuzeit, später werden auch Ereignisse
aus den 1920er-Jahren beschrieben. Cole
machen ihre Visionen grosse Sorgen, sie
hat Angst, sie sei plemplem, und sie vertraut sich niemandem an. Nachdem sie
wegen einer Vision im Tower von London
ohnmächtig geworden ist, wacht sie in
den Armen des jungen Griffon auf. Sofort
hat sie das Gefühl, diesen gutaussehenden jungen Mann schon lange zu kennen.
Griffon erklärt Cole, dass sie eine herumwandernde Seele sei, die immer wieder
neue Existenzen durchlebe. Darüber hinaus erfährt Cole, dass es viele wie sie gibt
– und dass sie eine Aufgabe zu erfüllen
hat. Irgendwo in Zeit und Raum ist da
aber auch noch eine böse Feindin, die sie
seit jeher vernichten möchte.
Schon diese kurze Zusammenfassung
zeigt: ‹Für immer die Seele› ist extrem
fantasievoll. Ich las das Buch, weil der
Klappentext mein Interesse weckte. Da
ich historische Romane liebe, gefiel mir
der Auftakt im 16. Jahrhundert ganz besonders – und ich war schon etwas enttäuscht, als das Buch dann plötzlich im
Hier und Jetzt spielte. Aber dann zog es
mich doch immer tiefer in die Geschichte
hinein, denn ich wollte wissen, was es
mit diesen Seelenwanderungen auf sich
hat und wie die einzelnen Geschichten
aus der Vergangenheit weitergehen. Cynthia J. Omololu hat die Fähigkeit, immer
dann eine Episode zu verlassen, wenn es
am spannendsten ist – so liest man immer weiter. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie die Trilogie weitergeht. Dieses Buch eignet sich für alle, die
historische Romane mögen, aber auch
ganz besonders für die Leserinnen und
Leser von ‹Liebe geht durch alle Zeiten›.
Auch das dritte Buch, das ich hier vorstelle, spielt grösstenteils ins England. Und
auch wenn seine Autorin Deutsche ist,
hat es einen sehr englischen Anklang.
Kein Wunder: Alexandra Pilz ist am gleichen Tag wie Jane Austen geboren und
liebt deren Werke. Hauptfigur von ‹Zurück nach Hollyhill› ist Emily; ihre Eltern
kamen vor längerer Zeit bei einem Autounfall ums Leben. An ihrem 17. Geburts-
tag erhält Emily von ihrer Grossmutter,
bei der sie aufwächst, einen Brief, den ihr
einst ihre Mutter schrieb. Darin fordert
die Mutter sie auf, nach Hollyhill zu gehen
und dort ihre Vergangenheit kennenzulernen. Einst lebte nämlich ihre Mutter
dort, doch sie verliess das Dorf, weil sie
sich in Emilys Vater verliebt und dieser
nicht dem Dorf angehört hatte.
Doch Hollyhill findet man auf keiner Karte. Emily macht sich auf den Weg von
Deutschland nach England und landet in
einer verregneten Jane-Austen-Gegend,
einem Moorgebiet irgendwo im grausten
Gebiet Englands. Dort wird sie, verzweifelt wie sie ist, von Matt aufgegabelt. Und
dieser attraktive Junge behauptet doch
tatsächlich zu wissen, wo Hollyhill ist.
Emily steigt in seinen Jeep, mit der er sie
nach Hollyhill bringen will, und schläft
ein. Als sie erwacht, ist alles anders. Und
Emily erfährt: Hollyhill ist ein Dorf, das
in der Zeit reist. Es ist immer dort, wo jemand Hilfe braucht. Das gilt auch im Fall
von Emily. Im Jahr 1980 geschehen grausame Mädchenmorde, und Emily, die inzwischen mit dem Dorf in eben jenes Jahr
gereist ist, gerät selbst ins Visier des Mörders.
Die Idee hinter diesem Plot ist so cool! Am
meisten Spass machten mir die Beschreibungen der 1980er-Jahre. Emily erlebt,
wie Lady Di heiratet, und sie kann sich
nur wundern über die damals aktuelle
Mode. Aber lustige Passagen sind in diesem Buch eigentlich eher die Ausnahme,
auch hier dominiert eine düstere, fast
traurige Stimmung. Das Buch eignet sich
für alle, die genau das mögen: Romane,
die sehr abwechslungsreich sind und
ganz unterschiedliche Stimmungen erzeugen. Ich zähle mich selber zu dieser
Gruppe, und deshalb hoffe ich, dass Alexandra Pilz ihre Idee vom zeitreisenden
Dorf noch für weitere Bücher nutzt.»
Rot wie das Meer
Maggie Stiefvater
430 Seiten
CHF 29.90
script5
Für immer die Seele
Cynthia J. Omololu
381 Seiten
CHF 27.90
Dressler
Zurück nach Hollyhill
Alexandra Pilz
348 Seiten
CHF 26.90
Heyne
38 | Fantastisch!
Books Nr. 2/2013
BUCHtipps | 39
Alle Bücher finden Sie auch auf
Junge Mitarbeitende von Orell Füssli
geben weitere Tipps:
Tim Lenny George, 18, absolviert
im Kramhof in Zürich das dritte und
letzte Jahr seiner
Buchhändler-Lehre. Er lebt in einem Dorf ausserhalb von Bern und
braucht
täglich
vier Stunden, um morgens zur Arbeit und
danach wieder nach Hause zu gelangen.
«Den weiten Weg nehme ich aber gern auf
mich», sagt er. «Denn die Zeit im Zug kann
ich zum Lesen nutzen.» Sein Tipp: «Departement 19 – Die Wiederkehr» von
Will Hunt. «Fantasy-Reihen finde ich
grundsätzlich toll. Es gibt jedoch in vielen
Fällen einen Makel: Je mehr Bände eine
Reihe umfasst, desto langweiliger und
plumper wird sie. Nicht so die Reihe ‹Department 19› von Will Hill. Schon der erste
Band, den ich bereits in ‹Books› empfahl,
begeisterte mich. Jetzt knüpft Hill mit einer Fortsetzung gekonnt daran an. Graf
Dracula wurde von seinem treuen Anhänger Valeri, dem ältesten der Gebrüder Rusmanov, wieder zum Leben erweckt. Der
grösste Alptraum des Departments 19
wird damit Wirklichkeit. Doch Draculas
Gegnern bleibt noch etwas Zeit, denn der
Vampir muss erst wieder seine ursprünglichen Kräfte zurückerlangen. Bis zur
Stunde Null dauert es noch genau vier Monate – dann kann Dracula nichts mehr aufhalten ... ‹Department 19 – Die Wiederkehr› ist, wie schon sein Vorgänger, ein
spannungsgeladener und mit reichlich
Knalleffekten ausgestatter Fantasy-Kracher, der einem das Herz schneller pulsieren lässt.»
Manuela
Bigler,
25, arbeitet in der
Kinder- und Jugendbuchabteilung von Orell
Füssli im Berner
Einkaufszentrum
Westside. «Das Lesen hat mich von
Kind auf begleitet», sagt sie, «deshalb wollte ich auch beruflich mit Büchern zu tun haben.» Am
liebsten mag sie Fantasy-Romane. «Bei
diesem Genre kann ich am besten abschalten», sagt die Bernerin. «Ich lese nicht so
gern Geschichten, die zu nahe an der Realität sind, denn Lesen soll ja auch einen
Ausgleich zum Alltag bieten.» Ihr Tipp:
«Incarceron» von Catherine Fisher.
«Claudia, die Tochter des Wächters von Incarceron, weiss nicht viel über dieses ‹Paradies›, das vor Jahrhunderten geschaffen
wurde. Denn keiner kommt mehr hinein,
keiner hinaus. Incarceron ist ein Gefängnis; es beobachtet seine Insassen, es reagiert auf sie und denkt. Claudia will mehr
herausfinden, bricht in das Arbeitszimmer
ihres Vaters ein – und findet einen kristallenen Schlüssel. Er könnte Finn helfen,
endlich aus Incarceron zu fliehen, wenn
Claudia ihn dabei unterstützt ... Die Idee zu
dieser Reihe ist völlig neu. Die Geschichte
spielt in der Zukunft, aber jeglicher Wandel
ist verboten – die Menschen müssen wie im
17. Jahrhundert leben. Erzählt wird die
Story abwechselnd aus der Sicht von Claudia und Finn. Erst nach und nach kann
man alles zusammensetzen. Und das tut
man sehr gern – denn die Geschichte ist
äusserst spannend, die Figuren sind interessant und die Wendungen überraschend.»
Departement 19 –
Die Wiederkehr
Incarceron –
Fliehen heisst sterben
Will Hill
688 Seiten
CHF 27.90
Lübbe
Catherine Fisher
475 Seiten
CHF 29.90
Penhaligon
Marino Castelli,
28, wohnt in Ruswil und arbeitet
bei Orell Füssli am
Bellevue.
Buchhändler wurde er,
weil «ich ein leidenschaftlicher
Leser bin und
mein Hobby zum
Beruf machen wollte». An seiner Tätigkeit
schätzt er vor allem, dass er immer neue
Bücher entdecken kann – auch dank der
Kunden, die etwas Bestimmtes suchen.
Marino liest querbeet, vor allem Krimis
und Fantasy-Romane. Sein Tipp: «Return
Man» von V.M. Zito. «Horden von Untoten
haben die USA überrollt. Das Land ist aufgeteilt in den Osten, wo sich die letzten lebenden Menschen verschanzt haben, und
in den Westen, wo Zombies Menschen jagen. Nur ein Mann wagt es noch, in die
verseuchten Gebiete zurückzukehren, um
im Auftrag der Lebenden deren untoten
Verwandten die letzte Gnade zu erweisen
und Spezialeinsätze auszuführen: Henry
Marco ... Zombiebücher sind im Moment
recht in – und sie werden wohl eine noch
grössere Lesergemeinde bekommen, wenn
im Juni ‹World War Z› von Marc Foster mit
Brad Pitt in die Kinos kommt. Dieses Buch
hier hat mir sehr gut gefallen, denn es hält,
was man sich von einem Roman dieses
Genres verspricht, es ist spannend und hat
eine düstere und beklemmende Atmosphäre. Als Leser sitzt man förmlich auf Kohlen,
weil man weiss, dass überall Gefahr lauert
– trotzdem ist man überrascht, wenn das
Unglück dann tatsächlich zuschlägt. Die
Hauptperson wirkt zu Beginn kühl und gefühllos, bekommt aber von Kapitel zu Kapitel mehr Seele. Ich empfehle das Buch
besonders allen Fans der weltweit erfolgreichen Kultserie ‹Walking Dead›.»
Tania Carver
Robert Harris
Tess Gerritsen
Angst
Abendruh
Ein altes Haus soll abgerissen werden.
Da entdecken die Arbeiter etwas
Grauenhaftes im Keller: einen Käfig
aus Menschenknochen. Und darin ein
verwahrlostes Kind. Wer ist dieser
Junge? Wer hat ihm das angetan? Mit
ihren Ermittlungen stören Kommissar
Phil Brennan und Profilerin Marina
Esposito einen kaltblütigen Menschensammler, der seit über 30 Jahren
einem grausamen Ritual folgt. Doch
dieser Killer duldet keine Einmischung.
Er will den Jungen zurück. Und der
Knochenkäfig enthält noch weitere
Überraschungen – Geheimnisse, die
Brennan und den Killer miteinander in
Verbindung bringen. Die Zeit drängt,
und niemand weiss, dass sich der
Killer vor aller Augen verbirgt ...
Der amerikanische Physiker
Alexander Hoffmann war lange im
Europäischen Kernforschungszentrum
CERN mit dem Aufbau des neuen
Teilchenbeschleunigers beschäftigt.
Zusammen mit seinem Partner, einem
Investmentbanker, betreibt er nun
einen äusserst lukrativen Hedgefonds.
Hoffmann hat eine revolutionäre
Form des algorithmischen Aktienhandels entwickelt: Künstliche Intelligenz
und Angstparameter werden zu einer
hochgeheimen Software verknüpft,
die mit geradezu unheimlicher Präzision die Bewegungen der Finanzmärkte
voraussagen kann. Eines Nachts überwindet ein Einbrecher die Sicherheitsanlagen von Hoffmanns Anwesen. Ein
albtraumhafter Tag voller Paranoia
und Gewalt beginnt.
Sie sind die einzigen Überlebenden
von schrecklichen Familientragödien. Erst wurden ihre Eltern
brutal ermordet, dann auch noch die
Pflegefamilien. In «Abendruh», einem
Internat in der Abgeschiedenheit des
amerikanischen Bundesstaats Maine,
sollen drei Jugendliche ihre Sicherheit
wiedergewinnen und in ein normales
Leben zurückfinden. Doch obwohl die
Schule nach aussen hin abgesichert ist,
kommt es zu höchst beunruhigenden
Vorfällen. Plötzlich bangen die drei
Jugendlichen um ihr Leben. Maura
Isles, die eine persönliche Verbindung
zu «Abendruh» hat, ist vor Ort, als
die Situation endgültig eskaliert.
Der bislang bedrohlichste Fall für Jane
Rizzoli und Maura Isles!
448 Seiten
576 Seiten
384 Seiten
416 Seiten
CHF 24.90
CHF 24.90
CHF 15.90
CHF 29.90
FISCHER Scherz
List
Heyne
Limes
ISBN 978-3-651-00045-2
ISBN 978-3-471-35078-2
ISBN 978-3-453-43713-5
ISBN 978-3-8090-2578-8
Koethi Zan
Danach
Sarah Farber hat drei lange, grausame
Jahre in einem Kellerverlies überlebt.
Zehn Jahre ist das her, aber Sarah
kann die Dunkelheit, die Kälte, die
Verzweiflung, die Panik nicht vergessen. Und sie weiss noch immer nicht,
was damals mit ihrer besten Freundin
Jennifer geschah. Jetzt kann sie nicht
länger vor der Vergangenheit davonlaufen. Ihr Peiniger soll auf Bewährung
freikommen, und sie ist die einzige,
die das verhindern kann – aber nur,
wenn sie sich dem Schlimmsten stellt,
das sie sich vorstellen kann: der
Wahrheit.
Koethi Zans Kunst ist es, das Grauen
als Kino im Kopf erfahrbar zu
machen: Sarahs Martyrium wird zum
eigenen Martyrium, zu einer Qual, die
das Vorstellbare übersteigt.
Stirb, mein
Prinz
Return Man
V.M. Zito
541 Seiten
CHF 14.90
Heyne
40 | im schaufenster
Books Nr. 2/2013
Lügen ist
menschlich
Mit «Das Verschwiegene» liefert die norwegische Schriftstellerin und
Journalistin Linn Ullmann einen ungewöhnlichen Roman ab, der das
Publikum in die alltäglichen Untiefen des Menschseins führt.
Erik Brühlmann
Viel mehr als die
Tochter
ml. Viele Söhne und Töchter verweigern
sich oft dem Bereich, in dem die prominenten Eltern tätig sind – und werden
zum Beispiel lieber Wissenschaftler als
Politiker, lieber Lehrer als Schauspieler.
Manche haben sich jedoch im gleichen
Gebiet versucht. Eines der spannendsten
Beispiele dafür ist Franz Xaver Wolfgang
Mozart, das jüngste Kind von Wolfgang
Amadeus. Seine Mutter Constanze hatte
ihn schon früh zum Musiker bestimmt.
Der Bub erhielt Unterricht von den
bekanntesten Lehrern in Wien und galt als
überaus talentiert. Er wurde dann auch
Musiklehrer und Komponist in Lemberg,
unternahm ausgedehnte Konzertreisen
durch ganz Europa und schuf einige
beachtliche Werke. Doch er blieb stets
nur «der Sohn» – ein Umstand, der ihn
vor allem im späteren Leben immer mehr
ärgerte. Franz Grillparzer dichtete für den
Nachruf des berühmten Mannes:
Begabt, um höher aufzuragen,
Hielt ein Gedanke deinen Flug;
«Was würde wohl mein Vater sagen?»
War dich zu hemmen schon genug.
Auch Linn Ullmann ist die Tochter
berühmter Eltern: Ihre Mutter ist die
norwegische Schauspielerin Liv Ullmann;
diese wurde vor allem durch ihre Mitwirkung in Filmen von Ingmar Bergman, des
bedeutendsten skandinavischen Regisseurs,
berühmt. 1997 wurde Bergman bei den
Filmfestspielen in Cannes als «Bester Filmregisseur aller Zeiten» geehrt. Auch wenn
man solche Superlative nicht mag, gibt es
nichts daran zu rütteln, dass Bergman die
Filmgeschichte geprägt hat – mit Dramen
wie «Wilde Erdbeeren», «Szenen einer
Ehe» oder «Herbstsonate». Bergman und
Liv Ullmann führten fünf Jahre lang eine
Beziehung, der die 1966 geborene Linn
entsprang.
Drei junge Burschen wollen im Wald bei
Mailund, in der Nähe von Oslo, einen
Schatz bergen, den sie vor einiger Zeit vergraben hatten. Stattdessen buddeln sie
eine Leiche aus: Mille, ein Mädchen, das
zwei Jahre zuvor spurlos verschwunden
war. Der Anfang von «Das Verschwiegene»
der norwegischen Autorin Linn Ullmann
würde jedem Krimi gut zu Gesicht stehen.
Doch nicht in jedem Buch, in dem eine
Leiche auftaucht, steckt auch ein Kriminalroman drin. Vielmehr bereitet die Tochter
der Schauspielerin Liv Ullmann und des
Regisseurs Ingmar Bergmann mit dem Leichenfund den Tisch für eine Mischung aus
einem Psychogramm des allzu Menschlichen und der Geschichte einer nicht perfekten Familie.
Eigentlich ist alles anders
«Ich schreibe über Dinge, vor denen ich
Angst habe», sagte Linn Ullmann einmal in
einem Interview. «Und ich habe Angst davor, angelogen zu werden – und es nicht zu
bemerken.» Die Lüge steht in all ihren Varianten denn auch im Zentrum von «Das
Verschwiegene»: Notlügen, Selbstbetrug,
Dinge, die nicht gesagt werden oder auf
den ersten Blick anders scheinen, als sie
sind. Da wäre zum Beispiel Jon, der Vater,
ein Schriftsteller, der schon seit Jahren unter einer Schreibblockade leidet. Er belügt
sich selbst, indem er sich ständig einredet,
dass der lang erwartete dritte Teil seiner
Trilogie bald fertig sein wird. Es ist nur
eine Frage der Zeit, der Umgebung, der
Eingebung, der Organisation seiner Noti-
Das Mädchen wuchs in Europa und in den
USA auf, später studierte Linn Ullmann
Literatur in New York. Sie foutierte
sich um die schwere Hypothek, die ihre
Abstammung mit sich brachte, und wagte
sich schon früh in die Welt der Kunst;
schon mit fünf Jahren wirkte sie neben
ihrer Mutter in einem Film mit, sie wurde
Kulturjournalistin und veröffentlichte 1998
ihren ersten Roman. Die Tatsache, dass
sie so berühmte Eltern hat, nimmt sie so
locker, wie das nur möglich ist – was ihr
viel Respekt eingebracht hat. «Offensichtlich gibt es einen Einfluss der Eltern auf
mich», sagte sie in einem Interview, «aber
ich weiss nicht, auf welche Weise und in
welchem Mass. Meine Eltern sind beide
grosse Erzähler.»
Das ist sie selber auch – als Schriftstellerin
steht Linn Ullmann auf eigenen Beinen.
Ihre Romane und Novellen werden
mittlerweile in 15 Sprachen übersetzt;
auf Deutsch ist zum Beispiel auch «Die
Lügnerin» erhältlich – ebenfalls ein Buch
mit beachtlichem Tiefgang und hohem
Unterhaltungswert.
im schaufenster | 41
Alle Bücher finden Sie auch auf
zen ... Siri, seine Frau, lädt sich Unmengen
von Arbeit und Verpflichtungen auf – damit
sie einerseits Jons Untätigkeit und den Familienunterhalt finanzieren kann und um
andererseits vor sich selbst zu verbergen,
dass ihr Leben nicht das ist, was es sein
sollte, was sie sich vorstellte. «Was habe
ich eigentlich aus meinem Leben gemacht?», fragt sie sich denn auch in einem
Moment der Schwäche – und findet keine
Antwort. Jenny wiederum, Siris Mutter, ist
eine Alkoholikerin, die nach langen Jahren
der Abstinenz an ihrem 75. Geburtstag
wieder zu trinken beginnt. weil sie mit ihrem Leben anfangen darf, was sie will –
und nicht etwa, weil sie es braucht oder
weil sie den frühen Tod von Siris Bruder
noch immer nicht verwunden hat ...
Wie ein Fächer
«Das Verschwiegene» ist eine Geschichte,
die sich vom Zeitpunkt des Leichenfunds
an wie ein Fächer immer weiter öffnet. Mit
jedem Kapitel erkennt man ein neues Stück
des grossen Ganzen, setzt hier ein Stück
Vergangenheit, dort ein Stück Gegenwart
ein – und weiss doch nie so recht, wo das
Ganze hinführen wird. Klar ist nur, dass
Siris und Jons Familie in einem Netz von
Lügen und Ungesagtem lebt und sich darin
windet. Das erscheint zunächst grotesk,
erweist sich bei näherem Hinsehen aber
nur als eine scharfsinnige Betrachtung des
Alltäglichen. Gleiches lässt sich auch über
die Ehe sagen, die Jon und Siri führen und
die alles andere als märchenhaft oder romantisch perfekt ist – eine Situation, welche die Autorin, die mit dem Dichter und
Bühnenautor Niels Fredrik Dahl verheira-
tet ist, aus eigener Erfahrung kennt: «Wir
beide haben gescheiterte Ehen hinter uns;
es ist uns nicht fremd, wie bedrückt und
einsam man sich in einer Beziehung fühlen
kann», sagt sie und liefert mit Jon und Siri
ein literarisches Beispiel. Jon betrügt seine
Frau mehrfach, ist ständig bemüht, seine
Mailbox «Siri-kompatibel» zu halten,
schläft statt im Ehebett lieber im Arbeitszimmer. Und Siri kontrolliert Jons Handy,
seine E-Mails, weiss um seine Fremdbeziehungen und wird nicht müde, ihn mit der
Nase auf seine Schreibblockade zu stossen.
Alles, nur nicht sich aussprechen, ist die
Devise.
Und die Tat?
Was dies alles mit dem Tod von Mille zu tun
hat? Obwohl niemand in der Familie die
Tat begangen hat, hat doch jeder mit seinem Verhalten zum Tod Milles beigetragen,
bewusst oder unbewusst. Wer letztlich der
Täter ist, bleibt nebensächlich. Denn dieses Wissen ändert nichts mehr am Tod des
Mädchens. Viel wichtiger ist – und das ist
wohl die oft zitierte Moral der Geschicht’ –,
dass es selbst aus verfahrenen Situationen
Auswege geben kann. Wenn man sich denn
dazu entschliesst, das Verschwiegene auf
den Tisch zu bringen.
Der Kinder wegen?
Natürlich, die beiden haben Kinder – Liv
und die ältere Alma –, da muss man den
Schein des Perfekten natürlich wahren.
Und dann ist da auch noch Mille, das Mädchen, das bei Jon und Siri als Au-Pair arbeitet, sodass man die funktionierende Familie geben muss. Doch was hat dieser Schein
mit dem Sein zu tun? Mille beispielsweise
ist sowieso mehr an den menschlichen Seiten interessiert, die im Verborgenen liegen.
Deshalb liebt sie es auch, Menschen zu fotografieren, ohne dass sie es bemerken.
Und Alma wird mit der Zeit, wie es heisst,
immer schwieriger, wird sozusagen zum
Gegenentwurf von Jon und Siri. «Fuck you,
Mama!», sagt sie mit unschöner Offenheit,
rauft sich mit anderen Mädchen und lässt
sich sogar dazu hinreissen, der Lehrerin
den Zopf abzuschneiden – einfach, weil sie
es kann. Mit dieser Offenheit, egal ob gespielt oder ehrlich, kommen Jon und Siri
einfach nicht klar.
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Aufführungsrechte Diogenes Verlag Aufführungsrechte
Zürich
Diogenes VerlagAufführungsrechte
Zürich
Diogenes Verlag Zürich
Das Verschwiegene
352 Seiten
CHF 29.90
Luchterhand
42 | Kinderwelt
Books Nr. 2/2013
Freunde machen Freude
Pippi, Thomas und Annika; Kasperl und Seppel; Pettersson und Findus. In der bewährten Kinderliteratur spielen Freundschaften oft eine besondere Rolle. Deshalb wollen wir von unserer Gewährsfrau für Kinderbücher wissen: Gibt es auch gute Neuerscheinungen rund ums Thema Freundschaft?
Marius Leutenegger
Kinderwelt | 43
Alle Bücher finden Sie auch auf
wöhnliches obendrein. Die Geschichte
wird rasant und mit viel Humor erzählt.
Von Alice Pantermüller stammt auch die
erfolgreiche Reihe ‹Mein Lotta-Leben›,
aber dieses neue Buch hat mir besser gefallen, weil es so energiegeladen ist.
Katastrophe führen, die es zu verhindern
gilt ... In dieser Geschichte ist alles sehr
mysteriös und speziell. Alexander Smoltczyk erzählt in seinem Debüt zwar schlüssig und klar, aber die Sache ist ein wenig
verzwickt, deshalb eignet sich das Buch
eher für geübte Leserinnen und Leser ab
neun, zehn Jahren. Sie können sich auf viel
Spannung und höchst originelle Wendungen freuen!
Aussergewöhnlich ist auch das nächste
Buch – darauf deutet ja bereits der Titel
hin: ‹Päpste pupsen nicht›, geschrieben
von Alexander Smoltczyk. Im Mittelpunkt
stehen zwei Mädchen. Die Familien der
beiden jungen Schweizerinnen leben in
Werden wahre Freunde: die Elfen Jannis und
Motte aus «Wecke
niemals einen Schrat».
«Freundschaft gibt Geborgenheit, deshalb
kommt sie in vielen Kinderbüchern vor.
Aus der grossen Fülle von Neuerscheinungen, die dieses Thema aufnehmen, habe
ich vier Titel ausgewählt, für die ich sozusagen meine Hand ins Feuer legen würde
– sie alle sind aussergewöhnlich gut.
‹Wecke niemals einen Schrat› von Autor
Wieland Freund und der Illustratorin Joëlle
Tourlonias finde ich zum Beispiel wahnsinnig schön – das ist ein richtiges Herzensbuch, das mit viel Liebe gemacht
wurde. Die Geschichte spielt im Elfenwald.
Jannis und Motte sind zwei Elfenkinder,
die gerade ihre Elfenprüfung ablegen
mussten. Das Mädchen Motte hat sie mit
Bravour bestanden, Jannis aber ist durchgerasselt, weil er immer den Unterricht
schwänzte. Er kennt daher auch ‹Amsel
Salamanders Buch über alles› nicht genau,
und deshalb stochert er auf einem Streifzug durch den Wald dummerweise in einem vermeintlichen Pilz herum – und
weckt so den Schrat Wendel auf. In Salamanders weisem Buch steht, dass man
niemals einen Schrat aufwecken darf; tut
man es doch, folgt er einem für immer und
bringt einem nur Unglück. Jannis will vor
dem Schrat fliehen, doch er kann ihn nicht
abschütteln. Weil er auf seiner Flucht den
ganzen Elfenwald durcheinanderbringt,
wird Jannis verstossen. In der ersten
Nacht, in der er allein ist, beschwört der
böse Zauberer Holunder einen Sturm herauf, der das ganze Elfenvolk und auch
Salamanders Buch verweht. Jannis Freundin Motte und die Elfenkönigin werden
vom bösen Zauberer entführt, und nur
Jannis kann sie retten – zusammen mit
Das nächste Buch gefällt wohl vor allem
Mädchen – Buben lesen ja nicht so gern
Geschichten mit weiblichen Hauptfiguren.
‹Superhelden fliegen geheim› von Alice
Pantermüller erzählt die Freundschaftsgeschichte von Karline und Rose. Karline
hat ein Geheimnis, das sie nicht einmal
Rose anvertrauen kann: Sie stammt aus
einer Superheldenfamilie. Die Eltern und
Geschwister von Karline retten dauernd
die Welt, und es ist anzunehmen, dass auch
die Jüngste irgendwelche Superkräfte hat
– nur haben sich diese noch nicht gezeigt.
Wie bei Superhelden üblich, agiert auch
die Familie von Karline im Verborgenen.
Dummerweise zieht Professor Puvogel in
die Stadt, der berühmteste Superheldenforscher, der hinter dem Geheimnis der
Superhelden her ist. Und sein Sohn Jona
kommt ausgerechnet in die Klasse von
Karline und Rose. Weil Jona auch eher ein
Aussenseiter ist, freunden sich die beiden
Mädchen aber mit ihm an. Und das ist gut,
denn der Professor wird von zwei Gangstern entführt und braucht dringend Hilfe.
Glücklicherweise entdeckt Karline endlich
ihre Gabe: Sie versteht alle Tiere, und das
erweist sich bei der Rettung des Professors
als unschätzbar wertvoll ... ‹Superhelden
fliegen geheim› ist ein sehr unterhaltsames
und witziges Buch – und ein ausserge-
© ulF K. / aren
© joelle tourlonIas / beltZ & gelberg
Wendel. Während seines Abenteuers merkt
Jannis allmählich, dass der weise Salamander sich mit seiner Einschätzung eines
Schrats ziemlich geirrt hat ... Der heimliche Star dieses Buchs ist der Schrat Wendel, der total herzig gezeichnet wurde: Er
hat eine Haut wie ein Pilz und sieht irgendwie aus wie eine grosse Bohne. Der Text ist
sehr sympathisch und äusserst unterhaltsam geschrieben, und die Bilder sind sehr
attraktiv. Ich kann mir vorstellen, dass
‹Wecke niemals einen Schrat› das Lieblingsbuch vieler Kinder werden wird. Sie
können es selber lesen, es eignet sich aber
auch zum Vorlesen für Buben und Mädchen im Kindergartenalter.
Comiczeichner Ulf K. lockert «Superhelden fliegen geheim» mit hübschen Illustrationen auf.
Rom – die eine Familie aus romantischen
Gründen, die andere, weil der Vater Kommandant der Schweizergarde ist. Die beiden Mädchen streifen zusammen durch
die Stadt, über die man übrigens sehr viel
erfährt, und sie stellen irgendwann fest,
dass die Stare in diesem Jahr bei ihrem
Flügen im Schwarm höchst ungewöhnliche Formationen bilden. Die beiden Mädchen machen sich auf die Suche nach den
Ursachen für dieses Phänomen und begegnen dabei eigenartigen Leuten. Und sie
stossen auf ein grosses Geheimnis: Ein
Priester im Vatikan erfand eine Maschine,
mit der sich der Flug der Stare manipulieren lässt, und diese Maschine wurde gestohlen. Komischerweise bringen die manipulierten Stare die Menschen jetzt dazu,
rundheraus die Wahrheit zu sagen. Und
das könnte im Falle des Papstes zu einer
Und dann ist mir gleich noch eine erstklassige Neuerscheinung zum Thema Freundschaft in die Hände geraten: ‹Ein Krokodil
taucht ab› von Nina Weger – ein Superbuch! Das schöne Cover könnte einen auf
eine falsche Fährte leiten, denn die Geschichte ist schon etwas düsterer, als der
Umschlag verspricht. Hauptfigur ist Paul,
der mit seinem Vater und dem MississippiAlligator Orinoko zusammenlebt; der Vater
arbeitet mit Tieren und ist dadurch zu diesem ungewöhnlichen Haustier gekommen.
Leider verliebt sich der Vater, und die neue
Freundin zieht zusammen mit ihrer Tochter Elektra bei Paul ein. Es gibt ständig
Streit, und bei einem Krach fällt Orinoko
ins Klo und wird aus Versehen heruntergespült. Paul macht sich auf die Suche nach
seinem besten Freund und geht in die Kanalisation. Dort trifft er auf eine grosse
Bande von Kindern, die sich in der Kanalisation ein eigenes Reich eingerichtet hat.
Paul muss schwören, dass er für immer bei
diesen Ausreissern bleibt, und sie helfen
ihm in Gegenzug, Orinoko zu finden. Doch
dann taucht Elektra auf. Sie wollte Orinoko
ebenfalls retten, um sich mit Paul zu versöhnen, doch sie hat sich in der Kanalisation verirrt. Erst verstehen sich Paul und
Elektra überhaupt nicht, dann merkt er
aber, dass sie es ehrlich meint mit der Versöhnung – und die beiden beschliessen, die
Kanalisation gegen den Willen der Bande
zu verlassen. Das alles ist total spannend,
ein Abenteuer jagt das nächste, und man
kann als Leserin oder Leser kaum Luft holen. Irgendwie hat mich das Ganze ein wenig an ‹Die rote Zora› erinnert – zumindest
bezüglich Spannung ist der Vergleich
durchaus angebracht.»
Nicole Stäuble, 40, ist Buchhändlerin bei
Orell Füssli in Frauenfeld; sie hat einen
dreijährigen Sohn. «Ich machte bereits
meine Lehre zur Buchhändlerin bei Orell
Füssli», erzählt sie. Schon in der Lehre
seien Kinder- und Jugendbücher für sie
das Grösste gewesen, denn «dieser Bereich ist so vielseitig und fast so etwas wie
eine Buchhandlung in der Buchhandlung!»
Ausserdem könne man die Kundinnen
und Kunden, die Kinderbücher suchten,
umfassend beraten: «Die meisten Leute
sind dankbar für Empfehlungen, weil sie
sich mit den Neuerscheinungen nicht so
gut auskennen.»
Wecke niemals
einen Schrat
Wieland Freund,
Joëlle Tourlonias
(Illustrationen)
217 Seiten
CHF 23.90
Beltz & Gelberg
ab 8 Jahren
Superhelden
fliegen geheim
Alice Pantermüller,
Ulf K. (Illustrationen)
163 Seiten
CHF 15.90
Arena
ab 9 Jahren
Päpste pupsen
nicht
Alexander
Smoltczyk
CHF 18.90
Dressler
ab 10 Jahren
Ein Krokodil
taucht ab
Nina Weger
336 Seiten
CHF 19.90
Oetinger
ab 10 Jahren
44 | ORELL FÜSSLI
Books Nr. 2/2013
Mein Buch | 45
Alle Bücher finden Sie auch auf
Einkaufen auf dem Weg
in die Ferien
«Das kleine Gespenst»
in Winterthur
Wir möchten von Orell-Füssli-Kundinnen und -Kunden wissen: Welches ist
Ihr liebstes Buch? Heute antwortet David Auf der Maur aus Guarda.
Ein Theatererlebnis für die ganze Familie: Der Kinderbuch-Klassiker
«Das kleine Gespenst» wird auf Schloss Mörsburg unter freiem
Himmel aufgeführt.
Erik Brühlmann
Benjamin Gygax
Am 18. Februar 2013 starb einer der grössten deutschen Kinderbuchautoren: Otfried
Preussler. Er wurde fast 90 Jahre alt. Mit
seinen Büchern hat Preussler Generationen von Kindern und Jugendlichen unterhalten. «Der kleine Wassermann», «Die
kleine Hexe» oder «Der Räuber Hotzenplotz» sind auch Jahrzehnte nach ihrem
Erscheinen bekannt und beliebt; und
«Krabat» sorgt auch heute noch für Gänsehaut bei jugendlichen Leserinnen und Lesern. Preusslers 32 Bücher wurden in 55
Sprachen übersetzt und rund 50 Millionen
Mal gedruckt.
Wie bühnentauglich die Geschichten des
deutschen Schriftstellers sind, zeigt jetzt
die Produktionsgesellschaft «summerträumli» der beiden Schauspieler Patrizia
Gasser und Samuel Vetsch. Sie führt «Das
kleine Gespenst» in einer werkgetreuen
Dialektbearbeitung auf, unter freiem Himmel und vor perfekter Kulisse: im Hof von
Schloss Mörsburg bei Stadel, Winterthur.
«Viele Kindertheater sind Tourneeproduktionen und müssen deshalb auf aufwändige Bühnenbilder und Requisiten verzichten», sagt Mit-Initiant und Regisseur
Samuel Vetsch. «Wir wollten aber einmal
Wettbewerb: Kurzgeschichten
gesucht!
nahmsweise nicht die beste Beschäftigung,
denn der Zug durchquert vom Bodensee bis
zum Vierwaldstättersee einige der schönsten Gegenden der Schweiz. Warum also
nicht einfach aus dem Fenster schauen und
die Eindrücke geniessen?
Und wer seine Eindrücke in eine Kurzgeschichte packt, kann jetzt auch attraktive
Preise gewinnen. Der Voralpen-Express
und Orell Füssli suchen die spannendsten,
lustigsten oder romantischsten Kurzgeschichten. Einzige Bedingung: Die Geschichte darf höchstens 5000 Zeichen lang
sein und muss die fünf Begriffe «VoralpenExpress», «Rothenthurmer Hochmoor»,
«Rickentunnel», «Sitterviadukt» und «unbekannter Koffer» enthalten.
Während einer Zugfahrt lässt sich wunderbar lesen – die Zeit bis zum Ziel ist sozusagen geschenkt, und man kann ungestört in
Geschichten abtauchen. Reist man mit dem
Voralpen-Express, ist Lesen aber aus-
Senden Sie Ihre Geschichte bis zum 15. Oktober 2013 unter www.voralpen-express.ch
ein und gewinnen Sie ein Wochenende für
zwei Personen in Bad Zurzach, eine
Schreibwerkstatt mit Milena Moser oder einen E-Reader. Alle Informationen unter
www.books.ch/geschichten-spinnen.
nach Gran Canaria. Da kommt ihm die
Buchhandlung von Orell Füssli gerade gelegen, um sich vor dem Flug noch mit Lesefutter einzudecken. «Ich lese eben sehr
viel», sagt er, «Fachliteratur rund um die
Landwirtschaft, Kochbücher, Krimis und
am liebsten historische Romane.» Mit digitalen Büchern kann David Auf der Maur
wenig anfangen: «Ich liebe es einfach, ein
Buch in der Hand zu halten!» Und von der
Hand wandern die Bücher dann in die eigene Bibliothek, denn in den allermeisten
Fällen behält er, was er gelesen hat. «Ich
finde es einfach toll, eine eigene Bibliothek
zu haben.»
ein richtiges Spektakel präsentieren, das
Gross und Klein etwas bietet.» Die Macher,
die schon beim MärliMusicalTheater von
Andrew Bond zusammenarbeiteten, versprechen Live-Musik und Action.
Geplant sind 15 Vorstellungen. Sie gehen
zwischen dem 10. August und dem 15. September jeweils am Mittwoch-, Samstagund Sonntagnachmittag über die Bühne.
Damit das Spektakel auch bei Regen nicht
ins Wasser fällt, ist die Tribüne gedeckt.
Informationen und Hinweise zum Vorverkauf unter www.summerträumli.ch.
Preis für den
Kramhof
Seit 2004 vergibt die Arbeitsgemeinschaft für Jugendbuchverlage avj, der
rund 90 Verlage im deutschsprachigen
Raum angehören, jährlich den «Kinderbuchhandlungspreis». Die Auszeichnungen für 2013 wurden im Rahmen der
Leipziger Buchmesse überreicht – und zu
den Preisträgern gehört auch Orell Füssli. Die Filiale Kramhof an der Zürcher
Bahnhofstrasse gewann den Preis für die
Schweiz mit der Aktion «Testleser». Dabei empfehlen Kinder anderen Kindern
Neuerscheinungen, die sie für besonders
gelungen halten. Zum Testleser-Team gehören etwa 20 Buben und Mädchen, die
sich auf einen Aufruf gemeldet haben. Sie
können sich bei den Leseexemplaren bedienen und verfassen dann eine Rezension, die in der Buchhandlung ausgestellt
wird. «Eine kreative Idee, mit der ein Beitrag zur Leseförderung geleistet wird
und welche die Buchhandlung für junge
Kundinnen und Kunden interessant
macht», urteilte die Jury.
In der Filiale von Orell Füssli am Flughafen
Kloten herrscht zuweilen ein babylonisches Sprachwirrwarr. Deutsch, Englisch
und Französisch sind ebenso in Gebrauch
wie Idiome, die nicht so leicht zu identifizieren sind. Kein Wunder, sind doch die
meisten Kundinnen und Kunden im wahrsten Sinn des Wortes auf der Durchreise.
Das gilt auch für den 42-jährigen David Auf
der Maur. Der Landwirt aus dem Engadin
ist eigentlich auf dem Weg in die Ferien
ich das Buch; wenn ich den Film sehe, sehe
ich den Film. Oft haben beide Aufbereitungen eines Stoffs ihre Qualitäten, wenn auch
nicht unbedingt dieselben.»
Konsequenterweise empfiehlt der Landwirt für unsere Rubrik auch ein Buch, das
sowohl in Buchform als auch in der Verfilmung mit Ben Whishaw und Dustin Hoffman zu den Grosserfolgen zählt: «Das Parfum» von Patrick Süskind aus dem Jahr
1985. Der Roman – der einzige, den Süskind je geschrieben hat – erzählt die Geschichte von Jean-Baptiste Grenouille, der
einen geradezu phänomenalen Geruchssinn besitzt, jedoch selbst ohne menschlichen Eigengeruch geboren wurde. Er beschliesst, grösster Parfumeur aller Zeiten
zu werden. Für seine Vision, mit allen Mitteln das perfekte Parfum zu kreieren, wird
er sogar zum Mörder – und muss erkennen, dass seine Kreation nur eine Illusion
ist. «Wahnsinnig spannend geschrieben
und total faszinierend!», findet David Auf
der Maur.
Bei der Auswahl seiner Bücher verlässt
sich David Auf der Maur auf seine Intuition: «Entweder gefällt mir das Cover, oder
der Titel fasziniert mich – und meistens ist
das dann eine gute Wahl.» Zu seinen Lieblingsautoren gehören Ken Follett, Donna
Leon, Dick Francis und Paulo Coelho. «Gefällt mir das Buch eines Autors, lese ich oft
auch alle anderen von ihm», so der 42-Jährige, der auch kein Problem mit Literaturverfilmungen hat. «Ich gehe da ganz unbefangen heran. Wenn ich das Buch lese, lese
Das Parfum
Patrick Süskind
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46 | Kochbücher
Books Nr. 2/2013
Ein kulinarisches Mosaik
Jerusalem ist ein Brennpunkt vieler Menschengruppen. Dies hat zu andauernden Konflikten, aber auch
zu einer Konzentration von Kochtraditionen geführt. Yotam Ottolenghi zeigt mit seinen Kochbüchern,
dass Völkerverständigung durch den Magen gehen kann.
Kochbücher | 47
Alle Bücher finden Sie auch auf
Für Sie probiert: Geschmortes
Kalbfleisch mit Dörrpflaumen
und Lauch
Rezept aus dem nebenan besprochenen Buch «Jerusalem»
Markus Ganz
geschmacksintensiven Kreationen ihrer
mediterran-orientalischen Küche stiessen
in der britischen Hauptstadt auf grosse Begeisterung. «Wir bemühen uns zu überraschen und die Neugierde zu wecken»,
schreiben sie auf ihrer Website.
© Richard Learoyd / Dorling Kindersley
Kräftig und kühn
Yotam Ottolenghi: «Wir bemühen uns zu überraschen und die Neugierde zu wecken.»
Eine einzige für Jerusalem typische Küche
kann es nicht geben. In der jahrtausendealten Stadt leben Angehörige verschiedener Strömungen des Judentums und des
Islams, aber auch griechisch- und russisch-orthodoxe Christen, christliche Araber oder Kopten. Sie alle pflegen unterschiedliche Kochtraditionen, die von ihrer
geografischen, kulturellen und religiösen
Herkunft geprägt sind. Trotz dieser Vielfalt
kann man aber auch Gemeinsamkeiten
finden. Das zeigen Yotam Ottolenghi und
Sami Tamimi mit ihrem aussergewöhnlichen Kochbuch «Jerusalem».
Freundschaft in London
Yotam Ottolenghi wurde 1968 als Sohn einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters im jüdisch geprägten WestJerusalem geboren; der gleichaltrige
Palästinenser Sami Tamimi wuchs zur selben Zeit im muslimischen Ost-Jerusalem
auf. Die beiden sind einander dort nie begegnet. Zufällig lernten sie einander 1999
in London kennen, wo Yotam Ottolenghi
eine Kochausbildung absolviert hatte. Zusammen eröffneten sie 2002 eine Bar,
dann kam ein Restaurant hinzu. Mittlerweile besitzen sie deren vier – denn die
Um diese Ziele zu erreichen, setzen sie
«kräftige Aromen und kühne Farbkombinationen» ein, als Lieblingszutaten nennen
sie Zitrone, Granatapfel, Knoblauch und
Chili. Die bald landesweite Popularität ihrer Küche ist auch darauf zurückzuführen,
dass sich Yotam Ottolenghi mit einer Kolumne im Wochenend-Magazin von «The
Guardian» einen Namen gemacht hat. Er
beschreibt dort auf zum Kochen verführende Weise, wie schmackhaft vegetarische Gerichte sein können. Dies führte zu
zwei Kochbüchern, die international auf
grosse Beachtung stiessen: «Genussvoll
vegetarisch – mediteran. orientalisch. raffiniert» und «Das Kochbuch – mediteran.
orientalisch. raffiniert».
Kindheitserinnerungen
Das neuste Kochbuch hat Yotam Ottolenghi
nun mit seinem Freund und Geschäftspartner Sami Tamimi geschaffen. «Jerusalem»
sei eine Suche nach den wundervollen Geschmackserlebnissen ihrer Kindheit, erklären die beiden in der Einführung. Neben traditionellen Gerichten, die sie
teilweise heutigen Essgewohnheiten anpassten, bieten sie auch eigene Rezepte,
die von dieser Stadt inspiriert wurden. Der
grossformatige Bildband besticht jedoch
nicht nur mit appetitanregend bebilderten
Gerichten wie Mangoldkuchen, geschmorten Wachteln mit Aprikosen, Korinthen
und Tamarinde oder gefüllten Quitten. Eindrücklich sind – neben stimmungsvollen
Fotos aus dem Leben in Jerusalem – auch
die Texte, die oft weit übers Kulinarische
hinausgehen.
Kulinarische Wege
Zu den erklärten Lieblingsrezepten der Autoren gehört ein einfaches Couscous mit
Tomaten und Zwiebeln. Es basiert auf einem Gericht aus Samis Kindheit, das ihm
seine Mutter Na’ama im muslimischen
Ostjerusalem kochte. Im selben Zeitraum
ass Yotam im jüdischen Westteil der Stadt
oft ein ähnliches Gericht, das ihm sein Vater Michael zubereitete. Doch statt Couscous verwendete dieser Ptitim, kleine
Pastakugeln. «Die eine Variante schmeckte
so herrlich wie die andere», schreiben die
Autoren und schlagen den Bogen noch
weiter: In der Küche der libyschen Juden
gebe es ein ähnliches Gericht wie das von
Michael. Es heisse Shorba und widerspiegle die Zeit der italienischen Besatzung in
Libyen im frühen 20. Jahrhundert. Michaels Ptitim sei also möglicherweise von der
libyschen Küche in Jerusalem beeinflusst,
die ihrerseits wiederum italienische Spuren aufweise. «Und das Sahnehäubchen
auf diesem interkulturellen Kuchen: Michaels Grossonkel Aldo Ascoli war Admiral
der italienischen Marine, die 1911 in Tripolis einfiel und Libyen besetzte.»
Jerusalem –
Das Kochbuch
Yotam Ottolenghi
und Sami Tamimi
318 Seiten
CHF 36.90
Dorling
Kindersley
Genussvoll vegetarisch –
mediterran. orientalisch.
raffiniert
Yotam Ottolenghi
287 Seiten
CHF 36.90
Dorling
Kindersley
Das Kochbuch –
mediteran. orientalisch.
raffiniert
Yotam Ottolenghi
303 Seiten
CHF 37.90
Dorling
Kindersley
Die Küche der «Spanioli» – sephardische
Juden, die seit vielen Generationen in Jerusalem ansässig sind – ist etwas ganz Besonderes. Die ersten Spanioli kamen im
Zug der Judenvertreibung 1492 ins Land,
oft nicht auf dem direkten Weg aus Spanien, sondern über andere Länder. Daher ist
ihre Art zu kochen von vielen Traditionen
beeinflusst, die sie auf ihrem Weg nach
Jerusalem kennenlernten. Inzwischen sind
in ihre Gerichte auch Elemente der aschkenasischen Küche eingeflossen – eine absolut faszinierende Mischung. Typisch für die
sephardische Tradition ist die Kombination von Fleisch und getrockneten Früchten,
wie wir sie hier finden. Das unterscheidet
ihre Gerichte deutlich von der Küche der
Palästinenser, in der trotz mancher Ähnlichkeiten Süsses nie mit Pikantem kombiniert wird.
Für 4 Personen (reichlich)
Zutaten:
Zubereitung:
110 ml Sonnenblumenöl
4 grosse Scheiben Kalbshaxe
mit Knochen (etwa 1 kg)
2 grosse Zwiebeln (etwa 500 g),
fein gehackt
3 Knoblauchzehen, zerdrückt
100 ml trockener Weisswein
250 ml Hühner- oder Rinderbrühe
1 Dose Tomatenstücke (400 g)
5 Zweige Thymian, die Blätter fein
gehackt
2 Lorbeerblätter
Schale von 1 Bio-Orange, in Streifen
abgeschält
2 kleine Zimtstangen
½ TL gemahlener Piment
2 Sternanis
6 Stangen Lauch (nur die weissen Teile),
in 1 ½ cm breite Ringe geschnitten
200 g Dörrpflaumen, entsteint
Salz und schwarzer Pfeffer
Den Backofen auf 180 °C vorheizen.
Zum Servieren:
120 g griechisches Joghurt
2 EL fein gehackte glatte Petersilie
2 EL abgeriebene Zitronenschale
2 Knoblauchzehen, zerdrückt
In einer grossen Pfanne mit schwerem Boden 2 Esslöffel Öl erhitzen, das Fleisch darin auf jeder Seite 2 Minuten bei starker
Hitze anbraten, danach in einem Sieb abtropfen lassen.
Den grössten Teil des Fetts wegschütten.
Erneut 2 Esslöffel Öl in der Pfanne erhitzen
und darin die Zwiebeln mit dem Knoblauch etwa 10 Minuten bei mittlerer bis
starker Hitze goldgelb anbraten. Dabei gelegentlich umrühren und den Bratensatz
vom Boden lösen. Den Wein angiessen und
3 Minuten bei starker Hitze kochen lassen,
bis er fast vollständig verdampft ist. Die
Hälfte der Brühe angiessen, Tomaten, Thymian, Lorbeerblätter, Orangenschale, die
Gewürze, 1 Teelöffel Salz und etwas Pfeffer
hinzufügen, gut umrühren und aufkochen
lassen. Das Fleisch in die Pfanne legen und
in der Sauce wenden.
lösen lässt. Die Fleischstücke aus der Sauce nehmen und in einer grossen Schüssel
etwas abkühlen lassen. Das Fleisch von
den Knochen lösen und das Mark mit einem kleinen Messer aus den Knochen herauskratzen. Die Knochen wegwerfen.
Das restliche Öl in einer Pfanne erhitzen,
den Lauch darin etwa 3 Minuten unter gelegentlichem Rühren bei starker Hitze anbraten, dann zu der Sauce in die Form geben. In der Pfanne die Dörrpflaumen mit
der restlichen Brühe, dem ausgelösten
Fleisch und dem Knochenmark verrühren
und ebenfalls in die Form geben. Mit Alufolie abdecken, die Form nochmals für 1
Stunde in den Backofen schieben und anschliessend die Sauce noch einmal abschmecken.
Mit dem Joghurt garnieren und mit einer
Mischung aus Petersilie, Zitronenschale
und Knoblauch bestreuen; heiss servieren.
Anmerkungen:
Das Fleisch mit der Sauce in eine ofenfeste
Form füllen und gleichmässig darin verteilen. Mit Alufolie abdecken und für 2½ Stunden in den Backofen schieben. Gelegentlich prüfen, ob die Sauce nicht zu dick wird
und am Rand verbrennt. Ist dies der Fall,
etwas Wasser hinzufugen. Das Fleisch ist
gar, wenn es sich mühelos vom Knochen
Das Kalbfleisch kann schon deutlich früher
gar sein, deshalb frühzeitig überprüfen.
Als Beilage passt Trockenreis, den man
beispielsweise mit Butter, gehackten Zwiebeln, gerösteten Mandelsplittern und Kardamom anreichern kann.
48 | WETTBEWERB
Books Nr. 2/2013
VERANSTALTUNGEN | 49
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Mai
16.
25.
Filiale Marktgasse, Winterthur
13-15 h
9. Filiale am Bellevue, Zürich
20.30 h
Theo der Bär kommt zu Besuch
17.
17-20 h
Handanalysen mit
Monika Hauser
Filiale Frauenfeld
6. Filiale Kramhof, Zürich
Kaufleuten, Pelikanplatz, Zürich
20 h
L-Reihe
Lesung von Daniel Kehlmann, Veranstaltet mit
der Filiale Kramhof
«Zürich» und «Basel»
Mark van Huisseling und Alain Claude Sulzer
lesen aus ihren Büchern über ihre Städte
10.30 h
25.
Märlischtund
11.Filiale Marktgasse, Winterthur
17-20 h
27.
10.30 h
Filiale Marktgasse, Winterthur
19 h
Zürich liest: Lesung und
Diskussion mit Milena Moser
Handanalysen mit Monika Hauser
Juni
1.
Filiale Marktgasse, Winterthur Nachmittag
1.
Filiale Kramhof, Zürich
Theo der Bär kommt zu Besuch
13-15 h
Theo der Bär kommt zu Besuch
Filiale Frauenfeld
Märlischtund
August
3.
Filiale Kramhof, Zürich
13-15 h
Theo der Bär kommt zu Besuch
31.Filiale Frauenfeld
10.30 h
Märlischtund
September
26.
1.-30. Filiale Kramhof, Zürich
Filiale Frauenfeld
10.30 h
Märlischtund
20-Jahr-Jubiläum
30.
Diverse Veranstaltungen
3.
Filiale Rösslitor, St. Gallen
20 h
Literaturcafé
12.Filiale Frauenfeld
7.
Theo der Bär kommt zu Besuch
12.Filiale Marktgasse, Winterthur
17-20 h
Handanalysen mit Monika Hauser
13.Filiale Marktgasse, Winterthur
Filiale Frauenfeld
21.Kaufleuten, Pelikanplatz, Zürich
10.30 h
Lesung von David Sedaris, veranstaltet mit der
Filiale Kramhof
Juli
28.
Filiale Basel
3. Filiale Basel
Lösungswort:
Vorname / Name
2.
Filiale Marktgasse, Winterthur
Filiale Frauenfeld 10.30 h
Märlischtund
14.
23.
23.
Filiale Marktgasse, Winterthur
PLZ / Ort
E-Mail
17-20 h
Handanalysen mit Monika Hauser
Filiale Frauenfeld
10.30 h
Märlischtund
Filiale Rosenberg, Winterthur
13-16 h
Globi kommt zu Besuch
25.
Oktober
5.
Filiale Marktgasse, WinterthurNachmittag
Theo der Bär kommt zu Besuch
Kaufleuten, Pelikanplatz, Zürich
Lesung von Leon de Winter, veranstaltet mit
der Filiale Kramhof
14-17 h
Globi kommt zu Besuch
20 % Rabatt aufs Globi-Sortiment
10.Filiale Marktgasse, Winterthur
20 h
L-Reihe: «Ein gutes Herz»
17-20 h
Handanalysen mit Monika Hauser
Adresse
Bis am 27. Juli 2013 in einer der Orell-Füssli-Filialen in Zürich, Basel, Bern,
Winterthur, Frauenfeld, am Flughafen Zürich oder bei Rösslitor Bücher in St. Gallen
abgeben – oder per E-Mail an: [email protected].
Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt.
13-16 h
Globi kommt zu Besuch
10 Jahre Orell Füssli Basel
3-fache Bookpoints aufs ganze Sortiment
Glücksrad am 2., 4. und 7. Juli, jeweils
16-19 h
✁
20 h
L-Reihe: «Sprechen wir über
Eulen – und Diabetes»
Märlischtund
1.-7.
November
17-20 h
Handanalysen mit Monika Hauser
29.
19 h
Filiale Marktgasse, WinterthurNachmittag
19 h
Lesezirkel
Filiale Frauenfeld
Lesezirkel
Mehr Veranstaltungen und Informationen finden Sie auf www.books.ch
Kolumne | 51
Books Nr. 2/2013
GESCHICHTEN
SPINNEN
Der schönste Ort um zu lesen ist für mich
ein frisch bezogenes Hotelbett. Nach einem
guten Abendessen und reichlich Wein legt
man sich kurz vor Mitternacht in die duftenden Laken, und im Schein der Nachttischlampe versinkt man in dem Buch, das
man gerade liebt, folgt dem Helden auf seinen Wegen und wird von Seite zu Seite
müder.
Hauptpreis:
2 Übernachtungen für
2 Personen in der
Literaturküche in
Bad Zurzach
voralpen-express.ch
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Der Kurz
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Es ist mein erklärtes Ziel, Bücher zu schreiben, die den Lesern in einem Hotelbett
solche Glücks- und Geborgenheitsgefühle
verschaffen. Obwohl aber das Bett der primäre Ort der Leselust ist, soll man meine
Bücher natürlich auch in der Hotellobby
lesen können oder in der Hotelbar, meinetwegen auch im Speisesaal – Hauptsache
Hotel. Literatur und Hotels gehören untrennbar zusammen, nirgendwo sind Bücher so sehr Bücher wie in Hotels, und
keine Bibliothek ist so verlockend und
abenteuerlich wie die in einem Hotel. Literatur ist immer Aufbruch, mit dem ersten
Satz packen Autor und Leser gleichermassen ihr Bündel und betreten fremde Welten. Und wo stimmt das besser mit der
Wirklichkeit überein als eben in einem Hotel, in dem auf den Aufbruch die Ruhe folgt
und man bestenfalls in einem Kaminzimmer in einem englischen Ohrensessel sitzt
und den Roman weiterliest, der nun gleichfalls nach dem Aufbruch in eine Phase der
Ruhe eingetreten ist, in der die Geschichte
vorübergehend an Tempo verliert, so als
würde sie Tee aus einem Samowar trinken
und sich überlegen, wohin die Reise als
nächstes führt, ob man einen Spaziergang
zum Strand macht oder nicht doch lieber
sich ein Pferd mietet.
Schade für den Schriftsteller ist nur, dass
er immer ein bisschen weniger Reisender
ist als der Leser. Er ist gewissermassen der
Reiseleiter und kennt deswegen sämtliche
Sehenswürdigkeiten und Aussichtspunkte
schon. Zweifellos ist das Auftauchen der
Pyramiden aus dem Kairoer Smog morgens um halb sechs auch für ihn immer
wieder ein Ereignis, aber es ist eben nicht
mehr so überraschend wie für den Reisenden, der es zum ersten Mal sieht. Und
selbst wenn der Reiseleiter – beispielsweise bei einem Trekking-Urlaub – ebenfalls,
wie der Reisende, zum ersten Mal unbekanntes Terrain betritt, wenn er also vorangeht und mit der Machete den Weg freihackt, ist für ihn das Erlebnis des Neuen
mit Arbeit verbunden, während der Reisende hinter ihm auf dem frisch geschlagenen Weg das Neue mühelos geniessen
kann. Der Schriftsteller arbeitet, der Leser
geniesst, und deswegen ist es nur gerecht,
dass er für den Genuss etwas bezahlt. Ich
schreibe, damit Menschen in Hotels meine
Bücher lesen, für die sie zuvor bezahlt haben. Mit einem Teil des so verdienten Geldes begleiche ich meinerseits die Rechnung des Hotels, in dem ich wiederum das
Buch eines Kollegen lese, mit dem Unterschied, dass ich meistens für die Bücher
von Kollegen nichts bezahlen muss, weil
ich sie mir auf irgendeinem Weg erschnorre. Dadurch spare ich im Jahr rund 500
Franken an Bücherkosten. Man könnte
also auch sagen: Ich schreibe, um zu sparen, auch beispielsweise Schlusspointen.
© Susanne Schleyer
Schweizer Autorinnen und
Autoren erzählen in «Books»,
warum sie schreiben.
Heute: Linus Reichlin
Linus Reichlin
Linus Reichlin, 56, kam in Aarau zur Welt
und lebt heute in Berlin. Bekannt wurde
er erst als Journalist, dann als Kolumnist –
und schliesslich als Schriftsteller. Für «Die
Sehnsucht der Atome» erhielt er 2009 den
Deutschen Krimipreis.
Das Leuchten in der Ferne
299 Seiten
CHF 29.90
Galiani
UNSERE BUCHHANDLUNGEN
Z ÜR ICH
KRAMHOF
Füsslistrasse 4, 8001 Zürich
MO – FR: 09.00 – 20.00 | SA: 09.00 –18.00
AM BELLEVUE
Theaterstrasse 8, 8001 Zürich
MO – FR: 09.00 – 20.00 | SA: 09.00 – 18.00
THE BOOKSHOP
Bahnhofstrasse 70, 8001 Zürich
MO – FR: 09.00 – 20.00 | SA: 09.00 – 18.00
FLUGHAFEN
Airport Center, 8060 Zürich-Flughafen
MO – SO: 08.00 – 21.00
ZÜRICH HAUPTBAHNHOF
Shopville, Halle Landesmuseum, 8001 Zürich
MO – FR: 07.00 – 21.00 | SA : 08.00 – 21.00
SO: 09.00 – 20.00
BAHNHOF STADELHOFEN
Stadelhoferstrasse 8, 8001 Zürich
MO – FR: 08.00 – 20.00 | SA: 09.00 – 19.00
SO: 10.00 – 18.00
ORELL FÜSSLI IM FRANZ CARL WEBER
Bahnhofstrasse 62, 8001 Zürich
MO – MI: 09.00 –18.30 | DO / FR: 09.00 – 20.00
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MO – MI / FR: 09.00 –18.30 | DO: 09.00 – 21.00
SA: 09.00 –17.00
ROSENBERG
Einkaufszentrum Rosenberg
Schaffhauserstrasse 152
8400 Winterthur
MO – FR: 08.30 – 20.00 | SA: 08.00 –18.00
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SA: 09.00 – 17.00
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Poststrasse 28, 9000 St.Gallen
MO – FR: 08.00 – 21.00 | SA / SO : 10.00 – 20.00
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MO – DO: 08.00 –19.00 | FR: 08.00 – 20.00
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Gilberte-de-Courgenay-Platz 4, 3027 Bern
MO – DO: 09.00 – 20.00 | FR: 09.00 – 22.00
SA: 08.00 –17.00
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Passerelle, Güterstrasse 115, 4053 Basel
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Fax: 044 455 56 20
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